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# taz.de -- Molly Nilsson über ihre Musik: „Ich liebe Humor“
> Synthie-Pop-Musikerin Nilsson spricht über die Schönheit der
> Volkshochschule, Kreditkartennummern und die Frage, wann ein Album fertig
> ist.
Bild: Molly Nilsson tourt seit zehn Jahren durch die Welt und bringt jährlich …
taz am wochenende: Sie waren viel unterwegs in den letzten Monaten. Was hat
Ihnen am besten gefallen?
Molly Nilsson: Ich mag Städte.
Weil Sie in einer aufgewachsen sind?
Ja, ich bin in Stockholm aufgewachsen und habe da bis zu meinem 19.
Lebensjahr gewohnt. Deswegen mag ich das Chaos, die Anonymität und das
Leben auf den Straßen. Letztens war ich in New York und hatte einen
emotionalen Tag. Also bin durch die Straßen gezogen und habe die Menschen
beobachtet. Das hat geholfen. Für mich fühlt sich das so an wie für andere
Menschen [1][ein Aufenthalt im Wald].
Wie denn?
Es ist dieses Gefühl, im Jetzt und total ruhig zu sein. So beschreiben das
jedenfalls viele Menschen, wenn sie im Wald waren. Für mich klingt das
langweilig. Mit Bäumen kann ich nichts anfangen. Aber Menschenmassen
regenerieren mich sofort.
In einigen Interviews mit Ihnen liest man, dass Sie gerade Japanisch
lernen.
Ich habe jedenfalls damit angefangen.
Wieso?
Ich will [2][viele verschiedene Sprachen ein bisschen lernen], damit ich
verstehen kann, wie sie funktionieren. Das beinhaltet oft eine ganz neue
Logik und zeigt, wie Gedanken und Ausdrücke sich formieren. Das ist auf
eine schöne Art anstrengend.
Wie lernen Sie Sprachen?
Ich bin ein Riesenfan der Volkshochschule und belege dort Sprachkurse.
Angefangen habe ich mit Chinesisch und Japanisch. Das Schöne ist, dass ich
dadurch Menschen begegne, mit denen ich sonst nichts zu tun hätte. Einmal
sollten wir uns im Kurs zum Beispiel gegenseitig interviewen. Eine Frau,
die ich befragt habe, was sie auf eine einsame Insel mitnehmen würde, hat
mir geantwortet: ihren Freund und „Das Kapital“ von Karl Marx. Und dass das
ihr Lieblingsbuch sei und sie es auf Englisch, Deutsch und Türkisch gelesen
habe.
Solche kleinen Situationen mag ich. Alle kommen aus verschiedenen Gründen
da hin. Manche interessieren sich für die Küche des Landes, manche mögen
das Land selbst und manche haben einen Partner oder eine Partnerin
gefunden, deren Sprache sie lernen möchten.
Und beenden den Kurs dann wieder, wenn die Beziehung vorbei ist?
Wenn Menschen mit etwas aufgrund eines anderen Menschen anfangen, ist es
sehr wahrscheinlich, dass sie wegen dieses anderen Menschen auch wieder
damit aufhören.
Aus Japan kam auch die Idee für den Titel Ihres neuen Albums.
Ja, aber eigentlich eher durch Zufall. Ich war im Herbst vor zwei Jahren
zum ersten Mal in Japan und hing am Flughafen fest. Das Land [3][richtet
2020 die Olympischen Spiele aus], also hingen überall Poster, auf denen die
Jahreszahl stand. Deswegen habe ich darüber nachgedacht, was Jahreszahlen
eigentlich für uns bedeuten. Wir sagen ja immer so gängige Sätze wie „Das
war ein schlechtes Jahr!“ oder „Dieses Jahr hat mich besonders geprägt!“.
Alle verbinden bestimmte Dinge mit Jahreszahlen, dabei sind sie eigentlich
nur aneinandergereihte Nummern. Ich mag das. Irgendwie sind sie abstrakt,
aber wir teilen sie auch miteinander. Deswegen habe ich mein Album „2020“
genannt. Jetzt will ich mehr über Zahlen wissen.
Was haben Sie vor?
Ich habe ein neues Spiel entwickelt und lerne gerade alle Nummern der
Kreditkarten meiner Freund*innen auswendig. Nicht, um sie abzuzocken. Ich
will einfach ein anderes Gefühl für Zahlen entwickeln.
