Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neues Album von Devendra Banhart: Monkeybusiness und Mama
> „Ma“ heißt das neue Album des kalifornischen Künstlers Devendra Banhart.
> In den Popsongs ist er von seinen Folkwurzeln weiter denn je entfernt.
Bild: Immer im Bild: Devendra Banhart
Den Tanzbereich zwischen René Magritte (Pfeife) und Groucho Marx (Zigarre),
zwischen Äppelwoi und Apple Watch füllt in diesen mitunter schweren Tagen
ein ehrenwerter Zeitgenosse mit neuem Leben und trägt sein Scherflein dazu
bei, das Leben erträglich klingen zu lassen: der kalifornische Künstler
Devendra Banhart. Banhart, der nur aussieht wie ein Barde, aber keinesfalls
auf diese Rolle abonniert ist, mischt auf seiner Palette Malerei, Poesie
und die große alte Tradition des Songwriting zu immer neuen Drip-Paintings
an.
Was da beständig an Kreativem tropft, macht HörerInnen, LeserInnen und
Ausstellungsbesucher glücklich. Hinzu kommt dann noch kalifornische
Ganzheitlichkeit, ein Einssein mit den Zyklen der Natur: „Was mich seit
jeher reizt, ist, der Kunstform Album Neues abzugewinnen: Wenn ich es
schaffe, dass mein Album klingt, als beginne es bei Tagesanbruch und ende
mit dem Sonnenuntergang, dann ist es gut. Dichotomien wie Tag/Nacht sind
für mich quasi intuitiv.“ Was sein neues Werk „Ma“ anbelangt, stehen an
seinem Anfang Songs für die Happy Hour, in der zweiten Hälfte wird es
dämmerig.
„Is this nice? Do you like it?/Woohoohoo.“ Der Auftaktsong „Is this nice?…
besteht aus lauter an sich verbotenen rhetorischen Fragen, die Banhart
unnachahmlich mit seiner Malzbonbonstimme weichlutscht: „Is this real? Do I
mean it?/ Woohoohoo.“ Natürlich meint Banhart nie genau das, was er,
weggehauen von der Realität, wie er nun mal ist, besingt. Deshalb darf an
dieser Stelle kurz an seinen zweiten Namen Obi erinnert werden, den
Banharts Eltern zu Ehren von Obi Wan Kenobi gewählt haben, dem
Jedi-Diplomaten und Lichtschwertexperten aus „Star Wars“, der Finsterfurz
Darth auf Abstand hält.
## Im Yacht-Rock-Zaubertrank
Auf „Ma“ bleibt Devendra Obi Banhart allerdings down to earth und ist auch
mal schmallippig; was die Arrangements der 13 neuen Songs anbelangt, gibt
sich der Kalifornier sehr behutsam, tapst – anders als früher – auch mal
auf leisen Pfoten umher. Die Arbeit in einem alten Aufnahmestudio in Big
Sur mit seiner Stammband, zu der unter anderem der Arrangeur Noah Georgeson
und der brasilianische Gitarrist Rodrigo Amarante gehören, hat reiche
Früchte abgeworfen. „Ma“ klingt, als sei Banhart, der alte Freak-Folkie, in
einen Yacht-Rock-Zaubertrank gefallen und mit Kuschel-Arrangements verjüngt
wieder herausgekommen. Bei dem Song [1][„Memorial“] winkt sogar Leonard
Cohen von weitem aus dem ewigen Singer-Songwriter-Parlament herunter.
„Ma“ transportiert nicht nur den englischen Kosenamen für Mama im Titel, in
den Songs macht sich Banhart auch des Öfteren Gedanken über die
mütterlichen Qualitäten von Musik. „Kunst ist die Mutter aller Schlachten�…
sagt er. Auch wieder so eine Sentenz, die man erst mal sacken lassen muss.
