| # taz.de -- Antikolonialer Anschlag in Hamburg: Aufgeklärt nach 50 Jahren | |
| > 1969 detonierten auf einer Werft 20 Kilo Sprengstoff. Täter konnten nie | |
| > ermittelt werden. Erst jetzt erfahren wir mehr über die Tat von Linken. | |
| Bild: Der Tatort im Jahr 2019: Der Hamburger Hafen und die Werft von Blohm & Vo… | |
| Hamburg taz | Der 13. Oktober 1969 ist ein Montag. Für die Bundesrepublik | |
| erweist sich der Wochenbeginn als ein schwarzer Tag. Die Bundeswehr | |
| verliert in der Nähe des Fliegerhorstes Memmingen ihren 100. Starfighter, | |
| jenes von der US-Rüstungsfirma Lockheed produzierte und 1958 vom damaligen | |
| Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß trotz erheblicher Bedenken | |
| von Experten in hoher Stückzahl angekaufte Kampfflugzeug F-104 G. Auch wenn | |
| sich der 28-jährige Hauptfeldwebel Maximilian Ambs mit dem Schleudersitz | |
| retten kann, ist allein schon der symbolische Schaden enorm. Im Gegensatz | |
| zu einem anderen Vorkommnis dieses Tages stellt das Unglück eines der | |
| Top-Themen in der Presseberichterstattung des darauffolgenden Tages dar. | |
| Im Hamburger Hafen gehen am frühen Morgen des 13. Oktober zwei Warnanrufe | |
| ein. Der erste erreicht um 6.13 Uhr eine Polizeistation, der zweite zwei | |
| Minuten später den Werkschutz von Blohm & Voss. Die 1877 gegründete | |
| Großwerft war mit der Produktion von Kriegsschiffen tief in den | |
| Nationalsozialismus verstrickt, wurde nach Kriegsende von den Briten | |
| geschlossen, teilweise demontiert, war aber 1955 wieder zugelassen worden | |
| und zu Beginn der sechziger Jahre dazu übergegangen, erneut Kriegsschiffe | |
| zu bauen. Ein anonymer Anrufer fordert: „Lassen Sie sofort die Korvette | |
| ‚João Coutinho‘ räumen: wir sprengen das Schiff in die Luft!“ | |
| Es dauert keine 20 Minuten, bis es tatsächlich so weit ist und um 6.32 Uhr | |
| ein Sprengsatz explodiert. Getroffen wird jedoch nicht so sehr das | |
| Kriegsschiff des Nato-Partnerlandes, sondern eine zwischen Kaimauer und der | |
| Korvette befindliche Schute. Den nicht sonderlich großen Kahn, der dem | |
| Transport von Gütern und Materialien dient, hat es so schwer erwischt, dass | |
| er in kurzer Zeit am Steinwerder-Kai versinkt. An der Korvette selbst, | |
| heißt es, sei nur geringer Sachschaden entstanden. Menschen sind nicht | |
| verletzt worden. | |
| Die Reaktionen in der Presse sind eher bescheiden. Lediglich das Hamburger | |
| Abendblatt und die lokale Ausgabe der Bild-Zeitung informieren ihre Leser | |
| über das Ereignis. Später wird sich zeigen, dass das insbesondere bei den | |
| für den Anschlag Verantwortlichen für Verwunderung sorgt. Denn sie waren | |
| nicht nur davon überzeugt, dass sie eine spektakuläre antikolonialistische | |
| Aktion verübt hätten, sondern dass diese auch ohne die Verbreitung eines | |
| Bekennerschreibens durch das Medien-Interesse für die gewünschten | |
| Multiplikatoreneffekte sorgen würde. | |
| ## Die Polizei tappt nach dem Anschlag im Dunkeln | |
| Ganz im Gegensatz zum mangelnden Echo in der Presse widmen sich einige | |
| linke Gruppen und Zeitungen dem Anschlag. Überraschenderweise ist es aber | |
| eine niederländische Gruppierung, die als Erstes darauf reagiert. Ein in | |
| dem Nachbarland aktives Angola-Komitee lässt es sich nicht nehmen, die | |
| versuchte Attacke als antikolonialistische Aktion uneingeschränkt zu | |
