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# taz.de -- Ausstellung und Buch über Pazifisten: Ein fast vergessener Kriegsg…
> Linkssozialist, Bürgerrechtler und Pazifist: Emil Julius Gumbel war
> rechtsradikalen Studenten ein Dorn im Auge. 1940 floh er nach New York.
Bild: Die Kriegserfahrung 1914 machte Gumbel schnell zum Pazifisten
Der Schriftsteller Arnold Zweig sagte schon 1925 von den Büchern Emil
Julius Gumbels (1891–1966), sie würden „in die Blutkeller der deutschen
Reaktion hineinleuchten“. Wie richtig Zweig damit lag, ist am Lebensweg
Gumbels, Mathematiker in Heidelberg, Statistiker und politischer Publizist,
abzulesen.
Eine kleine, aber sehr kenntnisreich dokumentierte Ausstellung im
Universitätsmuseum in Heidelberg verfolgt dessen Lebensweg mit Fotos,
Kurzbiografien, persönlichen Dokumenten und Akten. Von der
liberalkonservativen Heidelberger Professorenschaft bis zu den
Nationalsozialisten hat man Gumbel seine Anklagen gegen die
deutschnationale Reaktion, den rechten Nationalismus, die Reichswehr und
den Nationalsozialismus nicht verziehen und nicht vergessen.
In der Eingangshalle des Museums sind auf einer Bronzetafel die Namen der
„unter der nationalsozialistischen Diktatur entrechteten und vertriebenen
Hochschullehrer“ verzeichnet. Gumbels Name fehlt, dafür wird Arnold
Bergstraesser (1896–1964), einer der Begründer der Politikwissenschaft nach
1945, genannt, der zwar wegen seiner jüdischen Vorfahren 1937 ins Exil
musste, aber schon 1954 wieder auf seinen Lehrstuhl in Heidelberg
zurückkehren konnte.
Noch 1932 stimmte Bergstraesser in den Chor der nationalsozialistischen
Hetze ein, die Gumbel die Stelle und die Staatsbürgerschaft kosteten. Golo
Mann nannte Bergstraesser einen „Edel-Nazi“. Gumbel starb am 10. September
1966 im New Yorker Exil fast vergessen. Einzig der Sozialdemokrat Willi
Eichler (1896–1971) erinnerte in einem Nachruf an den mutigen
Linkssozialisten, Bürgerrechtler und Pazifisten.
## Kriegsgegner und Pazifist
Der als Sohn eines Privatbankiers in München geborene Gumbel studierte bei
Lujo Brentano in München Nationalökonomie und in einem Zweitstudium in
Berlin Mathematik beim berühmten Ladislaus Bortkiewicz. Nach Kriegsausbruch
1914 meldete sich Gumbel im nationalen Rausch als Kriegsfreiwilliger. Die
Kriegserfahrung machte ihn jedoch schnell zum Kriegsgegner und schließlich
zum Pazifisten. Er schloss sich dem von pazifistischen Sozialdemokraten
gegründeten „Bund Neues Vaterland“ (BNV) um Eduard Bernstein, Ernst Reuter
und Rudolf Breitscheid an. Zu diesem Kreis gehörten auch
Nichtsozialdemokraten wie Albert Einstein, der Historiker Hans Delbrück und
die Frauenrechtlerin Helene Stöcker.
1917 näherte sich Gumbel den unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) an, dem
„Friedensbund der Kriegsteilnehmer“ und der „Liga für Menschenrechte“.…
19. Dezember 1918 druckte Kurt Tucholskys Weltbühne Gumbels „Rede an
Spartacus“, in der er für die parlamentarische Demokratie und gegen die
„Diktatur des Proletariats“ eintrat. Von einem direkten Engagement für eine
politische Partei sah er jedoch zeitlebens ab.
