# taz.de -- Nach den Attentaten in Sri Lanka: Unter Generalverdacht | |
> Seit der Anschlagserie in Sri Lanka glauben Radikale, die Schuldigen | |
> gefunden zu haben. Muslime können ihres Lebens nicht mehr sicher sein. | |
Bild: Nach dem Pogrom: geplünderte Läden muslimischer Besitzer in einer Stadt… | |
Colombo/Batticaloa taz | Über Lautsprecher dröhnt der Gottesdienst aus der | |
St.-Antonius-Kirche in Sri Lankas Hauptstadt Colombo weit auf die Straße | |
hinaus, abwechselnd in den Sprachen Sinhala, Tamil und Englisch. Noch viel | |
mehr Menschen, als das Gotteshaus fassen kann, stehen an diesem Donnerstag | |
seit zehn Uhr morgens vor dem weißen Gemäuer. | |
Von den gegenüberliegenden Straßenseiten richten sich die Blicke der | |
Menschen auf einen Bildschirm, der das Geschehen aus St. Antonius | |
überträgt. Doch so unversehrt wie das gerade renovierte Gotteshaus aus der | |
Kolonialzeit erstrahlt, so sieht es in der Gesellschaft ganz und gar nicht | |
aus. Die Anschlagserie im Frühjahr, bei der auf Sri Lanka mehr als 250 | |
Menschen starben, war für alle religiösen Gruppen – Christen, Muslime, die | |
singhalesisch-buddhistische Bevölkerung – ein Schock. Und das Attentat | |
spaltet die Bewohner der Insel – mit den Muslimen, aus deren Reihen die | |
Täter stammen, als den Sündenböcken. | |
Eine Gedenktafel rechts des Haupteingangs der Kirche erinnert an die Tat. | |
Am 21. April hatten neun einheimische Islamisten Selbstmordanschläge | |
verübt. Als Orte des Terrors hatten sie sich drei Kirchen und Luxushotels | |
ausgesucht, wo gerade die Osterfeierlichkeiten stattfanden. Unter ihnen die | |
Kirche St. Antonius im Stadtteil Kochchikade, ein Anlaufpunkt für viele, | |
von Anhängern verschiedener Glaubensrichtungen bis hin zu Urlaubern aus dem | |
Ausland. | |
Erst vor zehn Jahren ist auf Sri Lanka ein blutiger Bürgerkrieg zu Ende | |
gegangen. Nun leidet die Bevölkerung erneut. Dazu kommt, dass mit dem | |
Tourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig seitdem eingebrochen ist. Viele | |
Menschen bleiben nun lieber unter sich und gehen weniger aus. | |
## Attentate, wie man sie vom Bürgerkrieg kannte | |
Im Büro der Menschenrechtsorganisation Inform macht man sich Sorgen um das | |
gesellschaftliche Klima. Besonders angespannt wirkt Ruki Fernando. | |
„Natürlich geht es in erster Linie um die Menschen, die direkt betroffen | |
waren und ihre Angehörigen – vor allem Christen.“ Doch an zweiter Stelle | |
träfe es nun Muslime sowie Geflüchtete aus Pakistan und Afghanistan. Seit | |
Ostern habe sich ihre ohnehin schon prekäre Lage verschärft. | |
„Leider ist das nicht das erste Mal, dass Gebetsstätten Ziel eines | |
Anschlags wurden“, sagt Fernando, ein Mann mit kahlgeschorenen Kopf und | |
bunt gemusterten Hemd. Ähnliche Attentate hätten sich während des | |
Bürgerkrieges ereignet. „Nicht nur Kirchen, auch Tempel und Moscheen waren | |
betroffen“, erinnert sich Fernando an die Taten der tamilischen | |
Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) wie die Angriffe sri-lankischer | |
Soldaten. Es waren Kriegsverbrechen, die seitdem nur schleppend | |
aufgearbeitet werden. | |
Nach knapp drei Jahrzehnten des Kriegs begann sich das Land endlich zu | |
erholen. Sri Lanka lebt vom Tourismus, dem Teeexport und der Textilbranche. | |