Hatten Sie bisher denn ein eher schlechtes?
Zu Zahlen habe ich kein gutes Verhältnis. Allein schon wegen Mathe in der
Schule. Das hat mich immer demotiviert. Das Resultat daraus war für mich
das Gefühl, dass ich nicht klug genug bin oder bestimmte Sachen einfach
nicht verstehe. So fühlen sich manche Menschen bestimmt, wenn sie eine neue
Sprache lernen. Sachen machen mehr Spaß, wenn man erst mal einsieht, dass
man sie nicht perfekt beherrschen muss. Momentan will ich versuchen, mich
nicht nur immer auf eine Sache zu fokussieren.
Inwiefern?
Seit zehn Jahren bringe ich jährlich genau ein Musikalbum heraus und toure
damit durch die Welt. Das ist großartig, und ich liebe es sehr. Aber
mittlerweile habe ich Angst, dadurch etwas anderes Schönes zu verpassen.
Also will ich jetzt damit anfangen, verschiedene Sachen gleichzeitig
machen.
Vielleicht verlieren Sie dadurch den Fokus.
Meiner Meinung nach investiert man automatisch am meisten Zeit in die
Sache, die einem am wichtigsten ist. Vielleicht passiert das auch unbewusst
und man würde es selbst ganz anders einschätzen.
Denken Sie manchmal daran, das mit der Musik ganz sein zu lassen?
Ständig. Nach jedem Abschluss eines Albums sage ich mir: Vielleicht war es
das jetzt. Vielleicht habe ich mit diesem Album alles gesagt, was ich
wollte. Vielleicht wird es nicht mehr besser. Aber wenn man einer Sache
leidenschaftlich gesinnt ist, kommt man immer wieder zu ihr zurück. Selbst
wenn ich sagen würde, ich sei jetzt fertig mit der Musik, ist sie
vielleicht noch nicht fertig mit mir. Und dann habe ich im Anschluss direkt
wieder eine Idee, von der ich glaube: Das ist ja noch besser.
Wie hat es überhaupt angefangen?
Als Teenager habe ich viel Musik gehört und bin ab und zu als DJ
aufgetreten. Aber dass ich selbst mal mit Musik arbeite, kam mir nicht in
den Sinn. Das war eine exklusive Welt für mich, zu der ich keinen Zugang
hatte. In meiner Vorstellung hatte Musik immer damit zu tun, in einer Band
zu spielen. Auch in meiner Familie spielt niemand irgendwelche
Musikinstrumente oder hört besonders viel Musik.
Haben sie jetzt damit angefangen, um Ihre Musik zu hören?
Klar, mein Dad ist mein größter Fan. Ich bin zwar nicht bei Facebook, aber
meine Freund*innen schicken mir immer Screenshots, wenn er wieder einen
meiner Songs geteilt hat. Das mag ich, weil er nicht kritisch über meine
Musik spricht, wie es die meisten anderen Menschen tun. Er liebt einfach,
dass ich es geschafft habe.
Ist das aus Tochterperspektive nicht manchmal ein bisschen unangenehm?
Wenn ich meine Songs schreibe, denke ich nicht darüber nach, wer sie sich
anhört. Bei meinem Dad glaube ich, dass es ihm etwas aus meinem Leben
zeigt, das er nicht sehen würde, wenn wir uns einfach nur unterhalten. Mir
geht es genauso mit seiner Arbeit als Visual Artist. Dazu habe ich nicht so
sehr den Zugang, verstehe aber irgendetwas von ihm, was ich nicht in
Wörtern ausdrücken kann. Es ist eine andere, nonverbale Art der
Kommunikation zwischen uns. Das schätze ich sehr.
Die eine Sache ist, zu Hause allein an Sachen zu arbeiten, die andere, sie
auf eine Bühne zu tragen. Macht Ihnen das keine Angst?
Am Anfang habe ich mich damit sehr unwohl gefühlt, das stimmt. Es ist ein
bisschen wie meine Furcht davor, auf ein Trampolin zu steigen. Vorher ist
man nervös, aber wenn man erst mal springt, merkt man, dass es gar nicht so
schlimm ist. So ähnlich ist es auf der Bühne. Ohne dieses Gefühl wäre es
aber weniger schön. Und ich habe festgestellt, dass ich ein bisschen Stress
brauche. Die Aufregung hat mit den Jahren abgenommen. Ganz weggegangen ist
sie aber nie.