| begrüßen. An Spekulationen beteiligen sich mehrere linksradikale Blätter. | |
| So wird etwa von der in Westberlin erscheinenden Wochenzeitung agit 883 | |
| behauptet, dass die Sabotageaktion von Werftarbeitern verübt worden sei. | |
| Die mit dem Anschlag befassten Ermittler geben am Tag darauf bekannt, dass | |
| von den Tätern jede Spur fehle, man aber vermute, dass sie aus den Reihen | |
| einer antikolonialistisch eingestellten Organisation stammen würden. | |
| Konkret genannt werden das Governo Revolucionário de Angola no Exilio | |
| (Angolanische Revolutionsregierung im Exil, GRAE) und die Movimento Popular | |
| de Libertação de Angola(Volksbewegung für die Befreiung Angolas, MPLA). | |
| Diese beiden Organisationen würden auch, heißt es weiter, über Mitglieder | |
| in europäischen Studentenbewegungen verfügen. Mitglieder beider | |
| Organisationen hatten immer wieder mit Flugblattaktionen gegen den Bau | |
| derartiger Korvetten im Hamburger Hafen protestiert, zuletzt beim | |
| Stapellauf der „João Coutinho“ am 2. Mai. | |
| Portugal tut im Übrigen so, als ginge es die Angelegenheit nichts weiter | |
| an. Ein Sprecher des in Hamburg befindlichen Generalkonsulats erklärt, dass | |
| „die Sache“ sie nicht betreffen würde. Solange die Schiffe nicht der | |
| Regierung ihres Landes übergeben worden und bis dahin Eigentum der Werft | |
| seien, hätten sie damit nichts zu tun. | |
| Bei den 84 Meter langen und 10 Meter breiten Korvetten, die eine Besatzung | |
| von 70 Mann aufnehmen können, handelt es sich um eine eigene Schiffsklasse, | |
| die sogenannte „João-Coutinho“-Klasse. Die Schiffe verfügen über zwei | |
| 7,6-cm-Geschütze und zwei 4-cm-Maschinenkanonen in Doppellafetten. Portugal | |
| will sie zur Bekämpfung der in seinen Kolonien aktiven Guerillabewegungen | |
| einsetzen, die für die Unabhängigkeit ihrer Länder kämpfen. Nach ihrer | |
| Indienststellung sollen sie bei Patrouillenfahrten und Kampfeinsätzen in | |
| Angola, Mosambik, Guinea-Bissau und vor den Kapverden zum Einsatz kommen. | |
| Trotz aller Anstrengungen verlaufen die von der Hamburger | |
| Staatsschutzabteilung K4 angestrengten Ermittlungen ergebnislos. Zwar | |
| sollen als verdächtig geltende Werftangehörige verhört und Mitglieder des | |
| Sozialistischen Lehrlingszentrums (SLZ) über Monate hinweg überwacht worden | |
| sein, aber niemand von ihnen wird festgenommen oder gar vor Gericht | |
| gestellt. Von den Urhebern des Anschlags fehlt jede Spur. | |
| ## Erst 50 Jahre später beginnt die Aufarbeitung | |
| Es wird schließlich ein halbes Jahrhundert dauern, bis sich das ändert. Die | |
| Betreffenden entscheiden, einen Bericht über Gründe und Hintergründe ihres | |
| Anschlags zu verfassen. Ihre Überlegungen sind eingebunden in einen | |
| kollektiven Erinnerungsprozess. Als sich die 68er-Bewegung im letzten Jahr | |
| zum 50. Mal jährte, trafen sich rund dreißig ehemalige Aktivisten – zum | |
| ganz überwiegenden Teil einstige Mitglieder des legendären Sozialistischen | |
| Deutschen Studentenbundes (SDS). | |
| Die Hamburger Ehemaligen wollten es nicht bei einem einmaligen Treffen | |
| bewenden lassen, sondern einen Arbeitskreis bilden, um ihre eigene | |
| Geschichte aufzuarbeiten. Als ein Vorgriff auf diesen Schritt ist dem Autor | |
| von einem Sprecher der Ehemaligengruppe ein Anfang März 2019 verfasster | |
| Bericht zugestellt worden, in dem der Auslöser für den Anschlag im | |