Mehr Urlauber kamen. Ein politische Machtwechsel im Jahr 2015 half dem | |
Aufschwung. Die massive Einschränkung der Pressefreiheit fiel. Auch | |
Fernando, der 2014 kurzzeitig verhaftet worden war, konnte aufatmen. Doch | |
nicht jeder sieht die Arbeit des Christen gerne, der mit Inform | |
Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. | |
In Colombo wie im ganzen Land stehen seit April an vielen öffentlichen | |
Gebäuden wie religiösen Stätten wieder Männer und Frauen mit | |
Maschinenpistolen. Ihre Füße stecken in groben Lederstiefeln. Erinnerungen | |
aus dem Bürgerkrieg kommen hoch. Die meisten Menschen versuchen, ihr altes | |
Leben weiterzuleben. Doch manche können das nicht länger. Sie zählen vor | |
allem zur muslimischen Minderheit. | |
## Geplünderte Läden, gebrandschatzte Moscheen | |
Radikale Buddhisten nutzen die Situation, um Stimmung gegen sie zu machen. | |
In Negombo, dort, wo die St.-Sebastian-Kirche attackiert wurde, haben sie | |
vor zwei Monaten nach einem Streit zwischen buddhistischen und muslimischen | |
Rikschafahrern muslimische Läden geplündert und niedergebrannt. Menschen | |
aus Pakistan, die in der Stadt leben, wurden vertrieben. Ob es sich dabei | |
um Muslime oder Christen handelt, war dem Mob einerlei. | |
Im 60 Kilometer von Colombo entfernten Dorf Thummodara brennen Mitte Mai | |
zwei Moscheen, 15 Wohnhäuser werden beschädigt. Am Abend wird die große | |
Moschee von einer wütenden Menge angegriffen, bis Soldaten der Armee mit | |
Schüssen in den Boden die Menschen zurücktreiben. Das berichtet der | |
Programmierer Mohammed Naflan, der den Angriff miterlebt hat. Er zeigt auf | |
ein beschädigtes Gebäude. Es seien ungefähr 600 Leute gewesen. Die meisten | |
Angreifer seien Unbekannte gewesen, doch sie hätten genau gewusst, welche | |
Häuser Muslimen gehören. Die anderen Gebäude blieben verschont. All das | |
passierte während der abendlichen Ausgangssperre. | |
„Bisher lebten die Menschen im Dorf friedlich zusammen“, sagt Naflan, der | |
über den Fastenmonat Ramadan zu Besuch nach Hause gekommen war. | |
## Die meisten Angreifer kamen von auswärts | |
In Thummodara kann man die antimuslimischen Attacken mit einem Blick | |
erkennen, auch wenn das Hämmern neben dem Gotteshaus nach Neuanfang klingt. | |
Die Fenster der großen Moschee fehlen. In der kleineren liegen Trümmer auf | |
dem Fußboden. Was sie BewohnerInnen hier erlebten, war keine Racheaktion | |
der christlichen Minderheit, die bei den Selbstmordanschlägen gezielt | |
attackiert worden war. Im Dorf ist man davon überzeugt, dass die Gewalt von | |
der buddhistischen Mehrheit ausgegangen ist. Zwei der Angreifer kenne man, | |
die anderen seien von auswärts gekommen. | |
Seit dem Angriff schläft Mohammed Naflan unruhig, wie er sagt. Er mache | |
sich Sorgen um seine Familie, denn schon bald wird er wieder seiner Arbeit | |
im Ausland nachgehen. Sein Cousin habe die Nacht noch nicht verarbeitet. Er | |
sei in seinem Haus gewesen, als das Gebäude angegriffen wurde. Seine | |
Verbrennungen sind gut verheilt, er wird wieder in die Schule gehen, sagt | |
Mohammed Naflan. Doch nun sucht er eine Lehranstalt, die weniger von | |
buddhistischen Kindern besucht wird. | |
Anfang Juni sind alle muslimischen Minister von ihren Ämtern | |