1922 veröffentlichte Gumbel ein Buch unter dem Titel „Vier Jahre
politischer Mord“. Das Buch beruht auf Gumbels großer Sammlung von
Zeitungsausschnitten mit Berichten über politische Morde. Die Originale der
in Hefte geklebten Berichte lagern im Leo-Baeck-Institut in London, aber
die Heidelberger Ausstellung zeigt Filme und Fotos dieser einmaligen
Sammlung. Gumbels Bilanz: Es gab in den vier Jahren nach Kriegsende 354
Morde von rechten und 22 von linken Tätern.
Bei den Urteilen über diese Taten – durch Richter, die sich mit den
demokratisch-republikanischen Verhältnissen nicht abfinden wollten –
stellte sich ein groteskes Missverhältnis ein. Für die 354 Morde von rechts
gab es eine einzige lebenslange Strafe, insgesamt 90 Jahre Haft und 730
Mark Buße für lediglich 27 Verurteilte. Die 22 linken Täter wurden dagegen
zu 248 Jahren Haft und drei lebenslänglichen Strafen abgeurteilt.
## Kritik an Klassenjustiz
Gumbel kritisierte diese Art von Klassenjustiz scharf und verfolgte die
Gerichtspraxis weiter. In seinem 1927 erschienenen Buch „Acht Jahre
politische Justiz“ legte er zahlreiche Justizskandale und Fehlurteile,
hieb- und stichfest dokumentiert, offen. Zwischen 1922 und 1932
veröffentlichte Gumbel dann Bücher, Broschüren und Aufsätze, in denen er
die politisch motivierten Verbrechen von Tätern aus dem „wüsten
Konglomerat“ (Hans-Ulrich Wehler) der deutschen Rechten belegte und
analysierte.
Seit 1923 lehrte Gumbel als Privatdozent für Statistik an der Universität
Heidelberg und ab 1930 als außerordentlicher Professor. Nebenher engagierte
er sich in der deutschen Friedensbewegung und wurde deshalb schnell zur
Zielscheibe rechtsradikaler Studenten und Korporationen.
Mit Unterstützung des Rektors Erich Kallius wurde schon 1924 ein
Untersuchungsverfahren gegen ihn eingeleitet wegen angeblicher „Kränkung
der Gesinnung“ von Menschen, „die im Kriegstod eine Ehre und nicht bloß ein
Unglück“ sehen.
Die Fakultät wollte Gumbel die Lehrberechtigung entziehen – einzig der
Philosoph Karl Jaspers stimmte dagegen. Auch der badische Kultusminister
Willy Hellpach stellte sich gegen die Heidelberger Fakultät, die ihre
Niederlage mit einem publizistischen Feldzug gegen Gumbel kompensierte.
Nach seiner Ernennung zum außerordentlichen Professor radikalisierte sich
der Protest gegen Gumbel.
Prominente Hochschullehrer von Gustav Radbruch und Karl Barth bis zu Max
Horkheimer, Hugo Sinzheimer und Albert Einstein solidarisierten sich mit
dem Verfemten.
Aber die Heidelberger Universität ließ nicht locker und entzog ihm am 5.
August 1932 in einem haarsträubenden Disziplinarverfahren schließlich die
Lehrberechtigung. In dem Verfahren ging es überhaupt nicht um justiziable
Taten, sondern allein um Gumbels politische Gesinnung und „seine gesamte
Persönlichkeit“. Rechtsradikale Studenten forderten, Gumbel „in einem
vergitterten Käfig an den Pranger“ zu stellen als „Denkmal der Schande“.
Im Herbst 1932 floh Gumbel zunächst nach Frankreich und 1940 dank einer
Bürgschaft der New School for Social Research nach New York. Hier lehrte er
später an der Columbia University und kehrte nur noch als
Gastwissenschaftler nach Berlin zurück.
Erst nach Gumbels Tod erschienen Neuauflagen der Bücher des Pazifisten und
politischen Publizisten, zuerst im Heidelberger Wunderhorn Verlag.
23 Aug 2019
## AUTOREN
Rudolf Walther
## TAGS
Friedensbewegung
Pazifismus
Demokratiebewegung
Ausstellung
Weimarer Republik
Inklusion
Kunstausstellung
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