# taz.de -- E-Mobilität und Autonomes Fahren: Wozu noch Autos? | |
> Wenn das autonome Fahren kommt, wird sich unsere Mobilität erheblich | |
> verändern. Das Thema wird aber reichlich fantasielos diskutiert. | |
Bild: Bei E-Autos ist das Laden der Fahrzeuge häufig ein Problem – es gibt n… | |
Die Zeit ist reif für ein Gedankenspiel. An dessen Ende könnte die | |
Erkenntnis stehen, dass die Ladebox für das eigene Elektroauto künftig | |
genau so überflüssig sein wird wie überhaupt die eigene Garage. | |
Doch der Reihe nach. Es soll bei diesem Gedankenspiel um das autonome | |
Fahren gehen. Denn dieses dürfte die Art und Weise, wie wir unsere | |
[1][Mobilität organisieren], stärker verändern, als es viele Akteure in | |
unserer Gesellschaft heute noch glauben. Selbst Verkehrsexperten zeigen | |
sich mitunter noch reichlich fantasielos, wenn es darum geht, die Bedeutung | |
dieser technischen Entwicklung zu ermessen. | |
Zum Beispiel erklärte ein Vertreter des Verkehrsclubs VCD kürzlich, für | |
seine verkehrspolitischen Zukunftsbetrachtungen spiele das autonome Fahren | |
noch keine Rolle, denn mit dieser Technik würden ja nur | |
Oberklasse-Fahrzeuge ausgestattet. Und die könnten sich schließlich nur | |
wenige Autofahrer leisten. | |
Welch eingegrenzte Sichtweise! Denn warum, bitteschön, sollte man sich ein | |
autonom fahrendes Auto überhaupt kaufen? Denn dieses kommt angefahren, wenn | |
man es braucht, gerufen per App. Der Preis des Fahrzeugs spielt dann für | |
den Nutzer keine Rolle, sondern nur der Preis pro Fahrtkilometer. Sich ein | |
autonom fahrendes Auto zu kaufen, ist ähnlich sinnvoll, wie sich ein | |
Restaurant zu kaufen, weil man gerne essen geht. | |
## Unsere Kinder werden kein Auto brauchen | |
Das autonom fahrende Auto, davon sollte man ausgehen, wird unser | |
[2][tradiertes Verhältnis zum Pkw] massiv verändern. Die Unterscheidung | |
zwischen Individualverkehr und öffentlichem Verkehr wird verschwimmen. Und | |
manche [3][Berufe werden aussterben]: Kein Mensch wird mehr einen | |
Taxifahrer brauchen, einen Fahrlehrer auch nicht. Die Kinder, die heute die | |
Kindergärten besuchen, werden vermutlich keinen Führerschein mehr machen, | |
weil sie ihn schlicht nicht mehr benötigen. | |
Denn das autonome Fahren schreitet mit Macht voran – Ingenieure haben | |
verschiedene Level definiert. Aktuell sind Fahrerassistenzsysteme (Level 1) | |
schon weit verbreitet. Manche Fahrzeuge verfügen bereits über Komponenten | |
von Level 2 („Teilautomatisiertes Fahren“). Dazu zählt ferngesteuertes | |
Einparken. Auch Level 3 („Hochautomatisiertes Fahren“) wird in | |
Forschungsfahrzeugen schon getestet. Dann folgt Level 4 | |
(„Vollautomatisiertes Fahren“), wobei der Fahrer nur noch in Bereitschaft | |
wacht, um notfalls einzugreifen. Bei Level 5 werden alle Personen im Wagen | |
zu Passagieren. | |
Der Zürcher Zukunftsforscher Lars Thomsen geht davon aus, dass Level 5 im | |
Jahr 2026 erreicht sein wird. Dann werde man die ersten Fahrzeuge sehen, | |
die völlig selbstständig agieren, die keinen Fahrer mehr haben und nicht | |
einmal mehr ein Lenkrad, allenfalls noch einen Notausknopf. | |
## Potentielles Ziel für Hacker | |
Die Begleiterscheinungen dieser Technik sind vielfältig, einige auch | |
heikel. Man wird in enormem Ausmaß dezentrale Serverkapazitäten aufbauen | |