| Hamburger Hafen sowie der Ablauf der Aktion minutiös dargelegt wird. Auch | |
| wenn niemand der daran Beteiligten bereit ist, mit seinem Namen | |
| nachträglich für das Geschehene einzutreten, so gibt es keinen plausiblen | |
| Grund, an der Authentizität ihrer Darstellung zu zweifeln. | |
| Es ist allgemein bekannt, dass die „Entdeckung“ der Dritten Welt samt den | |
| zahlreichen in Afrika, Asien und insbesondere in Lateinamerika aktiven | |
| Befreiungsbewegungen zu den Schwerpunkten der 68er-Bewegung zählte. Diese | |
| Hinwendung war maßgeblich durch die Nachrichten vom Vietnamkrieg befördert | |
| worden. Die grauenerregenden Bilder, die Tag für Tag von den | |
| südostasiatischen Schauplätzen per TV zu sehen waren, erschütterten | |
| insbesondere große Teile der jüngeren Generation. | |
| Der Antikolonialismus ging aber weit über Vietnam als US-Stützpunkt hinaus, | |
| denn es ging dabei auch um den Restbestand an von europäischen Mächten | |
| beherrschten Ländern wie Angola. Im Frühjahr 1969 wurde dieser Aspekt von | |
| den Protestierenden aufgegriffen. So schlug etwa der seit dem Mai 1968 | |
| wegen Verletzung der Rathaus-Bannmeile mit Haftbefehl gesuchte Karl Heinz | |
| Roth, ein SDS-Kader, die Durchführung einer eigenen Kampagne gegen den | |
| Neokolonialismus vor, in deren Verlauf auch über den von Portugal in seinen | |
| afrikanischen Kolonien praktizierten Krieg aufgeklärt werden müsse. | |
| Diese Bezugnahme kam nicht von ungefähr, denn es war den Protestierenden | |
| bereits bekannt, dass drei für die portugiesische Marine bestimmte | |
| Korvetten demnächst vom Stapel laufen sollten. Aus diesem Grunde hatte sich | |
| auch die MPLA Anfang April in Schreiben an die Geschäftsleitung sowie den | |
| Betriebsrat von Blohm & Voss gewandt und darin festgestellt, dass mit dem | |
| Bau der Kriegsschiffe eine Entscheidung für den portugiesischen | |
| Kolonialismus und damit zugleich auch für die Unterdrückung des | |
| angolanischen Volkes gefällt worden sei. | |
| Und am Ende desselben Monats meldete sich mit Amilcar Cabral der Anführer | |
| einer anderen Befreiungsbewegung, der in Guinea-Bissau – einer an der | |
| afrikanischen Westküste gelegenen portugiesischen Kolonie – aktiven Partido | |
| Africano da Independência da Guiné e Cabo Verde (PAIGC) zu Wort. Er spitzte | |
| die Vorwürfe dahingehend zu, dass die bei Blohm & Voss gebauten Fregatten | |
| „für den Völkermord im Kolonialkrieg gegen unser afrikanisches Volk | |
| bestimmt“ seien. Er richte deshalb an alle Kräfte, die sich für Recht und | |
| Freiheit einsetzen würden, „… die dringende Aufforderung, der Kollaboration | |
| zwischen den Regierungen in Bonn und Lissabon auf politischer, | |
| militärischer, wirtschaftlicher und finanzieller Ebene durch wirksame | |
| Aktionen ein Ende zu setzen“. | |
| Zur selben Zeit führte der AStA im Auditorium Maximum der Universität eine | |
| Informationsveranstaltung zu dem in immer weiteren Kreisen als skandalös | |
| betrachteten Fall des Korvettenbaus durch. SDS-Mitglieder verteilten dort | |
| ein Flugblatt, auf dem auch der Brief der MPLA abgedruckt war. | |
| ## Eine Hamburger Kommune bedenkt, was man tun kann | |
| Der Bericht aus der Gruppe von Hamburger Ex-SDSlern beginnt damit, dass der | |
| Besuch eines niederländischen Kamerateams geschildert wird, das im Herbst | |
| 1968 in einer Hamburger Kommune vorbeigekommen war, um nähere Informationen | |
