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# taz.de -- Was der Klimastreik bringt: Streber, auf die Straße
> So läufts im Leben: Man wünscht sich einen Generalstreik für den
> Klimaschutz – und bekommt ihn haarscharf nicht. Da hilft nur:
> Weiterwünschen.
Bild: Schlafend und damit streikend ließe sich die Welt vielleicht retten, bra…
Wenns doch öfter so wäre im Leben: Man wünscht sich was – [1][etwa hier in
dieser taz-kolumne einen Generalstreik] für endlich echten Klimaschutz –
und ein paar Wochen später wird es heiß und fettig geliefert.
Tatsächlich ist es ja meistens so: Man wünscht sich was – und was bald
darauf, wenn überhaupt, geliefert wird, [2][heißt Klimastreik], sieht ein
bisschen aus wie Klimastreik, ist aber nur eine stinknormale Demo, die
keinem wehtun wird. Auch die taz macht mit, Ehrensache! Trotzdem lesen Sie
heute diesen Text, heiß und fettig, und überhaupt auch sonst nicht
geeignet, das Klima zu retten. Ist ja auf Papier gedruckt.
Klar, politischer, nicht tariflichen Zwecken dienender Streik ist in
Deutschland – huch! – verboten. Dann geht’s natürlich nicht. Sorry, Kind…
Wir haben alles versucht, aber vor dem Gesetz waren uns die Hände gebunden.
Deshalb laufen seit Tagen auf allen Sender streberhafte Ratgeber rauf und
runter: Wie sag ich’s meinem Chef? Darf ich Urlaub nehmen? Überstunden
abbummeln? Die Mittagspause ausdehnen? Dreimal ja, falls – aber nur falls –
Cheffe nichts dagegen hat. Einfach losgehen? Nee. Es ist also wie damals in
der Schule, als man sich melden musste, um auf die Toilette zu dürfen.
Erniedrigend. Dann lieber sitzen bleiben.
## Was wünschen wir uns vom Traumboy Trudeau?
Wie bei vielen Wünschen, die mir in meinem Leben bisher so geliefert
wurden, muss ich also auch hier, beim Klimastreik, sagen: Entspricht nicht
ganz der Beschreibung im Katalog. Privat war das allerdings oft gar nicht
schlecht, man lernt erst Demut und merkt dann: Wünsche, so drängend,
zwingend, zehrend sie erst scheinen, sind immer nur glitzernde Reflexionen
des Moments, Blubberblasen, oder, um es andersherum, besser und mit Nick
Cave zu sagen: [3][The tears you’re crying now are just your answered
prayers]. Erst wünscht man, dann weint man.
Oder, das kommt ja auch nicht selten vor, merkt, dass das, was man bekommt
viel besser ist als das, was man wollte. Ich bezweifle allerdings stark,
dass wir, also so als Gesamtmenschheit, in den Fluten der Polkappen sagen:
Hey, eigentlich viel hübscher so, warum jahrelang der ganze Fuzz mit dem
Klimaschutz? Den Infinity-Pool vor der Haustür hätten wir lieber schon
früher gehabt. Die Chefs, die ihren Mitarbeitern am Freitag gnädig eine
verlängerte Pinkelpause zum Streiken gewährt haben, werden dann
wahrscheinlich lachend und trockenen Fußes in Helikoptern über uns kreisen.
Apropos wünschen und weinen: Ich stelle mir vor, wie die Leute, die den
kanadischen Traumboy von einem Premierminister, Justin Trudeau,
zurücktreten sehen wollen, heulen, wenn ihnen der Nachfolger auch nicht
passt. Man muss sich nur mal die globale Auswahl an Regierungschefs
anschauen, da ist viel Luft nach unten.
Sicher, nur weil es schlimmer immer geht, heißt das nicht, dass man es
nicht trotzdem besser machen soll. Und ja: Blackfacing, also sich als
weißer Mensch das Gesicht schwarz schminken, ist rassistisch und völlig
daneben. Punkt.
## Mehr Strafe schafft mehr Lüge
Aber erstens lernt vermutlich jeder unweigerlich in zwanzig Lebensjahren –
[4][so lange ist Trudeaus Faschings-Fauxpas her] – einiges dazu. Zumindest
diese Möglichkeit sollte jeder jedem einräumen, sonst wird’s irgendwann
schwierig mit dem Zusammenleben. Zweitens geht’s in der Politik nicht um
Unbeflecktheit (wer die will, kann in die Kirche gehen), sondern darum, ein
paar Dinge zu verbessern. Ob das jemand schafft, ist bei Politikern meist
recht gut messbar. Und drittens ist Kritik, auch an persönlichem Verhalten,
natürlich trotzdem notwendig, damit sich was ändert,
gesamtgesellschaftlich.
Ich frage mich nur, ob dieser unerbittliche Tonfall dabei hilft. Der fällt
in [5][der allgemeinen Debatte auf], nicht nur bei Trudeau. Beim
kanadischen Premier regt jetzt viele auf, dass er nicht früher seinen
Fehltritt öffentlich gemacht hat. Mal ehrlich, Leute: der Mutter, die bei
jeder Schwindelei, bei jedem geklauten Keks Fernsehverbot und Hausarrest
erteilt hat – hat man der freimütig alles gestanden? Das mag jetzt
Küchenpsychologie sein, aber ich schätze, Angst vor Strafe schafft mehr
Lügen und damit mehr Probleme, als nötig wären.
Womit ich wieder beim Klima bin. Das globale, meteorologische kann ich als
Journalist nicht ändern. Das gesellschaftliche vielleicht ein bisschen
schon. Deshalb riskier ich es zum Schluss und wünsch mir was: ein Klima, in
dem jeder frei über seine Fehler sprechen kann. Ohne Angst, sofort
gecancelled zu werden.
Mag sein, ich weine, wenn mir dieser Wunsch irgendwann frei Haus geliefert
wird. Weil er nicht mehr passt, zu grell ausfällt oder was weiß ich. Aber
ich glaube trotzdem, dass der einzige Weg nach vorne (und zurück in
irgendwelche schrecklich besseren Zeiten geht’s ja sowieso nicht) dieser
ist: wünschen, weinen, revidieren, neu wünschen. Immer wieder.
22 Sep 2019
## LINKS
[1] /Kolumne-Der-rote-Faden/!5577868
[2] /Greta-Thunberg-in-New-York/!5627838
[3] https://youtu.be/uny3pYb1fsI
[4] /Justin-Trudeaus-Blackfacing/!5627564
[5] /Roxane-Gay-ueber-Feminismus-und-MeToo/!5606954
## AUTOREN
Ariane Lemme
## TAGS
Kolumne Der rote Faden
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Generalstreik
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