Werden Sie alt?
Vielleicht. In der letzten Zeit ist mein Publikum auf jeden Fall immer
jünger geworden. Das gefällt mir. Ich mag die Vorstellung, dass junge
Frauen zu meinen Shows kommen und eine Frau auf der Bühne stehen sehen, die
über persönliche Probleme singt. In meiner Jugend habe ich das selten
erlebt. Vielleicht habe ich auch deswegen so lange gebraucht, um selbst mit
der Musik anzufangen.
Aus Mangel an Vorbildern?
Die einzige Band, die mir damals begegnet ist und bei der nur Frauen auf
der Bühne standen, war die Punkband Cruzified Barbara. Das hat sich
mittlerweile verändert. Heute sind viele Künstlerinnen auf der Bühne
präsent. Laurie Anderson oder Prince stehen in meiner mentalen Hall of
Fame. An Tagen, an den ich alles blöd finde, wandere ich da durch und
überlege mir, was in deren Leben alles schiefgelaufen sein könnte. Und dann
denke ich: Wenn sie jetzt hier wären, wären sie bestimmt auf meiner Seite.
Woher weiß man, dass etwas fertig ist?
Nie. Manche Dinge werden nie fertig. Und manchmal ist es wichtig, genau da
aufzuhören, bevor sie wirklich fertig sind, und eine Leerstelle zu lassen.
Immer alles noch ein bisschen polieren zu wollen, ist ein Hindernis. Man
muss zum Ende kommen können, wenn man etwas erschafft. Denn es geht auch
darum, irgendwann aufzuhören. Diese Erfahrung nimmt man in die neue Idee
mit. Dinge werden nicht schöner, nur weil sie scheinbar perfekt sind. Es
muss ja auch Spaß machen.
Wie?
Spaß nicht im Sinne von haha, sondern als Herausforderung. Man sollte sich
nicht mit Sachen quälen, die man eigentlich gar nicht mag, nur weil man
sich etwas beweisen will. Damit will ich nicht sagen, dass Spaß nie
anstrengend sein darf. Aber eher auf eine Art, bei der man versteht, wie
sie einen weiterbringt und was man davon mitnimmt. Es ist ein Talent, über
Sachen zu lachen, auch wenn sie hart sind.
Humor hilft?
Ich liebe Humor. Er stellt Verbindungen zwischen Menschen her und gibt die
Möglichkeit, dass man sich überraschen lassen kann. Für mich ist es ein
wichtiger Skill, über Dinge zu lachen, auch wenn sie eigentlich hart sind.
Ich will Humor auch unbedingt bei mir zu Hause haben.
Was soll das heißen?
Ich habe sehr viele richtig blöde und unnütze Dinge in meiner Wohnung
herumstehen, die nicht unbedingt eine Funktion haben, mich aber zum Lachen
bringen.
Was zeichnet diese Dinge aus?
Es sind Dinge, die wie andere Dinge aussehen.
Das ist zu kompliziert.
Mein Telefon sieht aus wie zwei Lippen. Und meine Teekanne ist ein kleines
Bücherregal. Im Badezimmer habe ich einen Korken, der aussieht wie ein
Pilz. Meine neueste Errungenschaft kommt aus dem Secondhandshop. Da habe
ich einen winzigen, türkisfarbenen Schuh gefunden. Der kann weder für
Kinder noch für Frauen sein, weil er dafür einfach zu klein ist. Und
außerdem gibt es ihn nur einmal. In den habe ich mich sofort verliebt.
Aus welchem Grund?
Ich mag es, wenn Dinge unproportional sind und nicht in den Rahmen passen,
den man ihnen eigentlich geben würde. Absurde Sachen um mich herum zu
haben, macht mich fröhlich.
Wissen Sie schon, wo Sie die Sachen hinstellen, wenn Sie sie finden?
