# taz.de -- Die Wahrheit: Turmurlaub mit Tücken | |
> Ferien an einem ungewöhnlichen Ort ziehen ungewöhnliche Ereignisse nach | |
> sich – und wenn es nur eine verkantete Süßigkeitenschublade ist. | |
Der Turmurlaub ist noch nicht ganz vorbei, doch unsere Waden sehen bereits | |
aus wie Hüte verdauende Schlangen. Das liegt am Treppensteigen, sieben | |
Etagen, genau hundert Stufen. Ganz unten liegt die Küche mit Kühlschrank | |
und Kaltgetränken, ganz oben die Dachterrasse, auf die die Kaltgetränke | |
gehören. Zwischendrin stehen Betten an gebogenen Wänden, über den Boden | |
flitzen Silberfischchen. | |
Mit einer Haustelefonanlage haben die Vermieter versucht, das | |
Treppensteigen zu reduzieren – kaum ist man oben, trötet es an der Wand, | |
und eine Stimme fordert, dass man herunterkommt und die verkantete | |
Süßigkeitenschublade aufzieht. Kaum ist man wieder oben, schaut man auf | |
leere Flaschen. | |
Türen gibt es nicht im Turm, aber Vorhänge, durch die man gut hören kann, | |
wer gerade hustet, wer auf der Toilette sitzt und welche Etage gerade von | |
einer Hornisse besucht wird. In diesen Fällen komplimentieren wir das | |
Insekt freundlich hinaus, wir kennen den Bußgeldkatalog auswendig: bis zu | |
65.000 Euro beim Töten einer besonders geschützten Großwespe. Und das ist | |
noch gar nichts, in manchen Bundesländern droht eine Freiheitsstrafe bis zu | |
fünf Jahren, vermutlich in einem Turm. | |
Auf Höhe der vierten Etage ist außen am Turm ein kleiner Austritt | |
angebracht. Beim „Rapunzel“-Spielen fällt ein Seidenhalstuch hinunter, | |
direkt in hochgewachsene Brennnesselrabatte – immerhin nicht ins | |
Hornissennest. Ein genderliquides Rapunzel hatte probiert, das Seidentuch | |
an die Kurzhaarfrisur zu binden, damit man etwas zum Herunterlassen hat. | |
Die Rettung des Tuchs schlägt fehl, immerhin verwest es rückstandslos. | |
Nach einiger Zeit atmen wir nur noch in die Vertikale, und weil wir keine | |
geraden Wände mehr gewöhnt sind, fühlen wir uns wie Waldorfschüler. Heute | |
morgen haben wir unser Frühstück getanzt, und danach „Plumpsack“ gespielt, | |
just because we can und der runde Raum es anbietet. | |
Ansonsten lesen wir: „Der Turm“ von Uwe Tellkamp, „Der Turm der Welt“ v… | |
Benjamin Monferat, und „Der vergessene Turm“ von Robert M. Talmar, ein mit | |
Adjektiven gespicktes Fantasy-Spektakel über „acht Kristallkugeln von | |
unbegreiflicher Macht“, „namenloses Grauen“ und „unversöhnlichen Hass�… | |
wollten eigentlich die Leuchtturm-Episode von „Robbi, Tobbi und das | |
Fliewatüüt“ und „Aquaman“ schauen, in dem sich die Prinzessin von Atlan… | |
in einen Leuchtturmwärter verliebt. Aber WLAN ist im Turm genauso rar wie | |
Radio- oder Fernsehempfang, vielleicht ist er doch aus Elfenbein. | |
Das Wetter bekommen wir darum auch immer erst mit, wenn es passiert, was | |
nur ungünstig ist, wenn wir vergessen haben, die Klappe zur Dachterrasse zu | |
schließen, und der Regen eine Stunde lang mitten auf das Schlafsofa | |
pladdert. Weil das Turmklima wenig Zugluft beinhaltet, dampft das Sofa auch | |
am vorletzten Abend noch. Leider ist der gesamte Urlaub ziemlich teuer. | |
Sonst wären wir schon getürmt. | |
2 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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