zurückgetreten. Doch der Druck auf die Minderheit nimmt deswegen nicht ab. | |
Aufrufe zum Boykott von muslimischen Restaurants und Händlern kursieren | |
landesweit. Ein junger Mann in Thummodara berichtet, dass die Kundschaft in | |
seinem Computer-Laden nicht lange ausgeblieben sei, sich der Boykott aber | |
dennoch bemerkbar mache. Fast alle Händler seien Muslime, deshalb kämen | |
viele Kunden trotzdem. Was den Menschen Hoffnung gebe, sagt er, sei der | |
schnelle Wiederaufbau, der durch die Unterstützung der muslimischen | |
Gemeinschaft möglich gemacht wird. Auf Hilfe der Regierung warten sie | |
dagegen vergebens, so heißt es. | |
Auch wenn sich in der Hauptstadt Colombo die Lage beruhigt hat, verlängert | |
Sri Lankas Präsident Maithripala Sirisena Mitte Juni doch per Dekret den | |
Ausnahmezustand, der seit der Anschlagserie in Kraft ist. Kontrollen wie | |
die zahlreichen Checkpoints im ganzen Land sollen für Sicherheit sorgen, | |
den Menschen die Angst nehmen. Auf Minderheiten wirken sie einschüchternd. | |
Das ist in Regionen wie dem tamilisch besiedelten Osten der Insel besonders | |
zu spüren. | |
## Die traumatisierte Christin aus Batticaloa | |
In der Küstenstadt Batticaloa will sich niemand über die verstärkte | |
Militärpräsenz beschweren. Die Einwohner haben andere Sorgen. Hier, in der | |
protestantischen Zionskirche, starben am 21. April bei einem der | |
Bombenanschläge 30 Menschen. Unter den Opfern waren viele Kinder, die zur | |
Sonntagsschule gekommen waren. Jetzt gehen die Menschen wenig aus, bleiben | |
unter sich. Noch Wochen nach dem blutigen Osterfest blieben die Schulen aus | |
Furcht vor neuen Angriffen geschlossen. Ein Banner mit dem Hashtag | |
#BackToSchoolSL, der am Gitter eines leeren Sportplatzes hängt, erinnert | |
daran. | |
Michelle Mahesan und ihre Tochter haben das Attentat in Batticaloa | |
überlebt. Die Pastorenfrau war im Pfarrhaus, als der Sprengsatz zündete. | |
Sie erinnert sich an den Morgen: „Alle Kinder waren so glücklich an diesem | |
Auferstehungssonntag. Die Sonntagsschullehrer beteten für sie“, sagt die | |
Frau mit freundlicher Stimme. Mahesan steigen Tränen in die Augen. Mutter | |
und Tochter konnten über das Küchenfenster aus dem brennenden Haus fliehen. | |
Doch andere blieben eingeschlossen. Nackte, grau bis schwarz verfärbte | |
Wände erinnern an das Massaker. | |
Michelle Mahesan sitzt an ihrem Schreibtisch des improvisierten Pfarrbüros | |
gegenüber dem Kirchengrundstück. Daneben hängt eine Tafel mit Aufgaben. | |
„Auf uns wartet viel Arbeit“, sagt sie, doch die Mitglieder der Gemeinde | |
stünden zusammen. Am schwersten fiele es ihr, die Leichen zu | |
identifizieren. „Es war eine prüfende Zeit“. Und sie sagt: „Es ist Gottes | |
Gnade, dass meine Tochter und ich am Leben sind. Gott weiß, wen er wann zu | |
sich nehmen muss.“ Der Glaube gebe ihr die Kraft, um weiterzumachen. | |
Besonders besorgt ist sie um die hinterbliebenen Kinder. Sie seien | |
versorgt, so gut es gehe. Jetzt steht der Wiederaufbau der Kirche an. Die | |
versprochene Hilfe der Regierung hat die Gemeinde erreicht. Seit zwei | |
Wochen sind Soldaten mit den Renovierungsarbeiten betraut. | |
Im Gegensatz zum Westen Sri Lankas ist in der Ostprovinz in jüngster Zeit | |
keine antimuslimische Gewalt eskaliert. Doch so wie in der Hauptstadt | |
