# taz.de -- Elternabende als grausames Vergnügen: „Find' ich nicht gut“ | |
> Elternabend, und die ewigen Fragen: Wer hat die Adressliste gesehen, gibt | |
> es eine Klassenkasse, und sind Schlamperlisten okay? Was für ein Theater! | |
Bild: Wir wünschen beste Unterhaltung! | |
Elternabend, so oder so ähnlich. Eine leicht abgehetzte Frau irrt am frühen | |
Abend durch einen Schulaltbau, wahrscheinlich gebaut zu Kaisers Zeiten, | |
wilhelminisch, aber so genau kennt sie sich da nicht aus. Die Flure sind | |
leer, die Fenster hoch, Altbau ist mitunter auch eine völlig überschätzte | |
Vokabel, denkt sich die Frau, zumindest was Schulen angeht. Das kalte | |
Linoleum schmatzt so eklig unter den Sandalen, da kriegt sie eine | |
Gänsehaut. Im zweiten Stock soll sie sich einfinden, im „Nawi-Raum“, hat | |
der Sohn am Morgen gemahnt: „Einfach die Treppe hoch und dann ein bisschen | |
links. Glaube ich.“ | |
Natürlich biegt sie an einer verlassenen Flurkreuzung dann falsch ab, der | |
Flur endet vor einer Brandschutztür. Nicht öffnen, droht ein Schild, sonst | |
werde Alarm ausgelöst, und zwar im ganzen verfluchten Gebäude. Verflucht | |
steht nicht auf dem Schild. | |
Sie läuft ein wenig treppauf und treppab, doch alle Flure enden vor | |
verschlossenen Türen. Einfach den Weg zurückgehen ist keine Option: Die | |
Tür, durch die sie anfangs falsch abzweigte, lässt sich nur aus einer | |
Richtung öffnen. Immerhin, denkt sie sich mit Blick auf die Uhr, die | |
Elternvertreterwahl wird sie jetzt schon mal verpasst haben. Auch nicht | |
schlecht. Sie ahnt ohnehin, wer es geworden ist. Auf die stets kompliziert | |
gehaltenen Orga-Mails zu Sponsorenlauf und Klassenfahrt freut sie sich | |
jetzt schon. | |
Jedenfalls will sie endlich aus diesem Labyrinth raus. Der Tag war | |
insgesamt anstrengend und droht leider auch damit, es zu bleiben. Das hilft | |
ihr allerdings wiederum bei dem Entschluss, die nächste alarmgesicherte Tür | |
einfach mal zu öffnen. Denn langsam reicht es ihr: Es ist knapp nach 19 Uhr | |
und sie findet es alles nicht mehr witzig. Die Tür geht tatsächlich auf, | |
und still bleibt es auch. Das wird sie sich merken. | |
Über das Linoleum schmatzend nähert sie sich wieder dem Teil der Schule, in | |
dem um diese Uhrzeit noch Leben ist. Überall Elternabende, das Schuljahr | |
ist jung und fresh. | |
Die Frau allerdings fühlt sich überhaupt nicht mehr fresh, als sie endlich | |
den „Nawi-Raum“ betritt. Nawi ist Lehrer-Slang für | |
[1][Naturwissenschaften]. Die neue Klassenlehrerin des Sohnes ist recht | |
jung. Die meisten Eltern sind recht alt. Es ist nicht schlimm, jung | |
Klassenlehrerin zu werden, es ist auch nicht schlimm, spät Eltern zu sein. | |
Aber für einen Elternabend ist das keine gute Konstellation. Die Eltern | |
begegnen der Lehrerin mit Misstrauen und Röntgenblicken. Die Lehrerin wehrt | |
sich mit einem Lachen, das immer höher wird. | |
Aufschlag Mutter 1: „Also, jetzt müssen Sie aber noch mal erklären, was ist | |
denn da jetzt eigentlich los: Mein Sohn hat mir erklärt, Sie führen hier in | |
der Klasse eine Schlamperliste, und die Namen der Kinder hängen dann für | |
alle sichtbar neben der Tafel?!“ | |
Mutter 2: „Mein Sohn hat inzwischen richtig Panik, etwas zu vergessen!“ | |
Mutter 1: „Die Kinder sollen sich schon [2][mobben] deswegen.“ | |
Lehrerin: „Das war natürlich nicht die Idee dahinter …“ | |
Mutter 2: „Find ich nicht gut.“ | |
Lehrerin: „Ja.“ | |
Mutter 3, um Moderation bemüht: „Also, Sie sind ja die Lehrerin. Und ich | |
verstehe ja, dass Sie die Kinder da ein bisschen disziplinieren wollen. | |
Aber vielleicht könnte man jedem Kind eine individuelle Schlamperliste ins | |
Aufgabenheft kleben? Und die Klassenliste führen dann Sie?“ | |
Lehrerin: Will was sagen, aber Mutter 4 kommt ihr zuvor: „Dann gäbe es aber | |
doch eine parallele Listenführung! Wie wäre es, die Schlamperliste nur im | |
Klassenbuch zu führen?“ | |
Mutter 5 hat die letzten Minuten mit ihren Sitznachbarinnen getuschelt und | |
sucht jetzt wieder Anschluss an die Diskussion: „Was ist eigentlich mit der | |
Klassenkasse? Wollen wir jetzt eine haben oder nicht?“ | |
Mit einem Anflug von Vergnügen beschließt die Frau, die sich langsam | |
richtig gut unterhalten fühlt, die Verwirrung komplett zu machen, und | |
erinnert an die Adressliste, die aktualisiert werden müsse – aber wer die | |
denn eigentlich habe? | |
Am Ende verlässt sie die Schule artig durch den Hauptausgang. Kurz überlegt | |
sie, stattdessen lieber ein paar der alarmgesicherten Türen zu probieren. | |
Noch ein bisschen Blaulicht und Sirenen, denkt sie, Remmidemmi! Was für ein | |
Theater. | |
8 Sep 2019 | |
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## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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