# taz.de -- Wasserspender in Hamburger Grundschulen: Dehydrierte Kinder | |
> Das Trinken ist ein großes Thema bei Elternabenden. Aber egal ob Saft | |
> oder Wasser: Eltern-Ängste kennen keine Grenzen. | |
Bild: Klappt im Ernstfall ganz gut: Wasserhahn als Wasserspender | |
Das Trinken hatte in meiner Kindheit eine ganz andere Bedeutung als heute. | |
Unsere Eltern konnten uns gar nicht genug ermahnen: Trink nicht so viel! | |
Auch unsere Erzieher und Lehrer fürchteten oft, wir würden zu viel trinken. | |
Niemand aber glaubte, dass ein Kind zu wenig trinken könnte. Jedes Kind | |
hatte eine Brotdose dabei, denn die Sorge um das Zu-wenig-Essen, die gab es | |
sehr wohl. „Hast du deine Stullen aufgegessen?“, fragten die Eltern. „Hast | |
du auch getrunken?“, fragte niemand. | |
Aus diesem Grund tranken wir auch nicht viel. Wir hielten es nicht für | |
wichtig. Wir tranken erst, wenn wir innerlich vertrocknet waren. Dann | |
rannten wir auf die Toiletten und hielten unseren Mund an den Wasserhahn. | |
Ich kannte niemanden, der jemals eine Wasserflasche in die Schule | |
mitgenommen hätte. Nicht einmal zu Hause hatten wir Wasserflaschen. Die | |
einzigen Flaschen, die wir zu Hause hatten, waren Bierflaschen, Milch gab | |
es in Tüten. | |
Meinen eigenen Kindern gab ich dann natürlich eine Wasserflasche mit in die | |
Schule, und ich fragte sie jeden Tag: „Hast du deine Wasserflasche | |
ausgetrunken?“ Und das hatten sie natürlich nicht. Ebenso wenig, wie ich | |
damals meine Grobe-Leberwurst-Stulle aufgegessen hatte. Aber jedes kluge | |
Kind kam damals darauf, die Stullen wegzuschmeißen (manchmal kamen die | |
Eltern auf die Idee, dass man die Stullen auch am Abend noch essen könne). | |
Meine Kinder gossen das nicht getrunkene Wasser nie aus, weil sie die | |
häuslichen Konsequenzen weniger fürchteten als wir damals. Unsere Eltern | |
waren damals unwirscher. | |
Das Trinken jedenfalls ist heute ein größeres Thema, zum Beispiel bei | |
Elternabenden: Man könne ja eine Kiste Wasser in die Klasse stellen, schlug | |
man damals in der Grundschule meiner Kinder vor. Ihr Kind trinke nur Saft, | |
warf eine Grundschulmutter ein. Dies führte zu einer abrupten Aufheizung | |
der elternabendlichen Stimmung. Saft dürfe man auf keinen Fall anbieten, | |
fand ein größerer Teil der Eltern: Man fürchtete, dass auch das eigene | |
Kind, schwach gegenüber der Versuchung, nach dem Saft greifen würde. In der | |
Grundschule sind die meisten Eltern noch der Überzeugung, dass Saft ihre | |
Kinder umbringt. Später dann müssen dieselben Eltern hilflos mit ansehen, | |
wie ihre älter gewordenen Kinder das Taschengeld in Rockstar, Monster und | |
Red Bull investieren. | |
Die meisten Kinder überleben diese ungesunde Trinkphase und kehren später | |
ganz von allein zum Wasserhahn zurück, zum Beispiel, wenn sie für ihr | |
Taschengeld selbst arbeiten müssen. In der Grundschulzeit aber kämpfen die | |
deutschen Eltern noch enthusiastisch um die Versorgung mit Trinkwasser. Und | |
da ist die Trinkflasche eine schwache Waffe. Das Wasser aus einer | |
Trinkflasche schmeckt nach mehreren Schulstunden nur noch mittelgut, und | |
auch wenn die Kinder von ihren Eltern wissen, dass das Trinken aus dieser | |
abgenuckelten Flasche für ihr Überleben wichtig ist: Einige ziehen das | |
Dehydrieren vor. | |
Um diesem Problem abzuhelfen, sollen alle Hamburger Grundschulen jetzt | |
Wasserspender bekommen. Pingelige Kritiker meinen, ein Wasserhahn sei im | |
Grunde schon ein Wasserspender. Ich denke, man darf dabei den Sachverhalt | |
nicht unterschätzen, dass Kinder und Menschen es lieben, sich etwas selbst | |
zu zapfen. Man denke nur einmal an das Bierzapfen, das so viele Menschen in | |
Ekstase versetzt. Vielleicht also stillt diese städtische Versorgung mit | |
Wasserspendern endlich den Durst unserer Grundschulkinder. Eltern aber | |
fürchten auch hierbei wieder etwas: „Wer“, fragen sie, „aber kontrolliert | |
die Hygiene?“ Diese Eltern füllen ihren Kindern lieber zu Hause ihr | |
„frisches Trinkwasser in Edelstahlflaschen“ ab. Das kann man natürlich | |
machen, als Eltern: den Kindern jeden Morgen sagen: „Zapf dir um Himmels | |
willen nichts in der Schule! Es könnte dich töten.“ | |
Die Umwelt ist durch und durch feindlich, auch die grundschulische. Das | |
können die Kinder nicht früh genug lernen. | |
14 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Katrin Seddig | |
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