# taz.de -- Wolf Wondratschek über das Schreiben: „Ich bin nur der, der tipp… | |
> Poet, Box-Fan und ein Münchner, den es nach Wien zog: Wolf Wondratschek. | |
> Hier antwortet er auf Stichworte zu Männern und Frauen, Luxus und Erfolg. | |
Bild: Wolf Wondratschek steht auf Boxen und auf Kippen. Außerdem schreibt er a… | |
Erste Erinnerungen | |
Die Nachbarin, die sich im Garten nebenan nach faulen Äpfeln bückte. Meine | |
geliebte Großmutter, die sterben wollte und lächelte. Opernarien im Radio. | |
Rüppurr. Karlsruhe | |
Ich hatte es gut, ich war mit nichts, was mich umgab, einverstanden. | |
Kindheit | |
Ich bin keinem Kampf aus dem Weg gegangen, wenn es darum ging, so wie ich | |
es wollte auf der Welt sein zu dürfen. | |
Mutter-Sohn-Beziehung | |
Ich hatte eine Mutter ganz wie eine Mutter sein sollte: gutes Herz, | |
mittelmäßige Köchin, hätte immer gern Zigaretten geraucht. | |
Vater-Sohn-Beziehung | |
Was tun mit einem Vater, der nicht nur mich, sondern gleich auch die | |
anderen drei meiner Brüder für die [1][Laufbahn des Berufssoldaten] | |
begeistern wollte? | |
Prozess gegen den Vater | |
Es war nicht schwer zu kapieren, dass es eines Gegenmittels bedurfte, und | |
sei es ein Sprung über die Wolken, um ins Freie zu kommen. Als mir klar | |
wurde, dass ich – ich war damals fünfzehn – den Prozess verlieren würde, | |
stellte ich mich an die Autobahn, hielt den Daumen raus und trampte nach | |
Paris. Ich war grausam gewesen und gleichzeitig unschuldig geblieben. | |
Cello | |
Ich hab immer noch eins. | |
Musik | |
Mir genügt meine Sprache, um Musik zu machen. Mein Atem sitzt mit an der | |
Schreibmaschine, meine Arme und Beine auch. Ich bin nur der, der tippt. | |
Körpertraining | |
Dazu sind Körper doch da, um sie elegant in Bewegung zu halten. | |
Schreiben | |
Eine Arbeit, die Gnade des Gelingens erbittend. | |
[2][ Zigaretten ] | |
Chesterfield Blue. | |
Kaffee | |
Ich mache mir inzwischen Sorgen, was meinen Kaffeekonsum angeht. | |
Joints | |
Den letzten habe ich mit einem 82-jährigen australischen Professor für | |
Religionswissenschaft geraucht. | |
Lyrik | |
Wie kann man nur eine so schöne Sache, die man auch Poesie nennt, Lyrik | |
nennen? | |
Literarisches Vorbild | |
Ezra Pound, Borges, Nabokov. | |
Schönster Satz (in der Literatur) | |
Es hatte inzwischen zu schneien begonnen. Noch konnte man mit dem Finger | |
auf jede Schneeflocke deuten. Bis der Winter vorbei ist, sagte er, werde | |
ich sie alle gezählt haben. Sie legte die letzte Karte. Die Patience war | |
aufgegangen. Sie war ein wenig müde. Es war anstrengend, dieses nutzlose | |
Leben. Schade, dass nicht Tschechow es war, der [3][„Anna Karenina“] | |
geschrieben hatte. Vielleicht hätte mich das heilen können. | |
Realität | |
Keine Ahnung, was das sein soll. | |
Fiktion | |
Fuchs und Bär waren Freunde und wateten gerade mal wieder durch einen | |
Fluss, der das Zimmer durchquerte. | |
Vorwurf: Macho-Literatur | |
Eine Frau musste sich neulich, wie sie mir erzählte, den Wunsch, ein Buch | |
von mir kaufen zu wollen, regelrecht erkämpfen, da die Buchhändlerin an der | |
Kasse sie zu überzeugen versuchte, sich nicht mit Macho-Literatur | |
abzugeben. | |
Literaturkritiker | |
Ich wünsche mir Leser, die mein Buch besser zu deuten verstehen als ich, | |
der es geschrieben hat, es je könnte. | |
Boxen | |
Botschaften aus der Antike. Alles oder nichts. Kampf der Dritten Welt um | |