| über die drei im Bau befindlichen portugiesischen Korvetten zu gewinnen. | |
| Die in der im Stadtteil Harvestehude gelegenen Hochallee 21 lebende Kommune | |
| hatte die Aufmerksamkeit des Filmteams errungen, weil in einigen zum Thema | |
| portugiesischer Kolonialismus verteilten Flugblättern ihre Adresse | |
| gestanden hatte. | |
| Nachdem der Film im niederländischen Fernsehen ausgestrahlt worden war, | |
| hatte das bereits erwähnte Angola-Komitee ebenfalls Kontakt zu den | |
| Kommunarden gesucht. Dessen Absicht war es, sich mit den Hamburger | |
| Antikolonialisten zusammenzutun, um sich über künftige Kooperationen bei | |
| der Bekämpfung des portugiesischen Kolonialismus, insbesondere dessen | |
| Unterstützung durch bundesdeutsche Rüstungskonzerne zu beraten. | |
| Dabei stellte sich heraus, dass die Niederländer über enge Kontakte zur | |
| MPLA verfügten. Resultat dieser Verbindung waren die beiden bereits | |
| erwähnten an Blohm & Voss gerichteten Briefe der MPLA gewesen. | |
| Da sich abzeichnete, dass sich Presse und Medien beim Thema Kolonialismus | |
| weitestgehend taub stellten, überlegte man, wie es gelingen könne dieses | |
| „Schweigekartell“ zu durchbrechen. Schnell reifte die Überzeugung heran, | |
| dass es einer besonders spektakulären Aktion bedürfe, um für die nötige | |
| Aufmerksamkeit zu sorgen. Auf diese Weise soll der Gedanke aufgekommen | |
| sein, einen Sprengstoffanschlag auf die im Bau befindlichen Schiffe zu | |
| verüben. | |
| ## Die Beschaffung des Sprengstoffs | |
| Um dieses Ziel zu verfolgen, mieteten sich zwei der Beteiligten im Mai 1969 | |
| einen VW-Käfer und fuhren mit ihm übers Wochenende nach Paris. Nicht aufs | |
| Geratewohl, sondern weil sie im Besitz einer Adresse waren, die Konkreteres | |
| versprach. Erster Anlaufpunkt war eine im Quartier Latin gelegene | |
| Buchhandlung. Nachdem ein zuvor ausgemachtes Losungswort genannt worden | |
| war, sei es zu dem gewünschten Kontakt gekommen. In dieser konspirativen | |
| Form ging es dann über verschiedene Umwege zu einer Wohnung, die kein | |
| Namensschild trug. Dort angekommen, musste man sich erst einmal auf eine | |
| stundenlange Diskussion über Widerstand und Politik, Einschätzungen der | |
| Sowjetunion, Kubas sowie Chinas und anderes mehr einlassen. Es schien ganz | |
| so, als habe man damit ihre Glaubwürdigkeit überprüfen wollen. Das | |
| eigentliche Ziel, Näheres über die Begehung eines Sprengstoffanschlages zu | |
| erfahren, heißt es weiter, sei dabei mit keinem Wort erwähnt worden. | |
| Anschließend ging es wieder zurück zur Buchhandlung. Dort erhielten sie | |
| lediglich den Hinweis, dass man sich bei ihnen melden würde. Doch nichts | |
| geschah. Es sah ganz so aus, als habe man die „Prüfung“ nicht bestanden | |
| oder aber als sei man ganz und gar genarrt worden. | |
| Als der Sonnabend unverrichteter Dinge vorüber war, entschied man sich am | |
| Sonntag, auf eigene Faust einen erneuten Kontakt herzustellen. | |
| Als die beiden nun in der Wohnung eintrafen, wurden sie zu ihrer nicht | |
| geringen Überraschung wie selbstverständlich in Empfang genommen. Fast | |
| schien es so, als habe auch die Hürde zur Selbstinitiative überwunden | |
| werden müssen, als sei das letztlich nur ein weiterer Schritt auf der | |
| Stufenleiter zur klandestin angelegten Zusammenarbeit gewesen. Nun stellte | |
| sich heraus, dass die Pariser Gruppe bereit war, den Hamburgern | |
