# taz.de -- Darren McGarvey über Armut: Aus der verwalteten Schicht | |
> Rapper McGarvey schreibt in seinem Buch „Armutssafari“ über die englische | |
> Unterschicht. Er fordert, dass sich die Debatte über Armut ändern muss. | |
Bild: Prekäre Existenzen am Rande, zerbrochene Familien: darum geht es in McGa… | |
Eigentlich schreiben Männer wie Darren McGarvey keine Bücher. Männer wie | |
er, die in den Randbezirken der britischen Großstädte leben, mit | |
Drogenkonsum den bohrenden Schmerz in sich betäuben und obendrein von | |
Obdachlosigkeit bedroht sind, verfügen für gewöhnlich nicht über die | |
nötigen Ressourcen – sprachlicher oder materieller Natur. Trotzdem hat | |
McGarvey mit „Armutssafari“ ein Buch vorgelegt. Und was für eines! | |
[1][Um die englische Unterschicht geht es]. Um prekäre Existenzen am Rande, | |
um zerbrochene Familien. Aber auch um die politischen Auswirkungen für eine | |
Gesellschaft, die einen Teil von sich wahlweise als Schmarotzer oder | |
Adressaten gut gemeinter, aber schlecht umgesetzter Hilfsprogramme | |
betrachtet. | |
Streckenweise liest es sich wie ein Rant, eine Wutrede, die im Flow eines | |
Raps daherkommt. Dabei gelingt es McGarvey, beim Leser Verständnis für die | |
Randexistenzen zu erzeugen, ohne je zu verharmlosen, dass Teile ihrer | |
Probleme hausgemacht sind. McGarvey spielt gekonnt mit den Bildern, die die | |
Mittelschicht sich von einem wie ihm macht. | |
Natürlich bedient er den Topos des angry young man, des vermeintlich | |
einfachen Mannes aus der Arbeiterklasse, der sich eine Stimme erkämpft hat. | |
Etwas unterscheidet McGarvey von vielen anderen Männern aus Pollok, dem | |
Randbezirk von Glasgow, in dem er aufwuchs und in dem die alkoholkranke | |
Mutter ihn und seinen Vater zurückließ: Die Rapkultur verlieh ihm eine | |
Stimme. | |
Eher zufällig mauserte sich der junge Mann zudem zum Vorzeigekommentator, | |
wenn es darum ging, dem BBC-Publikum von jener seltsamen Lebensform, die | |
die deutsche Soziologie mit dem Begriff „abgehängtes Prekariat“ bedenkt, zu | |
berichten. | |
Die Story von der aggressiven, drogenabhängigen, sehr früh verstorbenen | |
Mutter, die er auch in „Armutssafari“ schildert, verschaffte dem jungen | |
Mann Aufmerksamkeit, man ließ ihn gar Radiosendungen moderieren. Aber alle | |
Empfänglichkeit für seine Geschichte endete stets da, wo er konkrete | |
Forderungen an die Politik stellte oder die Missstände der Armutsindustrie | |
aufzeigte. | |
## Der Unterschied zu anderen Wütenden | |
Und das ist der Kern dieses Buches: Die autobiografische Erzählung und die | |
Bilderflut vom gesellschaftlichen Rand sind das Vehikel, mit dem McGarvey | |
seine eigentliche Botschaft transportiert: Längst hat sich eine ganze | |
Industrie um die Armut gebildet, die sie einhegt und soziologisch | |
betrachtet. Ihr Ziel scheint die Verwaltung der Armut zu sein, nicht ihre | |
Abschaffung. | |
Während Gesetze und Regularien Bürgerinitiativen vor Ort eher behindern und | |
ihnen Geldmittel verweigern, werden teure, fernab von den betroffenen | |
Communities erdachte Sozialprogramme in den Problemvororten implementiert. | |
Sie kreieren Jobs für wohlmeinende Bürger der Mittelschicht – für all die | |
Sozialarbeiter, Juristen und Studenten auf der Suche nach praktischer | |
Lebenserfahrung und sozialem Engagement, das sich gut auf ihrem Curriculum | |
Vitae macht. Aber sie schweben oft genug als Fremdkörper in einem sozialen | |
Raum, der sie mit Argwohn betrachtet. McGarvey geht es nicht darum, | |
einseitig die Austeritätspolitik [2][der Tory-Regierungen der letzten | |
Jahre] zu brandmarken, obwohl sie Anteil hat an der weiteren Verelendung | |
der Problembezirke. | |
Stattdessen formuliert er einen Appell an alle politischen | |
Verantwortlichen, den Randständigen und prekären Existenzen Mittel zur | |
Selbsthilfe zukommen zu lassen. Und all das mit den rhetorisch glänzenden | |
Mitteln eines Autors, der angeblich nicht den langen Atem für Buchlektüren | |
aufbringen kann. Was man als britisches Understatement werten könnte, ist | |
tatsächlich brillant kalkuliert. | |
McGarvey findet eine Sprache, die Wut und Trauer transportiert, aber die | |
Empfängerin seiner Botschaft, die Mittelschicht, nicht entfremdet. Das | |
unterscheidet ihn von den anderen Wütenden, die nicht die sprachlichen | |
Register ziehen können, die sie zu BBC-Auftritten befähigen. Allenfalls | |
landen sie als Objekte des Spotts in Armutspornos wie „Benefits Street“. | |
Darren McGarvey findet die richtigen Worte für seine Message. Man kann nur | |
hoffen, dass sie irgendwann politische Folgen hat. | |
20 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Marlen Hobrack | |
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