Ehre, Respekt und Geld. [4][Sie sind schwarz] und der Dollar ist weiß. | |
Rituale | |
Mit den Menschen, die was davon verstanden, haben wir alles getötet, was | |
uns retten könnte. | |
Die Ehe | |
Kein Bedarf. | |
Vatersein | |
Es brachte mich zum Leuchten. | |
Frauen | |
Einige haben mich geboren, einige haben mich getötet. | |
Männer | |
Wie schon Joyce sagte: Oh Scheiße mit Zwiebeln! | |
Schönheit | |
Sie ist das tiefste Geheimnis, unentschlüsselbar. | |
Liebe | |
Und die Liebe war, was sie sein sollte, ein in täglicher Anwendung | |
erprobter Zustand größter Einfachheit. | |
Erotik | |
Der Flamme so nahe kommen, bis dich ein Freudenfeuer umgibt | |
Sex | |
In Rom hab ich dir unter den Rock gegriffen, in dieser Nacht wurden | |
zweitausend Katzen geboren. Gut, um nicht vollends verrückt zu werden. | |
Prostitution | |
Ich reiche das Mikrofon meinem Freund Flaubert, der sich bei Dirnen noch | |
besser auskannte. „Sie sind die losgelassene, nackte, ausschweifende und | |
siegreiche Laune inmitten einer Welt freudloser Notare und Sachverwalter.“ | |
Seitensprung | |
Nur den, um nicht von Rad- oder Autofahrern über den Haufen gefahren zu | |
werden. | |
Bernd Eichinger | |
Wir hatten etwas gemeinsam, das nie gut gehen kann; die Liebe zu der | |
gleichen Frau. Ging aber gut. Viele Nächte und Jahre lang | |
München | |
Die unnötigste Stadt Deutschlands. | |
Wien | |
Mit meinem böhmischen Namen ist mein Aufenthalt in dieser Stadt nicht nur | |
logisch, sondern Heimkehr. | |
Mexiko | |
Dort hätte ich gern einige Jahre meines Lebens zugebracht, wenn ich nicht | |
zu feige gewesen wäre, ein anderes Leben zu beginnen. Das bedaure ich. Mit | |
dem Schmerz, versagt zu haben, muss ich klarkommen. | |
Geld | |
Geld ist gut gegen Angst, macht aber mit den Ängstlichen, was es will. | |
Erfolg | |
Nur den, der nicht erwartbar war. | |
Luxus | |
Für weniger Geld als in Wien ein Kleines Wiener Frühstück kostet stehst du | |
im Museum vor einem Fra Angelico, Rembrandt, Dürer. Auch die Stille dort | |
ist Luxus. | |
Missgunst | |
Sie rezensieren meine Cowboystiefel. | |
Feinde | |
Diese Tausendfüßler nehmen dir alles übel: die Frische deiner Frechheiten, | |
dein beneidenswert geringes Körpergewicht, das Fehlen von Ehrgeiz, was | |
ihnen wie ein an sie gerichteter Vorwurf vorkommt. | |
Europa | |
Europa braucht Morgenröte. | |
Utopien | |
Aufenthalt im Gedächtnis des Glücks. | |
Angela Merkel | |
Ich habe kaum je einen Gedanken an Frau Merkel verschwendet. Sie war da, | |
blieb da – und blieb dabei, soweit ich das sehe, die, die sie war, der | |
Durchschnittswelt nah genug, um als Mensch wahrgenommen zu werden. | |
Alice Schwarzer | |
Ich käme nicht auf die Idee, mit ihr eine Flasche Champagner leeren zu | |
wollen. | |
Ängste | |
In meinen glücklichen Augenblicken fühle ich mich vom Aussterben bedroht. | |
Schlechte Angewohnheiten | |
Mich auf Diskussionen einzulassen, wo ich ein Gespräch führen wollte, und | |
mich dabei immer noch aufzuregen. | |
Humor | |
Da hab ich nicht die volle Ladung abgekriegt. | |
Hoffnungen | |
Sand wäre ich am liebsten oder, hätte ich die Wahl, ein Klumpen Erde, wenig | |
genug, um dem Einfallsreichtum der Menschen zu entgehen. | |
Älterwerden | |
Vor dem Einschlafen ein Blick zurück auf alles, was da ist, auf alles | |
Überflüssige. | |
Grabsteinspruch | |
Ewige Unruhe wäre mir lieber. | |
Gott | |
Ich glaube an seine Engel. | |
28 Jul 2019 | |
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