In seiner Jugend spendeten ihm die „nahrhaften“ (Banhart) Songs der
britischen Folksängerin Vashti Bunyan Energie. Wenn er erschöpft war, sich
alleine fühlte, hungrig oder müde, erzählt Banhart, war es Zeit, sich
Bunyans Musik anzuhören.
Für „Ma“ hat er Bunyan, an deren Renaissance er Anfang der nuller Jahre
Anteil hatte, bei der ätherischen Ballade „Will I see you tonight“
dazugebeten. Man kann sich kaum ein feierlicheres Finale vorstellen! „Ja“,
erklärt der Künstler der taz, frisch eingetroffen in Berlin und noch völlig
außer Atem, aber in einer unglaublichen Jivamukti-Yogastellung dasitzend:
„Wir wenden uns doch in erster Linie der Kunst zu, um von ihr getröstet zu
werden. Wir wollen gerne dazugehören, dafür ist Mutter da: Sie gibt uns das
Gefühl, dass wir zur Welt gehören.“
## Nicht dazugehören
Devendras Erleuchtung schiebt Obi gleich eine interessante Erweiterung
hinterher: „Selbst wer nicht findet, dass er zur Welt gehört, wendet sich
der Kunst zu, weil er Gleichgesinnte zu finden hofft, die auch nicht
dazugehören.“
Früher war Devendra Banhart in seinen Songs für jedes hippieske Getöse zu
haben, Legion sind die Abschweifungen und skizzenhaften Troubadour-Songs
wie „I just feel like a child“ und Oden an Hildegard von Bingen in
Fantasiedeutsch. Inzwischen ist der 38-Jährige in der Öffentlichkeit
erwachsen geworden, dankenswerterweise kommen die Songs auf „Ma“ ohne das
unangenehm Abgerockte aus, das Adult-Contemporary-Musik im Normalfall so
schwer erträglich macht.
Für Banhart-Verhältnisse ist „Ma“ ein [2][Popalbum], delikat arrangiert b…
ins letzte Saxofonsäuseln und nah mikrofoniert, so dass seine spitzbübische
Baritonstimme angenehm kirschkernkissenhaft abstrahlt. „Ich wurde ja schon
so manches geziehen, aber Pop schlägt dem Fass den Boden aus. Pop ist
Monkeybusiness. Spotify hin, Soundcloud her, die Leute hören doch in ihren
Playlisten gar nicht querbeet, die hören den immer gleichen Scheiß.“ Seine
Musik nimmt freundlich grüßend Platz zwischen Marc Bolan, dem Trap-Rapper 2
Chainz und dem brasilianischen Künstler Chico Buarque, vor dessen
Inszenierungsstrategien Banhart in einem portugiesisch gesungenen Song den
Hut zieht.
## Trost von Carol
Auch Carol King taucht als Co-Komponistin auf. Deren Song „Far Away“ hatte
sich Banhart zum Trost reingepfiffen, als Donald Trump das Präsidentenamt
übernommen hatte. Und nun lässt sich Banhart zu „Taking a Page“
inspirieren, einem Song, der „Far Away“ elegant abwandelt, aus rechtlichen
Gründen ihren Namen nennt. Wo die US-Regierung an der mexikanischen Grenze
eine Mauer hochzieht, macht Banhart weiter auf und singt gleich [3][drei
Songs] auf Spanisch. Der Künstler, der eine venezolanische Mutter hat,
erklärt das so: „Ich sehe ja, wie die USA in der Apokalypse versinken, ist
doch klar, dass Spanisch wichtiger wird. Mit meiner Familie spreche ich
ohnehin Spanisch. Und dieses hispanische Bewusstsein spielt die gleiche
Rolle auf dem Album wie das mütterliche Bewusstsein.“
Das weiche Spanisch liegt Banhart, es macht die Hooklines noch
einschmeichelnder. Der Wohlklang ist aber nicht mit Kunsthandwerk zu