| Plastiksprengstoff zur Verfügung zu stellen bzw. zum Verkauf anzubieten. | |
| Danach begann eine Unterweisung in den fachgerechten Zusammenbau eines | |
| solchen Sprengsatzes. Zum Abschluss der Instruktion hieß es lediglich, man | |
| werde von ihnen hören. Diesmal traf das auch tatsächlich zu. | |
| Zwei Wochen später wurde der Sprengstoff geliefert. Um kein unnötiges | |
| Risiko einzugehen, schaffte man die 20 Kilogramm zusammen mit den vier | |
| Detonatoren in eine in einem Hamburger Vorort gelegene, unverdächtig | |
| erscheinende Wohnung. Und um sicher zu gehen, beschloss man erst einmal | |
| eine Testsprengung zu absolvieren. | |
| Die wurde dann auf dem östlich von Rahlstedt gelegenen Truppenübungsgelände | |
| Höltigbaum durchgeführt. Der Einfachheit halber wurde die Detonation mit | |
| einem 50 Meter langen Kabel ausgelöst. Obwohl man mit 100 Gramm nur einen | |
| geringen Teil der Sprengstoffmasse benutzte, war die Wirkung so gewaltig, | |
| dass ein Baum völlig zerrissen wurde. Weil auf dem Gelände Geknalle | |
| durchaus üblich war, schöpfte offenbar niemand Verdacht. | |
| Am 12. Oktober baute man die Bombe zusammen. Als Behälter für den | |
| Sprengstoff wählte man einen Farbeimer aus und verschloss ihn mit dem | |
| dazugehörigen Blechdeckel. Um sicherzugehen, dass keine vorzeitige | |
| Explosion ausgelöst werden würde, führte man vor Ort eine letzte | |
| Funktionsmessung durch und stellte den Auslöser auf eine halbe Stunde nach | |
| sechs Uhr ein. | |
| ## Eindringen in die Werft, am Werkschutz vorbei | |
| Kurz nach Mitternacht des darauffolgenden Tages fuhr man schließlich zur | |
| Norderelbe nach Steinwerder. Den Zaun, mit dem das Werftgelände abgesichert | |
| war, zerschnitt man an einer schwer einzusehenden Stelle mit einem | |
| Bolzenschneider. Um sich zu tarnen, hatte man sich die werftüblichen | |
| Kesselanzüge und Schutzhelme besorgt. Man wusste, dass man sehr vorsichtig | |
| würde vorgehen müssen, weil die „João Coutinho“ rund um die Uhr vom | |
| Werkschutz überwacht wurde. Man wusste allerdings auch, dass deren | |
| Angehörige es mit ihren Verpflichtungen nicht immer so genau nahmen, | |
| insbesondere nicht während ihrer Nachtschichten. | |
| Und in der Tat – auch in dieser Nacht war der für die „João Coutinho“ | |
| zuständige Werkschutzmann ziemlich unaufmerksam. Er verbrachte längere Zeit | |
| in seinem am Heck des Schiffes befindlichen Aufenthaltscontainer. So gelang | |
| es den beiden Aktivisten in den frühen Morgenstunden des 13. Oktober wie | |
| geplant, diese mangelnde Überwachung auszunutzen. Einer von ihnen hangelte | |
| sich in Höhe des Schiffsbuges mittels eines Versorgungsschlauchs von der | |
| Kaimauer hinunter auf die sechs Meter darunter liegende Schute. | |
| Weil sich herausstellte, dass es von dort aus keine Möglichkeit mehr gab, | |
| an Bord der Korvette zu gelangen, blieb ihm nichts anderes übrig, als den | |
| kurz zuvor scharf geschalteten Sprengsatz in einer Wassertiefe von einem | |
| Meter zwischen Schute und Korvette abzusetzen. Als der Aktivist über den | |
| Versorgungsschlauch wieder nach oben gelangt war, konnte er beobachten, wie | |
| der Werkschutzangehörige immer noch unverändert in seiner Bude saß. Er | |
| hatte von dem gesamten Vorgang nichts mitbekommen. | |
| Trotzdem gab es noch für einen kurzen Moment die Gefahr, dass die ganze | |
| Aktion vor der Explosion aufgeflogen wäre. Denn als die beiden Bombenleger | |
