# taz.de -- Hilfe für Obdachlose in Bremen: Es braucht mehr als Wohnungen | |
> Die neue Regierung will mehr Wohnraum für obdachlose Menschen schaffen. | |
> Aktive der Wohnungslosenhilfe üben Kritik aber an diesem Plan. | |
Bild: Wer lange auf der Straße gelebt hat, braucht für den Umzug in eine Wohn… | |
BREMEN taz | 600 bis 700 Menschen leben in Bremen auf der Straße – laut | |
Wohnungslosenhilfe steigt ihre Zahl. [1][SPD, Grüne und Linke] haben sich | |
daher vorgenommen, in der nächsten Legislaturperiode mehr Wohnraum für | |
Obdachlose zu schaffen. | |
Allein mit dem Bau regulärer Wohnungen lässt sich das Problem wohl nicht | |
lösen. „Es gibt eine lange Schlange an Interessenten, Wohnungslose kämen da | |
nicht dran“, ist sich Joachim Barloschky vom [2][Aktionsbündnis | |
Menschenrecht auf Wohnen] sicher. Dazu kommt: Obdachlose haben oft andere | |
Bedürfnisse. | |
„Wer jahrelang auf der Straße gelebt hat, hat seinen eigenen | |
Lebensrhythmus“, erklärt Bertold Reetz von der Wohnungslosenhilfe der | |
Inneren Mission. Wichtiger als eine moderne Heizung kann dann ein | |
Kleinstgarten sein, damit der Hund heraus kann. Die Stadt, so findet | |
Barloschky, sollte kleine Häuschen aufkaufen, dezentral über Bremen | |
verteilt. | |
Bei den Koalitionären hat dieser Gedanke offenbar Gehör gefunden: „Das | |
Sozial- und Bauressort suchen geeignete Flächen und initiieren kleine | |
Wohneinheiten, die den [3][‚Housing first‘-Ansatz] auch für jene | |
wohnungslosen Menschen ermöglichen, die mehr Frei- und Toleranzräume | |
brauchen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Darüber hinaus will die neue | |
Regierung im Rahmen eines Pilotprojekts jedes Jahr für 50 Wohnungen im | |
ganzen Stadtgebiet Belegrechte kaufen. Klingt gut – macht aber nicht alle | |
Vertreter der Wohnungslosenhilfe komplett glücklich. | |
## Vielerorts nur noch als Notlösung | |
Die Zahl der Belegwohnungen, in denen Menschen nach Obdachlosenpolizeirecht | |
(OPR) untergebracht werden können, ist stark gesunken, von über 3.000 Ende | |
der 90er-Jahre auf heute nur noch 30. Der Rückgang war nicht der Not der | |
Stadt geschuldet, sondern politisch gewollt: OPR-Wohnungen gelten | |
vielerorts nur noch als Notlösung, Menschen leben dabei nicht im eigenen | |
Wohnraum. Aus ihren Nutzungsverträgen könnten sie – rein theoretisch – von | |
einem auf den anderen Tag herausgeworfen werden. | |
Der neue Anspruch ist dagegen ein Mietvertrag, mit allen Rechten und | |
Pflichten. Man hofft, dass sich Mieter für die eigene Wohnung eher | |
verantwortlich fühlen. Auch bei den verbliebenen OPR-Wohnungen und den | |
geplanten Belegwohnungen soll im Normalfall die Nutzung nach sechs bis 18 | |
Monaten in einen Mietvertrag übergehen. „Das ist sehr wünschenswert“, lobt | |
Axel Brase-Wentzell, stellvertretender Leiter im Bereich Wohnungslosenhilfe | |
bei der Inneren Mission. | |
## Mietlösung nicht unumstritten | |
Doch unumstritten ist die Mietlösung in Bremen nicht. „Ein reines | |
Nutzungsrecht ist scheiße“, findet zwar auch Barloschky von Menschenrecht | |
auf Wohnen. Doch wenn der Nutzungsvertrag zum Mietvertrag werde, sei die | |
Folge oft: „Die Menschen fliegen als Mieter raus und werden wieder | |
obdachlos.“ | |
Das bestätigt im Prinzip auch die Sozialbehörde: „Es passiert immer wieder, | |
dass Menschen erneut in eine Krise geraten. Unsere Fachstelle nennt das | |
Drehtüreffekt“, erklärt Dorothea Staiger, Büroleiterin der Sozialsenatorin. | |
Im Ressort überlegt man daher, in Einzelfällen eine nachträgliche Betreuung | |
einzuführen. | |
Für mehr Betreuung ist man bei der Inneren Mission zu begeistern – doch | |
genau hier befürchtet man auch, dass das Wohnraumprogramm aus dem | |
Koalitionsvertrag nicht weit genug geht. „Mit einer Wohnung ist das Problem | |
Obdachlosigkeit erst mal gelöst – aber nicht die Perspektivlosigkeit“, sagt | |
Streetworker Jonas Pot d’Or. | |
## Läuft nicht immer reibungslos | |
In Bremen wird die sozialpädagogische „Aufsuchende Hilfe“ und das | |
weitergehende „Intensiv betreute Wohnen“ angeboten. Voraussetzung ist, dass | |
die Neumieter sich auf eine Begleitung einlassen. Bei klassischen | |
OPR-Wohnungen gibt es dagegen nur ein Minimum an Mitwirkungspflichten und | |
kaum sozialpädagogische Betreuung. | |
Das läuft nicht immer reibungslos: Ein Betroffener, der seit Jahren in | |
einer der wenigen verbliebenen OPR-Wohnungen lebt, erzählt der taz von | |
schlechter Infrastruktur, vor allem aber vom sozialen Stress mit Nachbarn. | |
## Ein Ziel, verschiedene Herangehensweisen | |
Brase-Wentzell sieht sich bestätigt: „Es ist schwierig, wenn Menschen | |
zusammenleben, die Sucht- oder psychische Probleme haben und nicht aktiv an | |
Veränderung arbeiten wollen.“ Das „Housing first“-Projekt, bei dem neue | |
Belegwohnungen angekauft werden sollen, sieht er kritisch – ihm fehlt ein | |
Hinweis auf die Betreuung. „Ich habe Sorge, dass es dabei nur um die | |
Unterbringung geht – dann wären wir wieder bei OPR.“ | |
Noch diese Woche wollen er und andere Vertreter sozialer Träger mit der | |
dann frisch gewählten Sozialsenatorin Anja Stahmann sprechen. „Wir haben | |
das gleiche Ziel – nur verschiedene Herangehensweisen“, glaubt | |
Brase-Wentzell. | |
11 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
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