verwechseln. Dafür ziehen zu starke Fliehkräfte an Banhart: „Ich muss meine
Lyrics immer laut sprechen. So kann ich feststellen, ob sie sich eher als
Gedicht eignen oder zum Songtext werden. Lyrics sind Worte, die Musik
benötigen. Gedichte sind Worte, die keine Musik brauchen oder auf Stille
beruhen.“
Im Frühjahr hat Devendra Banhart den Band [4][„Weeping Gang Bliss Void
Yab-Yum“] mit Gedichten und Zeichnungen veröffentlicht. „Des Geldes wegen!…
Schöne, scheinbar harmlose Schnurren über Schnuller saugende Raver, die
inzwischen Väter sind, lassen sich darin finden. Ein Haiku über jemand, der
aussieht wie der besoffene Orson Welles auf YouTube. Oder das hier: „Like
an ex-con / at a nail salon/ I’m hangin’ on.“ Was will uns der Dichter
damit sagen? „In dem Nagelstudio habe ich mir meine Fingernägel lackieren
lassen, anlässlich meines letzten Geburtstags.“
Zwischen Mutter und Ma ist noch ein weiterer, semantischer Unterschied. „Im
Japanischen bedeutet ‚ma‘ Raum, aber es benennt gleichzeitig auch das
Verhältnis zwischen Objekt und Raum.“ Obi zeigt bedeutungsschwanger auf ein
leeres Wasserglas, nimmt es in die Hand, schwenkt es in Zeitlupe. „Seine
Essenz ist der Raum. Und das entspricht wiederum dem Verhältnis zwischen
Stille und Musik. Eigentlich gibt es in der Musik keine Stille, aber es
gibt Raum zwischen den Noten, um Atmosphäre zu kreieren.“
9 Sep 2019
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=qEWCnPdczbk
[2] https://www.youtube.com/watch?v=WB5Gypm4fHo
[3] https://www.youtube.com/watch?v=2wNWYjzQc5c
[4] http://www.featherproof.com/catalog/weeping-gang-bliss-void-yab-yum-devendr…
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Devendra Banhart
Yacht Rock
Gedichte
Memoiren
USA
Synthie-Pop
Schwerpunkt Rassismus
Feminismus
Taylor Swift
## ARTIKEL ZUM THEMA
Memoiren der Folk-Sängerin Vashti Bunyan: Die Frau auf dem Pferdewagen
Die britische Musikerin Vashti Bunyan veröffentlicht ihre Memoiren. Darin
erzählt sie die Geschichte ihres mysteriösen Abtauchens in den 60ern.
Neues Album der Band Wilco: Geradlinige Freude
Wohin marschiert dieser Zug? Die Band Wilco aus Chicago testet in „Ode to
Joy“, was in ausufernder US-Rockmusik noch für Leben steckt.
Molly Nilsson über ihre Musik: „Ich liebe Humor“
Synthie-Pop-Musikerin Nilsson spricht über die Schönheit der
Volkshochschule, Kreditkartennummern und die Frage, wann ein Album fertig
ist.
Rapperin Ebow über Identität: „Wir müssen nicht mehr stark sein“
Ebow rappt gegen Rassismus, kulturelle Aneignung und Sexismus. Gangster-Rap
verteidigt sie trotzdem. Ein Gespräch über Zusammenhalt in den eigenen
Reihen.
Musikerin Ilgen-Nur über Hass im Netz: „Ich blockiere täglich Männer“
Berlins neue Indie-Hoffnung Ilgen-Nur will Teenagerinnen inspirieren, regt
sich über Cis-Frauen-Feminismus auf und fühlt sich von Hatern bestätigt.
Aktivismus von Taylor Swift: Alles nur Kalkül?
Die US-Pop-Sängerin Taylor Swift zeigt sich mit ihrem neuen Album „Lover“
kämpferisch wie eh und je. Warum eckt sie damit so an?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.