| gerade dabei waren, durch das Loch im Zaun zu verschwinden, hörten sie ein | |
| „Halt, stehenbleiben!“. Das konnte nur die Stimme eines anderen | |
| Wachtpostens sein, der sie in letzter Sekunde noch beobachtet hatte. In | |
| dieser bedrohlichen Situation scheinen die deiden jedoch die Nerven | |
| behalten zu haben. Denn es heißt dazu nur, dass sie sich nicht weiter um | |
| den Wachmann gekümmert hätten. Und dieser hatte sein Misstrauen offenbar | |
| sofort wieder aufgegeben, weil es nachts ja immer mal wieder vorkam, dass | |
| Werftarbeiter das Gelände verließen, um eine nahe gelegene Kaffeeklappe | |
| aufzusuchen. | |
| ## Die Suche nach der Telefonzelle | |
| Nun blieb nur noch übrig, wie geplant vor der Sprengung zu warnen, um keine | |
| Menschenleben zu gefährden. Weil die Tagschicht um 7 Uhr begann, hatte man | |
| den Sprengmechanismus auf 6.30 Uhr gestellt. Es war verabredet worden, eine | |
| halbe Stunde vorher Polizei und Werkschutz anzurufen. Doch dann stellte | |
| sich heraus, dass die Telefonzelle defekt war. Nun gerieten die beiden doch | |
| noch in Panik. So schnell es irgendwie ging, suchten sie nach einer anderen | |
| Telefonzelle. Um 6.13 Uhr hatte man jemanden bei der Polizei erreicht und | |
| zwei Minuten später jemandem vom Werkschutz. Und weil man nicht einschätzen | |
| konnte, ob diese Anrufe überhaupt ernst genommen würden, meldete man sich | |
| um 6.20 Uhr noch ein weiteres Mal beim Werkschutz. | |
| Es war schließlich 6.32 Uhr, als die Detonation zu hören war. Der Knall war | |
| so gewaltig, dass man ihn weit über das Hafengelände hinaus in Stadtteilen | |
| wie Altona und St. Pauli mitbekommen haben dürfte. Anstelle der Korvette | |
| sank aber nur die Schute. Die „João Coutinho“ schien lediglich an ihrer | |
| Außenhaut beschädigt worden zu sein. Möglicherweise waren aber doch größere | |
| Teile in Mitleidenschaft gezogen worden. Darauf wies jedenfalls die | |
| Tatsache hin, dass das Schiff noch einmal zur Reparatur ins Dock gebracht | |
| werden musste und sich seine Auslieferung um mehrere Monate verzögerte. | |
| Den ganzen Tag über verfolgten die Gruppenmitglieder erwartungsvoll die | |
| Nachrichtensendungen. Stunde um Stunde verging, doch nichts tat sich. Der | |
| Anschlag schien keinerlei Echo ausgelöst zu haben. Warum nur? Erst in den | |
| Abendstunden wurde in den Nachrichten des 1. Programms der Anschlag | |
| ausführlicher geschildert. Dennoch schien das Ganze eine Pleite gewesen zu | |
| sein. Denn am Tag darauf stellte sich zudem heraus, dass mit Ausnahme der | |
| verhassten Springer-Presse keine einzige Zeitung, kein Magazin und keine | |
| Illustrierte über die Attacke auf die portugiesische Korvette berichtet | |
| hatte. Der 50 Jahre später entstandene Bericht endet mit dem Eingeständnis | |
| eines medialen Fehlschlags. | |
| Allein in der niederländischen Presse fand der antikolonialistische | |
| Anschlag ein größeres Echo. Erstaunlicherweise verhallte der Vorstoß auch | |
| unter den im Gefolge der 68er-Bewegung entstandenen linksradikalen | |
| Gruppierungen. Der SDS war zersplittert und befand sich bereits in | |
| Auflösung. Und weder Maoisten noch Trotzkisten, weder Kommunisten noch | |
| Anarchisten schienen gewillt zu sein, das angeprangerte Thema | |
| Rüstungsexport und Kolonialismus aufzugreifen. Nur eines verdichtete sich. | |
| Die im Mai 1970 durch die Freischießung Andreas Baaders gegründete RAF | |