müssen, um Latenzzeiten der Kommunikation zu minimieren. Man wird | |
gigantische Datenmengen verarbeiten müssen, was – 5G lässt grüßen – ein… | |
enormen Ausbau des Mobilfunks erfordert und viel Energie kostet. Ferner | |
werden personenbezogene Daten in großer Menge anfallen. Und für Hacker wird | |
das Verkehrssystem ein potenzielles Ziel werden. | |
Alle diese Konsequenzen sind erheblich, aber sie sollen hier nicht das | |
vorherrschende Thema sein. Vielmehr soll sich dieses Gedankenspiel um die | |
Frage drehen, was das vollständig autonome Auto für die Städte bedeutet. | |
Der Kerngedanke: Weil eigene Autos durch solche von Mobilitätsanbietern | |
ersetzt werden, kommt jedes Fahrzeug erst angerollt, wenn man es braucht. | |
Pkws, die – wie heute – im Durchschnitt 23 Stunden am Tag herumstehen, | |
werden dann Geschichte sein. Künftig werden die Fahrzeuge im Laufe des | |
Tages eine Vielzahl von Passagieren befördern; ob nacheinander oder – bei | |
gleicher Route – auch gemeinsam, entscheidet der Kunde. Wer unbedingt | |
allein fahren will, bezahlt dann eben mehr für den Kilometer. | |
## Die Chancen des autonomen Fahrens | |
Selbst wenn die Menschen dann nicht weniger unterwegs sein werden als | |
heute, wird es möglich sein, dieses Mobilitätsbedürfnis mit deutlich | |
weniger Fahrzeugen zu befriedigen. Damit werden in großem Stil Parkplätze | |
in den Städten frei. Das ist die große Chance des autonomen Fahrens. (Neben | |
dem Vorteil der verbesserten Sicherheit, weil autonome Autos sich stets ans | |
Tempolimit halten, weil Autos niemals alkoholisiert fahren, nie übermüdet | |
sind oder senil werden, weil sie über kein Testosteron verfügen, und – | |
anders als der Mensch – gleichzeitig konzentriert fahren und Mails checken | |
können.) | |
Vor allem sollten sich jene Akteure die Mobilität der Zukunft vor Augen | |
halten, die heute Entscheidungen für Jahrzehnte treffen – also speziell in | |
den Sektoren Hausbau und Stadtplanung. So wirft das autonome Fahren | |
zwingend die Frage auf, ob es heute noch sinnvoll ist, Häuser durch teure | |
Tiefgaragen noch teurer zu machen. | |
Geht man davon aus, dass das Fahrzeug der Zukunft elektrisch fährt, ist es | |
zudem sinnvoll, auch bei der Planung der Ladeinfrastruktur das autonome | |
Fahren zu antizipieren. Denn wer kein eigenes Auto mehr fährt, braucht auch | |
keine Ladebox in der Garage mehr. Und die öffentlichen Ladestationen | |
befinden sich idealerweise dort, wo die fahrerlosen Autos ohnehin | |
verweilen, wenn sie gerade nicht gebucht sind. Das wird vermutlich eher in | |
einem Industriegebiet der Stadt sein, als an einer Tankstelle an der | |
Autobahn. | |
## Die Gedanken spielen lassen | |
Über Details der Entwicklung kann man freilich spekulieren. Sicher aber | |
ist: Wenn der neue Modebegriff der Disruption irgendwo passt, dann beim | |
autonomen Fahren und dessen Folgen für unsere Mobilität. Autohersteller und | |
Verkehrsunternehmen sowie die Googles und Ubers der Welt haben das | |
begriffen. In der Öffentlichkeit hingegen werden die Umbrüche bislang kaum | |
diskutiert. Unbefangene Gedankenspiele können helfen, das zu ändern. | |
14 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Bernward Janzing | |
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