| # taz.de -- Urteil zu NS-Vergleichen: Nicht immer Schmähkritik | |
| > Das Bundesverfassungsgericht stärkt die Meinungsfreiheit: Wenn Kritik | |
| > einen sachlichen Kern hat, darf sie polemisch zugespitzt sein. | |
| Bild: Das Gebäude des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe | |
| Vergleiche mit NS-Gerichten oder Hexenprozessen dürfen nicht automatisch | |
| als unzulässige Schmähkritik eingestuft werden. Das entschied eine Kammer | |
| des Bundesverfassungsgerichts in einem am Dienstag veröffentlichten | |
| Beschluss. Die polemische Kritik an einer Richterin dürfe deshalb nicht als | |
| Schmähkritik eingestuft werden, wenn sie einen deutlich sachlichen Kern | |
| hat. | |
| Bei dem Verfahren ging es um einen eigentlich unspektakulären Prozess am | |
| Amtsgericht Bremen: Darin forderte ein Hauseigentümer Schadensersatz für | |
| vermeintlich mangelhafte Malerarbeiten. Während des Prozesses zeigte sich | |
| der Hauseigentümer nicht einverstanden mit der Verhandlungsführung der | |
| Amtsrichterin. Angeblich legte sie Zeugen Aussagen in den Mund, die für ihn | |
| dadurch ungünstig waren. Zudem versuchte sie den renitenten Kläger von der | |
| Verhandlung auszuschließen. | |
| Deshalb schrieb der Hauseigentümer dann einen Befangenheitsantrag. Das | |
| Vorgehen der Richterin erinnere an „Gerichtsverfahren vor ehemaligen | |
| nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten“ oder an | |
| „mittelalterliche Hexenprozesse“. Für diese Vergleiche wurde der Mann 2014 | |
| wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von insgesamt 270 Euro verurteilt. | |
| Das Oberlandesgericht Bremen bestätigte 2017 die Verurteilung. Die | |
| Diffamierung sei so erheblich, dass sie unabhängig vom Sachzusammenhang als | |
| bloße Herabsetzung der Richterin erscheine. Es handele sich um eine per se | |
| verbotene Schmähkritik. | |
| Das Bundesverfassungsgericht hob die Bremer Urteile nun auf. Die Richter | |
| argumentierten: Schmähkritik könne nur angenommen werden, wenn die Kritik | |
| keinerlei Sachbezug habe, sondern nur der persönlichen Diffamierung diene. | |
| Im konkreten Fall ging es dem Hauseigentümer aber um die Kritik an der | |
| Verhandlungsführung. Auch polemische oder verletzende Kritik könne noch von | |
| der Meinungsfreiheit gedeckt sein (Az.: 1 BvR 2433/17). | |
| ## Meinungsfreiheit gegen Ehrschutz abwägen | |
| Nun sind die Bremer Gerichte dazu gezwungen, erneut zu entscheiden. Anders | |
| als bei einer Schmähkritik – die automatisch als Beleidigung gilt – müssen | |
| die Richter die Meinungsfreiheit des Hauseigentümers und den Ehrschutz der | |
| Richterin gegeneinander abwägen. | |
| Dabei spricht viel für einen Freispruch des Mannes, denn die | |
| Verfassungsrichter betonen den hohen Stellenwert der „Machtkritik“ für die | |
| Meinungsfreiheit: „Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht | |
| vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehört zum | |
| Kernbereich der Meinungsfreiheit.“ Der Staat dürfe die Bürger nicht dazu | |
| zwingen, ihre Kritik auf das sachlich „Erforderliche“ zu beschränken. | |
| Das Urteil dürfte sich auch auf einen prominenten Fall auswirken. Noch in | |
| diesem Jahr will der Bundesgerichtshof über eine Schmähkritik des | |
| TV-Moderators Jan Böhmermann gegen den türkischen Staatspräsidenten Recep | |
| Tayyip Erdoğan entscheiden. Böhmermann hatte in einem „Schmähgedicht“ | |
| geäußert, was genau die Meinungsfreiheit in Deutschland erlaubt und was | |
| nicht. [1][Das Oberlandesgericht Hamburg hatte weite Teile des Gedichts | |
| verboten]. | |
| Der linke Hamburger Rechtsanwalt Oliver Tolmein lobte über Twitter den | |
| Richterspruch: „Sehr schöne antiautoritäre Entscheidung.“ Das sieht der | |
| Augsburger Rechtsprofessor Michael Kubiciel anders. Er argumentiert: | |
| „Politiker, Amtsträger und Richter sind faktisch „ehrschutzlos“. | |
| 23 Jul 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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