Meistens denke ich schon an den perfekten Ort in meiner Wohnung. Ich habe
eine ganz kleine David-Statue, von David und Goliath. Ich hab einen kleinen
Spiegel vor ihn gestellt, damit er sich selbst anschauen kann. Das ist so
großartig! Ich mag die Vorstellung, dass es um mich herum kleine Szenen
gibt, zu denen ich gar nicht gehöre, die ich mir aber anschauen kann, wenn
ich will.
Im Zusammenhang mit Ihrer Person und Ihrer Musik fällt immer wieder das
Wort nostalgisch. Können Sie das auf sich selbst anwenden?
Darüber habe ich lange nachgedacht. Wenn Menschen mich oder meine Musik so
beschreiben, meinen sie damit meistens eine bestimmte Ästhetik, die ich
transportiere. Die kommt wahrscheinlich daher, weil ich viel über
persönliche Erfahrung singe. Aber nostalgisch kann auch noch etwas ganz
anders bedeuten. Wenn jemand stirbt, macht es nostalgisch. Weil du nicht
loslassen möchtest. Als ich zehn Jahre alt war, ist meine Mutter gestorben.
Das hat mich als Kind sehr konservativ gemacht. Einfach weil ich wollte,
dass alles so bleibt, wie es gewesen ist, als sie noch am Leben war.
Jede Veränderung hätte bedeutet, dass die neue Welt ohne sie stattfinden
muss. Von außen sieht das aus wie Nostalgie. Aber es geht darum, eine
Person im Leben zu halten. Es ist eine Verweigerung, so weiterzumachen, als
wäre nichts gewesen. Aus meiner Perspektive bin ich keine nostalgische
Person, weil ich mittlerweile viel mehr in der Zukunft lebe als sonst wo.
Mich interessiert, was als Nächstes kommt. Wenn man sich dafür öffnet, dass
nicht alles so läuft, wie man es erwartet, passieren oft großartige Dinge.
Passiert es manchmal, dass Menschen Sie auf der Straße wiedererkennen?
Vielleicht hier in Berlin. Menschen, die wissen, wer ich bin, sehen mich eh
die ganze Zeit, wenn ich die Pfandflaschen in den Supermarkt zurückbringe.
Für die gehöre ich zum Ambiente. Komisch wird es an Orten, an die ich
eigentlich nicht gehöre. Da sprechen mich manchmal Menschen an und sagen:
Hi, ich mag deine Musik. Das ist schön, aber auch surreal. Das liegt an
diesem anderen Filter, der dann über mich gelegt wird. Außerdem will ich ja
auch höflich sein und irgendetwas sagen – aber was? Ich bin mir sicher,
dass du auch super bist?
Das wäre ein Anfang.
Ist aber trotzdem komisch. Einerseits ist es natürlich ein Kompliment, auf
diese Art gesehen zu werden. Andererseits habe ich mir vorgenommen, nicht
zu sehr darüber nachzudenken, wer meine Fans sind und was sie von mir
halten. Nicht, weil ich es nicht zu schätzen weiß. Aber ich will mich
selbst nicht so gerne ernst nehmen.
Wie machen Sie das?
Ich bin nicht viel auf Social Media unterwegs, habe aber den Eindruck, dass
Menschen sich immer weiter voneinander entfernen. Sie identifizieren sich
mehr mit ihrer Online-Performance als mit ihrem Selbst, das es offline
gibt. Aber es ist wichtig, das eigene Image auch mal zu vergessen. Deswegen
will ich mich nicht darauf konzentrieren, was andere von mir denken.
In einem anderen Interview haben Sie mal gesagt: „Alles, was du an dir
hasst, ist auch der Grund für alles, was du an dir liebst.“ Was soll das
bedeuten?
Manchmal bin ich unglücklich über meine sozialen Fähigkeiten. Ich wäre
gerne besser darin, mit anderen zusammenzuarbeiten, und würde gerne offener
auf Menschen zugehen können. Aber gerade diese Dinge, die ich nicht an mir
mag, haben mich zu mir selbst gebracht. Wenn man zu einer Party eingeladen
wird, aber nicht hingeht, weil man lieber allein ist und einen Song
schreibt, sieht das im ersten Moment wie Versagen aus. Aber irgendwann ist
die Party vorbei, und den Song gibt es für immer. Es geht darum, auch die
blöden Sachen als Teil des Gesamtpakets zu verstehen.
22 Sep 2019
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## AUTOREN
Juli Katz
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