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# taz.de -- Eröffnung der Ruhrtriennale: Wer bis ans Ende beharrt
> Die Ruhrtriennale eröffnet mit einem Stück über den wachsenden Rassismus
> und Antisemitismus. Kann man dem mit leiser Ironie beikommen?
Bild: Die letzten Tage liegen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Johan Simons hatte seine Intendanz der Ruhrtriennale noch mit dem
emphatischen Motto „Seid umschlungen!“ übertitelt. Dieses Schiller-Zitat
aus Beethovens Schlusschor der „Neunten“ wollte er durchaus politisch
verstanden wissen. Simons’ Grundgestus blieb aber optimistisch.
Beethovens berühmter Schlusschor kommt nun in der Eröffnungspremiere von
Stefanie Carps zweiter Spielzeit als Ruhrtriennale-Intendantin erneut zum
Einsatz: In Christoph Marthalers „Nach den letzten Tagen. Ein Spätabend“
hallt er als in einzelne Silben zerhacktes Zitat im zynischen Dialog mit
einer nationalistischen Rede von Viktor Orbán nach. So ändern sich die
Zeiten.
Kommt man mit dokumentarischem Eifer und leiser Ironie dem wachsenden
Rassismus und der Erosion der Demokratie bei? Diese Frage drängt sich auf
nach den langen zweieinhalb Stunden, die Marthaler im Bochumer Audimax
braucht, um in bewährter Zeitlupenmanier Rechtspopulismus, Rassismus,
Sprachverfall und Demokratieverfall in nahezu ungefilterter Form
vorzuführen.
Bereits die Tatsache, dass dieser „Spätabend“ nur eine Aktualisierung
einer Produktion ist, die bereits 2013 in Wien unter dem Titel „Letzte
Tage. Ein Vorabend“ zu sehen war, stimmt nachdenklich, denn zu den
Prinzipien der Ruhrtriennale gehörten stets originäre Eigenproduktionen,
die dort erstmals zu sehen waren, bevor sie in den Verwertungskreislauf des
internationalen Festivalzirkus eingespeist wurden.
Auch der Aufführungsort, das Bochumer Audimax widerspricht [1][dem
Grundkonzept der Ruhrtriennale], gezielt die strukturgewandelten
Industriehallen zu bespielen. Es hat den Anschein, als ob bei dem
Leuchtturmfestival ein Paradigmenwechsel im vollen Gange ist.
Problematischer als diese formalen Bedenken aber ist der Abend selbst, der
viel feine Ironie, suggestive Musik und herzzerreißenden Gesang bietet,
aber auch Banales und seltsam Unreflektiertes.
Möglicherweise wollten Marthaler und Carp ja Hannah Arendts
sprichwörtliche „Banalität des Bösen“ illustrieren, der
Marthaler-Figurenkosmos jener Unglücksraben, die sich vergebens mühen, das
Leben zu bewältigen und in ihren lächerlichen Zwängen rührend sind, sperrt
sich gegen die Größe des Problems. Denn hier sind unverhohlene Kopien von
heutigen Populisten auf der Bühne, Alice-Weidel- und
Sebastian-Kurz-Lookalikes und Alexander-Gauland-Wiedergänger.
## Im Bochumer Audimax
Ihre Texte sind Montagen aus Reden und Äußerungen aus vergangener Zeit vom
Ende des 19. Jahrhunderts und der Zwischenkriegszeit mit aktuellen Worten
aus den Mündern und Twitter-Accounts von Populisten von Viktor Orbán bis
Boris Johnson und aus dem Gedankengut von Identitären und Rassisten. All
das erklingt ungefiltert und quält alsbald. Der einzige eindringliche
Moment der überlangen Textstrecken ist die zutiefst antisemitische Rede des
einstigen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger von 1894, die der große Josef
Ostendorf mit leiser Stimme völlig gleichmütig verliest und mit dieser
demonstrativen Gemütlichkeit frösteln lässt.
Das Bochumer Audimax gehört zur kleineren Hälfte dem Publikum, die größere
Hälfte des Amphitheaters bespielen Marthalers Darsteller, auf halber Höhe
sitzt ein Kammermusikensemble, dessen Besetzung die disparaten
Zusammenstellungen der KZ-Orchester zitiert. Das Geschehen spielt im
mittleren 22. Jahrhundert und verschränkt Vergangenheit, Gegenwart und zu
Zukunft. Zunächst werden fünf Putzfrauen eingewiesen, den Parlamentssaal
abzustauben, in dem „nichts mehr stattfindet“.
Die Demokratie ist zur reinen Repräsentation verkommen, im Saal finden
lediglich Ehrungen und Gedenkveranstaltungen statt. Eine solche soll nun
anlässlich des 200-jährigen Gedenktags der „Schließung“ des KZs Mauthaus…
stattfinden. Nicht mehr von Befreiung, sondern von Schließung ist die Rede
– ein Verweis auf den schleichenden Sprachwandel im öffentlichen Diskurs.
Dann wird „seine Exzellenz, der Kaiser von Hohenzollern Europa“ begrüßt u…
der Rassismus zum Weltkulturerbe erklärt.
## Der Abend will zu viel
Die berührenden Momente des Abends gehören der Musik, die Uli Fussenegger
ausgewählt, grandios arrangiert und instrumentiert hat: Es beginnt sehr
leise mit einem gesummten Dreiklang und endet noch viel leiser mit
verklingenden Echos aus Felix Mendelssohn-Bartholdys Chor „Wer bis ans Ende
beharrt“. Ferner erklingt Musik in der Nazizeit verfemter Komponisten wie
Ernest Bloch, Pavel Haas, Viktor Ullmann und Erwin Schulhoff, kombiniert
mit Fragmenten ikonischer Werke des klassischen Repertoires wie etwa
Beethovens „Neunter“.
Hinzu kommen Zitate aus Pop und Schlager und Luigi Nonos „Ricorda cosa ti
hanno fatto in Auschwitz“. Wie ein Cantus Firmus zieht sich ein Fragment
von Viktor Ullmann durch den Abend, das mit jeder Variation trauriger und
trauriger wird. Das alles ist suggestiv komponiert, perfekt musiziert und
gesungen vom musikalischen Marthaler-Ensemble.
Problematisch dagegen bleiben die Texte, die populistische und
antisemitische Äußerungen eins zu eins wiedergeben und einzig durch das
ironische Spiel der Darsteller konterkariert werden. Das wirkt auf die
Dauer enervierend banal und lässt tiefer lotende Analysen vermissen. Der
Abend will zu viel, Marthalers politischer Scharfsinn, der sonst aus
Alltagsbeobachtungen wächst, will hier nicht greifen. Enden wollender,
freundlicher Applaus beschließt den seltsam kraftlosen Abend.
24 Aug 2019
## LINKS
[1] /Neue-Intendanz-der-Ruhrtriennale/!5605215
## AUTOREN
Regine Müller
## TAGS
Ruhrtriennale
Christoph Marthaler
Schauspiel
Ludwig van Beethoven
Ruhrgebiet
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