# taz.de -- Die Wahrheit: Der Vater des Sackmessers | |
> Um Apfelstücke fürs Kind zu schnitzen, braucht es das passende Werkzeug. | |
> Anschließend kann man damit dann zur Nervenberuhigung Bierflaschen | |
> öffnen. | |
Vor sechzehn Jahren kaufte ich mir in der „Messerschmiede Ottenburg“ in | |
Basel ein „Sackmesser“, wie die Schweizer ihre Taschenmesser nennen. Mit | |
mehreren Klingen, einer Schere, einem Schraubendreher, einem Dosenöffner, | |
einer Pinzette und diversen anderen Funktionen, die ich bis heute nicht | |
verstanden habe. Zuvor hatte ich nie das Bedürfnis oder die Notwendigkeit | |
gespürt, ein solches Werkzeug zu besitzen. | |
Aber eines Tages saß ich bei einer Preisverleihung im Schauspielhaus | |
Wuppertal neben dem Hörspiel-Regisseur Klaus-Michael Klingsporn. Ich war | |
ihm vorher noch nie live begegnet, er aber hatte ein von mir geschriebenes | |
Kinderhörspiel inszeniert. Und das ziemlich gut. Ich war froh, dass er | |
nicht nur in seiner Funktion, sondern auch als Mensch angenehm war. Sonst | |
hätte ich immer, wenn mich jemand nach ihm fragte, sagen müssen: „Als | |
Regisseur ist er tippitoppi, aber menschlich ’ne Sau“. Tatsächlich kenne | |
ich Personen, über die ich so reden muss. Spaß macht es keinen, aber man | |
ist ja als Künstler der Wahrheit verpflichtet. | |
Der nette Herr Klingsporn bemerkte, dass ich in der Bredouille war: Meine | |
damals dreijährige Tochter vollführte auf meinem Schoss eine extrem | |
eindrucksvolle „Boah, is mir öde“-Gymnastik und drohte, die Veranstaltung | |
zu sprengen. | |
Schließlich verlangte sie – wissend, dass ich keine solchen besaß – nach | |
Apfelschnitzen. Oder Apfelspalten. Keine Ahnung, wie Sie die | |
halbmondförmigen Stücke eines vom Kerngehäuse befreiten Apfels nennen. | |
Hipster sagen dazu wahrscheinlich „Apfel-Wedges“. Klaus-Michael Klingsporn | |
griff in seine Tasche und präsentierte die Lösung: einen Apfel und ein | |
Werkzeug, um die gewünschte Darreichungsform herzustellen – sein rotes | |
Victorinox-Taschenmesser. | |
Dankbar nahm ich das Angebot an. Augenblicklich produzierte ich vor den | |
faszinierten Augen meiner Tochter eine Apfelspalte nach der anderen und | |
steckte sie ihr in den Mund. Jedes Mal wenn sie gerade geschluckt hatte, | |
schob ich die nächste nach. Apfel und Preisverleihung endeten gleichzeitig. | |
Friedlich. Ich gab Klingsporn das Messer zurück. Er sagte: „Kauf dir mal | |
eins. Wenn de ’n Kind hast, brauchst ’n Taschenmesser.“ | |
Da Klingsporn mir nicht nur ein hilfsbereiter, sondern auch ein weiser Mann | |
zu sein schien, kaufte ich wenige Tage später das Schweizer „Sackmesser“. | |
Es leistete mir in den folgenden Jahren gute Dienste als Vaterwerkzeug: Ich | |
trug es stets bei mir und schnitt Fantastilliarden Apfelspalten, zog mit | |
der Pinzette Holzsplitter aus Fingern, Füßen und anderen Körperteilen, | |
bastelte damit extrem schlecht segelnde Flugdrachen, schnitt mit der Schere | |
im Urlaub Heftpflasterstreifen und Kinderfußnägel, öffnete Raviolidosen, | |
schälte Orangen und entkapselte die eine oder andere Bierflasche. Zur | |
Regeneration. | |
Letzte Woche habe ich das Messer in die Schublade gelegt. Das Kind ist | |
ausgezogen. | |
28 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Hartmut El Kurdi | |
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