Colombos stehen auch in Kattankudy bisher beliebte Lokale leer. Auf die | |
kleinere muslimische Nachbarstadt sind die Menschen hier nicht gut zu | |
sprechen. Seit den Anschlägen meiden Außenstehende den Ort, aus dem einer | |
der Drahtzieher des Attentats, Zahran Hashim, stammt. Er ist als einer der | |
Selbstmordattentäter identifiziert worden, die ein Luxushotels in Colombo | |
angriffen haben. | |
## Muslime als Feindbild | |
Ruki Fernando von der Menschenrechtsorganisation Inform sieht die Radikalen | |
unter den buddhistischen Mönchen zwar in der Unterzahl. Allerdings hätten | |
einige der Geistlichen sehr wohl Einfluss auf die Politik, den sie auch | |
auszuüben verstehen. Besonders bei der Vertretung vorgeblich | |
singhalesischer Interessen nähmen sie eine prominente Rolle ein. | |
Das Feindbild der buddhistischer Extremisten ist seit dem Ende des | |
Bürgerkriegs weggebrochen. Nun geraten Muslime und andere Minderheiten in | |
den Fokus. Als treibend für die Verschärfung der Spannungen gelten radikale | |
Bewegung wie Bodu Bala Sena (BBS), die schon in der Vergangenheit mit | |
antimuslimischer Propaganda auffiel. Denn Spannungen zwischen Buddhisten | |
und Muslimen führen schon seit einigen Jahren zu sporadischen | |
Gewaltausbrüchen gegen Muslime. | |
Ruki Fernando kann nicht erkennen, dass sich die Situation für Muslime und | |
die 1.700 Geflüchteten wieder verbessert. „Ich sah ein Kind, das anfing zu | |
weinen, weil es eine Frau mit Kopftuch sah.“ So weit sei es schon gekommen, | |
erzählt er. Bei einer Demonstration buddhistischer Hardliner Anfang Juli | |
in der Zentralprovinz hätten sich alle muslimischen Geschäftsbesitzer dazu | |
entschlossen, ihre Läden lieber dichtzumachen. | |
Einige der Täter sind, so wie Zahran Hashim, identifiziert worden, und es | |
wurde deutlich, dass eine kleine islamistische Gruppierung hinter den | |
Attentaten vom April steckt. Doch in der Bevölkerung wächst der Wunsch nach | |
weiterer Aufklärung. Und da gibt es so einige Ungereimtheiten. So war | |
Hashim der lokalen Polizei bekannt. Jahrelang hatten Sri Lankas Muslime die | |
Behörden vor radikalen Geistlichen unter ihnen gewarnt, durch die sie sich | |
selbst zunehmend bedroht fühlten. Zudem hatte Indien Sri Lanka vorab über | |
mögliche islamistische Anschläge informiert. Doch erst danach, als es zu | |
spät war, nahmen die Behörden mehr als einhundert Verdächtige fest. Die | |
Aufarbeitung in politisch instabilen Zeiten wird dauern. Präsident Sirisena | |
bemüht sich darum, Stärke zu zeigen anstatt Fehler einzugestehen. | |
Die meisten Verletzten der Oster-Anschläge konnten inzwischen die | |
Krankenhäuser verlassen. Die Christin Nilanti hat vor der Marienstatue in | |
der von dem Attentat getroffenen Kirche St. Antonius ihr Gebet beendet. Sie | |
wünscht sich eine Zukunft ohne Kämpfe. Die 35-Jährige berührt die | |
Glasscheibe vor dem Schrein mit ihrer flachen Hand. „Sri Lanka – | |
Singhalesen, Muslime, Buddhisten und Christen – wir wollen alle zusammen | |
friedlich leben“, sagt sie. | |
15 Jul 2019 | |
## AUTOREN | |
Natalie Mayroth | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Islamistischer Terror | |
Islamophobie | |
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Lesestück Recherche und Reportage | |
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