# taz.de -- Keith Harings Lieblingssongs: Es zuckt, klickt und blinkt | |
> Der US-Künstler Keith Haring (1958-1990) war nicht nur Graffiti-Pionier, | |
> sondern auch Dancefloor-Stammgast. Eine Compilation versammelt nun die | |
> Musik. | |
Bild: In der Tate Gallery in Liverpool ist seine Kunst momentan zu sehen: Keith… | |
Chinesische Kalligrafie, das Atomzeichen als heraldisches Symbol, | |
Cut-up-Sprach-Experimente von William S. Burroughs, die Happenings der | |
Fluxus-Bewegung: Bevor er mit Strichmännchen und eigenwilligen | |
Graffiti-Tags berühmt wurde, zogen Keith Haring Zeichen- und Schreibsysteme | |
bereits in den Bann. Seit seiner Kindheit hatte er wie besessen Kreise, | |
Kurven und Zeichen gezeichnet. | |
1978 war Haring aus Pennsylvania nach New York gekommen, im Big Apple | |
brachte er die losen Enden von bildender Kunst und Pop zusammen, besuchte | |
die Kunsthochschule und kannte binnen Tagen Gleichgesinnte wie Jean-Michel | |
Basquiat. Näher als der Kunstszene war er zunächst dem Nachtleben | |
Manhattans, das er seinem Biografen als „schwules Disneyland“ schilderte. | |
Wie Musik, Nachtleben und bildende Kunst im New York der frühen Achtziger | |
sich gegenseitig befruchteten, das zeigt der mit Fotos, Interviews und | |
detaillierten Linernotes aufgemachte Sampler „The World of Keith Haring“. | |
Auf zwei Alben versammelt er dazu Lieblingssongs von Keith Haring sowie | |
Musik seiner Kollegen und Freundinnen. Haring ging nicht nur gerne tanzen, | |
er gestaltete Flyer für Partys, designte Wanddekorationen für Clubs und | |
zeichnete Plattencover. Einer seiner Assistenten war selbst DJ. Und Haring | |
war einer der ersten Künstler, der DJs zu seinen Vernissagen einlud. | |
## Grenzüberschreitender „Wild Style“ | |
In seinem Musikuniversum spielt „Pak Man“, ein Breakdance-Klassiker der | |
US-SciFi-Elektro-Produzenten Jonzun Crew, gleichberechtigt neben der | |
Langfassung von Sylvesters Disco-Sinfonie „Over and Over“ und dem klirrend | |
kalten Trauersong „Walking on Thin Ice“ von Yoko Ono. Manches mag | |
Eingeweihten ein Begriff sein, aber so aneinandergereiht ergibt sich daraus | |
dennoch ein schlagzeuggetriebener „Wild Style“, der anders als heute nicht | |
in unzählige Subgenres fragmentiert ist, sondern Grenzen auflöst. | |
Wer die Sachbücher des britischen Autors Tim Lawrence über das New York der | |
Siebziger und Achtziger schätzt, wird in „The World of Keith Haring“ eine | |
sinnvolle Ergänzung finden: Disco, Postpunk, Electro und House, munter | |
durcheinandergewürfelt, aber doch stimmig, eingängig und nie zu sehr auf | |
Hochglanz poliert. Besonders die Oldschool-HipHop-Tracks entfalten in | |
dieser Gemengelage Energie. | |
In Zeiten, in denen rechte Hasswichser in Foren gegenseitig ihre sexuelle | |
Abstinenz schwören, bevor sie Menschen mit Kriegswaffen abknallen, | |
empfindet man Harings Wimmelwelt als wohltuend friedfertig: Ihre zur Schau | |
gestellte Promiskuität, die tribalistische und sexualisierte Bildsprache | |
feiert das Leben, bewahrt flüchtige Momente für die Ewigkeit. Penis, Hoden | |
und Vagina tauchen so oft auf wie bei anderen Säulen, Früchte oder Tiere. | |
Haring war Chronist des Sündenpfuhls Großstadt. In seinen | |
In-your-face-Bildern steckt Menschenfreundlichkeit: aufeinander zugehen, | |
das große Versprechen auf dem Dancefloor, so wie ihn Haring in seinem | |
Stomping Ground, dem Club „Paradise Garage“, Woche für Woche erlebte, wo er | |
lieber abhing als in den Nobelschuppen von Uptown-Manhattan. | |
## Zeichnen in Echtzeit | |
Der Vorwurf des Infantilen greift zu kurz. Haring zeichnete, wie Sprayer in | |
der U-Bahn, in Echtzeit, wie Zeugen bestätigen. Seine Bilder entfalten | |
Rhythmus, man erkennt in ihnen Breakdancer und DJs am Werk, ihre kantigen | |
Bewegungen und ruckartigen Überwürfe, angewinkelte Beine und Ellbogen, | |
werden ebenso lebendig wie das Scratchen und Cutten von Platten und die | |
Wortakrobatik der Rapper: Es zuckt und klickt und blinkt allerorten in den | |
Bildern von Keith Haring, eine synästhetische Erweiterung des Sounds. | |
Wenn man sich heute nur an unzählige T-Shirt-Motive und Harings Präsenz im | |
Museum-Shop erinnert, ist vergessen, wie rasend schnell er zwischen 1980 | |
und 83 zu Ruhm kam und was für einen hohen Preis er dafür zahlen musste. | |
Angetreten als D-i-y-Künstler, der sein Œuvre ohne Galerie selbst | |
vertreiben wollte, kam er kurz nach seiner ersten Einzelausstellung in New | |
York bereits zur documenta 7. Dem Dancefloor blieb er stets treu. Auch als | |
gefeierter Künstler, der meist in Europa arbeitete, flog er regelmäßig nach | |
New York, um auszugehen. Viel zu früh ist er 1990 an Aids gestorben. Die | |
Musik auf „The World of Keith Haring“ holt ihn zurück. | |
7 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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