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# taz.de -- Unterhaus-Nachwahl in Wales: Brexit-Gegner erringen Mandat
> Die Liberaldemokraten holen den Wahlkreis Brecon und Radnorshire. Das
> wird gravierende Auswirkungen auf Boris Johsons Brexit-Pläne haben.
Bild: Ihr Sieg ist auch eine Niederlage für Boris Johnson: Jane Dodds (Mitte) …
London taz | Auf walisisch begrüßte Jane Dodds gegen zwei Uhr morgens in
einer Halle in Builth Wells ihren Wahlsieg. „Dies ist ein sehr guter Morgen
für Wales“, führte Dodds ihre Rede auf Englisch und erleichtert lächelnd
fort. Der konservative Verlierer Chris Davies stand hinter ihr mit
versteinertem Blick. Dodds konnte die Unterhaus-Nachwahl im walisischen
Wahlkreis Brecon und Radnorshire mit 43,5 Prozent der Stimmen gewinnen,
während Davies sein vorheriges Resultat von 2017 um 9,6 Prozent
verschlechterte und sich mit 39 Prozent der Stimmen geschlagen geben
musste.
Die Wahl hat Auswirkungen auf die Zukunft von ganz Großbritannien. Denn die
55-jährige Liberaldemokratin, bisher Sozialarbeiterin und Leiterin der
Kinderabteilung des Refugee Councils, reduzierte durch ihren Wahlerfolg die
Regierungsmehrheit Boris Johnsons auf nur einen einzigen Sitz. Das wird
Johnsons Pläne erheblich einschränken. Der Premierminister hatte
angekündigt, einen No-Deal-Brexit durchzuziehen, falls er mit der EU zu
keiner Einigung kommen sollte. Da er jetzt nur noch einen äußerst knappen
Stimmenvorsprung gegenüber der Opposition hat, könnte sein Vorgehen
erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht werden.
Innerhalb des letzten Jahres konnten die Liberaldemokraten bei Wahlen
zunehmende Erfolge verbuchen und liegen bei Meinungsumfragen oft an zweiter
Stelle.
Die Nachwahl in Wales wurde ausgelöst, nachdem der Tory-Abgeordnete Davies
dabei erwischt wurde, wie er Rechnungsbelege für Fotos in Höhe von 800 Euro
absichtlich falsch deklarierte. In der Folge wurde er gerichtlich zu einer
Geldbuße und Gemeinschaftsarbeit verurteilt. 18 Prozent der
Wahlberechtigten in Brecon und Radnorshire, einer stark ländlichen Region
in Wales, verwiesen ihn daraufhin per öffentlichem Wahlbegehren aus dem
Amt. Dennoch ließ sich Chris Davies geradezu trotzig wieder aufstellen.
Seine Partei mag diesen Schritt nun bereuen.
## Klare Haltung gegen den ungeregelten Brexit
Der Sieg Dodds bedeutet den ersten öffentlichen Test der neuen politischen
Ausrichtung Großbritanniens: Boris Johnson wurde vergangene Woche durch
einen parteiinternen Wahlvorgang [1][neuer Premierminister] – auch dank
seines Versprechens, bis zum 31. Oktober die EU zu verlassen, im Notfall
auch ohne ein geregeltes Abkommen.
In Brecon und Radnorshire, territorial der größte Landkreis in Wales und
England, mit nur etwa 70.000 Einwohner*innen, stimmte beim Referendum vor
drei Jahren eine Mehrheit von 52 Prozent der Wähler*innen für den Brexit.
Auch jetzt, und trotz des Sieges von Dodds, verbleibt eine knappe Mehrheit
von einem Prozent für Brexit unterstützende Parteien, auch wenn sich der
Erfolg von Nigel Farages Brexit-Partei mit nur 10,5 Prozent der Stimmen in
Grenzen hielt.
Dodds betonte in ihrer Wahlkampagne neben sozialen Themen, eine klare
Haltung gegen einen ungeregelten Brexit. Dieser wäre für viele, die hier in
der [2][Landwirtschaft und Schafzucht tätig sind], aufgrund der zu
erwartenden hohen EU-Importzölle verheerend. Sowohl die gegen den Brexit
agierenden walisischen Grünen als auch die walisische Nationalpartei Plaid
Cymru stellten sich bei der Wahl hinter Dodds, indem sie keine eigenen
Kandidat*innen ins Rennen schickten.
„In dieser sehr ernsten Zeit benötigen wir eine erwachsene Politik, die das
Land vor die Partei stellt“, sagte Dodds in ihrer Siegesrede. Sie forderte
ein ultimatives Referendum über den Brexit. Ihre erste Aufgabe sei es,
„Boris Johnson aufzusuchen, um ihm mitzuteilen, dass er aufhören muss, mit
der Zukunft unserer Gemeinschaft zu spielen und einen ungeregelten Brexit
auszuschließen.“ Dodds sprach in ihrer Rede außerdem arbeitende und sozial
schwache Familien an, die auf Lebensmitteltafeln angewiesen sind. Auch für
den Frust junger Leute angesichts des Klimanotstands äußerte sie
Verständnis. Sie alle forderten Besseres, behauptete Dodds.
## Johnsons Regierung ist so gut wie machtlos
Die Labour Party hatte, anders als die Grünen und Plaid, ihren örtlichen
Kandidaten Tom Davies nicht zurückgezogen, um Dodds zu unterstützen –
obwohl auch sie nun für ein zweites Referendum plädiert. Der einzige
Sozialist unter den Mandatsanwärter*innen – so bezeichnet er sich selbst –
erlitt jedoch die größte Niederlage aller Beteiligten. Sein Endergebnis von
nur 5,3 Prozent bedeutet einen Stimmenverlust von Minus 12,5 Prozent für
Labour. Zwischen 1939 und 1979 war die Arbeiterpartei in Brecon und
Radnorshire ununterbrochen stärkste Partei.
Fakt ist, dass Boris Johnson es nun schwer haben wird. Die Konservative
Partei hat auch deshalb nur noch eine knappe Regierungsmehrheit in
Westminster, weil sie in jüngerer Vergangenheit den Verlust mehrerer
Unterhausabgeordnete beklagen muss. Vier Parlamentarier*innen haben sie
verlassen, einer wurde aufgrund einer Klage wegen sexuellen Missbrauchs von
der Partei suspendiert. Da es auch parteiintern viele Uneinigkeiten
bezüglich des Brexit gibt, könnten noch weitere Parteiaustritte folgen. Es
gibt zahlreiche Abgeordnete unter den Konservativen, die gegen einen
ungeregelten Brexit sind. Ohne Kompromisse dürfte es für Johnsons Regierung
bei Abstimmungen im Parlament also nicht weitergehen. Mit anderen Worten:
Diese Regierung ist so gut wie machtlos.
Die liberaldemokratische Fraktion im Parlament ist nun auf 13 Sitze
angewachsen, immer noch weit entfernt von den ehemals 57 Sitzen, die sie
noch vor neun Jahren besaß. Doch gerade weil viele der
liberaldemokratischen Verluste auf das Konto der Konservativen gegangen
waren, dürfte es bei den Tories nun durchaus Unbehagen auslösen, dass Jane
Dodds den Wahlkreis Brecon und Radnorshire für ihre Partei zurückholen
konnte.
2 Aug 2019
## LINKS
[1] /Kuenftiger-Premier-Grossbritanniens/!5608100
[2] /Schafzuechter-in-Wales-und-der-EU-Austritt/!5610222
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn
## TAGS
Schwerpunkt Brexit
Boris Johnson
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Wirtschaftspolitik
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