# taz.de -- Protest gegen Kulturradio-Reformen: Klassik ohne Worte | |
> Reformen bei den Kulturradios des HR und des RBB verunsichern die Macher | |
> und Hörer. Die Sender setzen einiges aufs Spiel. | |
Bild: rbbKultur muss ab 2021 mit einer Million Euro weniger auskommen | |
Ulrich Wickert ist bekannt als langjähriger Moderator der ARD-Tagesthemen, | |
war aber vor seiner Fernsehzeit beim Radio. Aus aktuellem Anlass erinnert | |
er sich. „60 Minuten“ lange Wortsendungen habe er damals produziert. „Das | |
Wort hat seine Berechtigung!“, proklamiert er. | |
Wickert hat mit diesen Worten die Unterschrift unter eine Petition | |
garniert, die mittlerweile mehr als 8.900 Menschen unterzeichnet haben. Sie | |
richtet sich gegen [1][eine Radikalreform des Senders HR2-Kultur], die im | |
kommenden Frühjahr wirksam werden soll. Kritiker wie Wickert befürchten | |
eine weitgehende Entwortung, weil in den ersten Ankündigungen des Senders | |
zur Zukunft von HR2-Kultur der Begriff „Klassikwelle“ auftauchte. | |
Gegenüber der taz sagt HR-Sprecher Christoph Hammerschmidt, indem man den | |
„Arbeitsbegriff ‚Klassikwelle‘“ verwendet habe, sei man in die | |
„Framing-Falle“ getappt. Kürzlich sah sich der HR genötigt, auf seiner | |
Website einen [2][„Faktencheck‚ Digitale Neuausrichtung & hr2-kultur‘“]… | |
veröffentlichen – um den Eindruck zu erwecken, die Kritiker hätten ungefähr | |
alles falsch verstanden. Im wolkigen Unternehmensberatersprech heißt es | |
dort, die geplanten Veränderungen seien „Teil des Strategieprozesses ‚hr im | |
digitalen Wandel‘“. | |
Eine andere Kommunikations-Besonderheit in den Ankündigung des HR: der | |
Begriff „durchhörbar“. Das Wort bringt offensiv die Geringschätzung des | |
Publikums zum Ausdruck, das vermeintlich nicht in der Lage ist, wechselnde | |
Anmutungen, Stimmungen und Themen zu verkraften. Vor ein paar Jahren hätte | |
kein Sendervertreter zugegeben, dass er Durchhörbarkeit anstrebt. Die | |
Grenzen des Sagbaren haben sich halt verschoben. | |
## Mehr Wiederholungen, mehr Livegespräche | |
Einen Teil der bisherigen HR2-Inhalte will der HR nach eigenen Angaben auf | |
digitalen Wegen unters Volk bringen. „Sparvorgaben“ gebe es aber nicht, | |
sagt HR-Sprecher Hammerschmidt. Das kann man als Anspielung auf den RBB | |
interpretieren, wo ebenfalls Veränderungen bei der Kulturwelle anstehen: | |
rbbKultur muss ab 2021 mit 1 Million Euro weniger auskommen. 3.000 Euro am | |
Tag müssten gespart werden, rechnet ein Mitglied der RBB-Freienvertretung | |
vor. Die mutmaßlichen Folgen: mehr Wiederholungen, mehr Livegespräche, | |
weniger Aufträge für Freie. | |
Patricia Schlesinger, die Intendantin des RBB, sicherte kürzlich in der | |
Rundfunkratssitzung zu, dass der Sender „mittelfristig nicht weniger Kultur | |
im Programm haben“ wolle, „sondern – über alle Ausspielwege – mehr, un… | |
noch besserer Qualität“. Das erinnert etwas an die bizarren | |
Argumentationsfiguren großer deutscher Verlage, die die Entlassungen von | |
Redakteuren mit der Ankündigung verknüpfen, der Journalismus des Hauses | |
werde künftig „noch besser“. | |
Die Sache ist komplex: Sowohl HR2-Kultur als auch rbbKultur sind durchaus | |
reformbedürftig, denn sie fühlen sich eher einem alten Kulturbegriff | |
verpflichtet. Das führt dann zu recht skurrilen Konstellationen. Die | |
tendenziell kulturkonservative FAZ macht mobil für den Erhalt von HR2 | |
Kultur in den bisherigen Form – obwohl die Medienseite der FAZ in der Regel | |
ein zentraler Kampfplatz für anti-öffentlich-rechtlichen | |
Kampagnenjournalismus ist. | |
Beim RBB kommt noch ein Problem hinzu, das eigentlich keines sein müsste: | |
Der im Mai 2019 zwischen dem Sender und den Journalistengewerkschaften | |
ausgehandelten Honorartarifvertrag sieht bessere Bedingungen für freie | |
Autoren ab 2020 vor. Unter anderem soll künftig der Aufwand, den man für | |
einen Beitrag hat, mit in das Honorar einfließen. Das könnte zur Folge | |
haben, dass besonders aufwendige Beiträge gar nicht erst in Auftrag gegeben | |
werden. | |
## Jünger, digitaler – wortkarger? | |
Wir müssen jünger und digitaler werden – das ist, vereinfacht gesagt, die | |
Argumentation beider ARD-Häuser, und damit können die Funktionäre natürlich | |
erst einmal punkten. Jung versus alt, digital versus linear – diese in | |
Debatten ohnehin überstrapazierten Gegensätze verdecken allerdings, dass | |
mit den in Frankfurt und Berlin anvisierten Vorhaben eine in der ARD | |
verbreitete unselige Reformtradition fortgesetzt wird. | |
Nischen, nein danke – das ist die Devise. So war es 2008, als der HR die | |
musikjournalistischen Sendungen „Der Ball ist rund“ und „hr3-Rebell“ | |
absetzte, so war es 2016, als der Umwandlung des senderübergreifenden, | |
federführend vom WDR betreuten Programms Funkhaus Europa zu Cosmo | |
Autorenformate zum Opfer fielen, und so war es in diesem Frühjahr, als WDR | |
3 sich musikjournalistischer Angebote entledigte. | |
Kein Wunder, dass die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste angesichts | |
systematischer Verflachung nun [3][so eine Art Systemfrage stellt]: „Was | |
ist öffentlich-rechtliche Kultur heute? Genügt sie noch den ideellen | |
Gesichtspunkten, die nach einer politisch-moralischen Katastrophe (die auch | |
eine Medien-Katastrophe war) zur Etablierung eines föderal strukturierten, | |
durch Gebühren finanzierten, also öffentlich subventionierten Rundfunks in | |
Deutschland führte?“ Um diese Fragen dürfte es dann auch bei der | |
Veranstaltung „hr2 minus Kultur?“ gehen, die am 1. Oktober in der Deutschen | |
Nationalbibliothek in Frankfurt stattfindet. | |
13 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Neues-Hoerfunk-Programm/!5608091 | |
[2] https://www.hr.de/unternehmen/backstage-und-meldungen/archiv-medienpolitik/… | |
[3] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/verletzte-pflicht-die-deutsch… | |
## AUTOREN | |
René Martens | |
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