| schien über engere Kontakte zu verfügen. So schilderte etwa Jutta Ditfurth | |
| in ihrer 2007 erschienenen Ulrike-Meinhof-Biografie, dass die | |
| Mitbegründerin der Stadtguerilla-Truppe an der Finanzierung des Anschlags | |
| beteiligt gewesen sei, indem sie einen Teil des für die Beschaffung des | |
| Sprengstoffs nötigen Geldbetrags besorgt habe. Und als am 13. Juni 1972 | |
| Gudrun Ensslin in einer Boutique am Jungfernstieg verhaftet wurde, fand man | |
| bei ihr nicht nur eine Schusswaffe, sondern auch den Personalausweis einer | |
| jungen Frau, deren Adresse Hochallee 21 lautete. Doch all das geriet bald | |
| in Vergessenheit. | |
| Für die beteiligten Aktivisten blieb es, wie sie heute betonen, „die | |
| einzige militante Aktion“. Die dabei eingegangenen hohen Risiken und der | |
| mediale Fehlschlag hätten zu einem Umdenken im Kampf gegen die | |
| Rüstungsexporte geführt. Man habe sich deshalb für Projekte wie | |
| Rüstungskonversion engagiert. | |
| ## Epilog: 33 Jahre danach | |
| Erst Jahrzehnte später kam es in Hamburg zu einem Anschlag, in dem für | |
| einen kurzen Moment eine Verbindung zum Geschehen des 13. Oktobers 1969 | |
| aufblitzte. In der Nacht vom 1. auf den 2. April 2012 zündeten Unbekannte | |
| in der Elbchaussee den Pkw des damaligen Blohm-&-Voss-Chefs Herbert Aly | |
| an. Auch wenn es hieß, dass bei dem Brandanschlag „keine politischen | |
| Hintergründe“ erkennbar seien, so ging man in Teilen der Presse doch davon | |
| aus, dass es sich – wie die taz zu melden wusste – um eine | |
| „antimilitaristische Aktion“ gehandelt habe. Denn es hatte in derselben | |
| Nacht noch zwei weitere, damit offenbar zusammenhängende Aktionen gegeben: | |
| einen gegen die Muehlhahn AG, eine in Wilhelmsburg angesiedelte | |
| Rüstungsfirma, gerichteten Brandanschlag, der freilich keinen größeren | |
| Schaden hatte anrichten können, und einen anderen, bei dem | |
| antimilitaristische Parolen an die Fassade einer Niederlassung der | |
| US-amerikanischen Rüstungsfirma Northrop Grumman in Hammerbrook gesprüht | |
| worden waren. | |
| Die Verantwortung für den Brandanschlag auf Alys Mercedes hat schließlich | |
| eine „Arbeitsgruppe Oktober Neunundsechzig“ übernommen. | |
| 10 Oct 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Wolfgang Kraushaar | |
| ## TAGS | |
| Studentenbewegung | |
| Portugal | |
| Hamburg | |
| Militär | |
| Wolfgang Kraushaar | |
| Gründer*innentaz | |
| Schwerpunkt 1968 | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Werftkonzern für Kriegsschiffe geplant: Regierung schmiedet Waffenschmiede | |
| Drei Schiffbauunternehmen planen einen Werftkonzern, der Marineschiffe | |
| bauen soll. Bundesregierung hat versprochen, Aufträge national zu vergeben. | |
| Wolfgang Kraushaar zur 68er-Bewegung: Als Frank Zappa kein Taxi bekam | |
| Die Chronik „Die 68er-Bewegung“ zeigt, was an den 60er-Jahre-Bewegungen | |
| fasziniert: der Gleichklang von Politik, Pop und Globalem. | |
| 40 Jahre taz: Frauenbewegung: Der Urknall feministischen Erwachens | |
| Mit einem Tomatenwurf fing alles an: Im Kaisersaal des Frankfurter Römers | |
| wurde der 50. Geburtstag der zweiten Frauenbewegung begangen. | |
| Zum Dutschke-Attentat vor 50 Jahren: Rudi Dutschke, Frau Ridder und ich | |
| Wie das Leben 68 in Berlin war: Über Dutschke, druckende Revolutionäre, die | |
| Liebe eines 14-Jährigen und eine Begegnung mit dem Tod. |