# taz.de -- Wachsende Spannungen in Sri Lanka: Furcht vor der Vergangenheit | |
> Am Friedhof gedenken tamilische Kriegsveteranen ihrer Toten. Sie trauen | |
> der Regierung nicht. Ist das Land auf dem Weg in den nächsten | |
> Bürgerkrieg? | |
Bild: Unter vielen Tamilen gefürchtet: Gotabaya Rajapaksa bei einer Regierungs… | |
Jaffna taz | Eine Gruppe von Männern steht vor einem Trümmerhaufen. Es sind | |
die Reste von Grabsteinen, die sie zusammengetragen haben. Hier auf einem | |
Friedhof auf der Halbinsel Jaffna im Norden Sri Lankas wurden einstige | |
Kämpfer der tamilischen Guerillaarmee Liberation Tigers of Tamil Eelam, | |
abgekürzt LTTE, begraben. Doch diese wie auch andere Stätten der Erinnerung | |
an die einstigen Kämpfer sind von der sri-lankischen Armee zerstört worden. | |
Besuche sind nicht gern gesehen. Aus den Reiseführern ist die | |
Begräbnisstätte als Sehenswürdigkeit gestrichen worden. | |
Die Männer, die sich am Strand von Charty treffen, sind selbst ehemalige | |
LTTE-Kämpfer. Kanagaiya heißt einer von ihnen. Sein Sohn, ein „gefallener | |
Tiger“, wie es heißt, ist hier beigesetzt worden. Die Haut des 59-jährigen | |
Vaters ist von der Sonne gebräunt, sein Haar schütter, und er trägt – wie | |
für gläubige Hindus üblich – weiße Striche auf der Stirn. | |
1986 habe er sich der LTTE angeschlossen, nachdem [1][tamilische Fischer in | |
Jaffna von der singhalesischen Marine attackiert] und Zivilisten getötet | |
worden seien, sagt er. Damals kämpfte die LTTE schon seit drei Jahren im | |
Norden und Osten der Insel für einen unabhängigen tamilischen Staat. | |
Zehntausende Zivilisten kamen ums Leben. Nach [2][Ende des Kriegs 2009] saß | |
Kanagaiya für seine Beteiligung zwei Jahre in Haft, sagt er. | |
Der Vater und seine Begleiter sehen pessimistisch in die Zukunft. Sie | |
fürchten, dass sich der jüngste Regierungswechsel in Sri Lanka negativ auf | |
ihr Leben auswirken könnte. Denn im Erinnern liegt die Crux: Gotabaya | |
Rajapaksa, der neue Präsident des Inselstaats, wird für seine Vergangenheit | |
als Verteidigungssekretär in der letzten Phase des Krieges sowohl gefeiert | |
als auch gefürchtet. Ende November setzte sich der Siebzigjährige als | |
Präsidentschaftbewerber durch. Während seiner Amtszeit als | |
Verteidigungssekretär waren die Tamil Tigers 2009 besiegt worden. | |
## Erinnerung an 20.000 Tote | |
Bis zum heutigen Tag sind 20.000 während des Kriegs verschwundene Menschen | |
vermisst. Die meisten sind tamilischer Herkunft. Rajapaksa wird | |
vorgeworfen, damals Kämpfer wie Kritiker verfolgt und Kommandos geleitet zu | |
haben, die Journalisten, Aktivisten und Zivilisten in Minibussen | |
entführten. An die vermissten und ermordeten Journalisten erinnert heute | |
ein Poster vor dem Presseclub in Jaffna, auf dem mit roter Farbe | |
Blutspritzer nachgebildet sind. | |
Die Hoffnung auf eine Aufarbeitung des Bürgerkriegs und der damit | |
verbundenen Menschenrechtsverletzungen scheint durch die Wahl Rajapaksas in | |
weite Ferne gerückt. Unter Sri Lankas Tamilen herrscht großes Unbehagen. | |
Im Wahlkampf waren die Plakate von Rajapaksa in Jaffna noch abgerissen | |
worden. Jetzt grüßt sein Konterfei und das seines Bruders Mahinda, dem | |
frisch ernannten Premier, winkend auf glänzender Folie am Busbahnhof. Für | |
viele im Norden Sri Lankas war es eine große Überraschung, als sie den | |
Namen des neuen Präsidenten erfuhren. Die Tamilen, die mit rund 15 Prozent | |
die größte Minderheit der sri-lankischen Bevölkerung stellen, hatten | |
mehrheitlich gegen ihn gestimmt. | |
Der Buchhändler Roy gibt sich zuversichtlich, auch wenn er damals vor dem | |
Krieg geflohen ist. Der tamilische Christ möchte der neuen Regierung eine | |
Chance geben. „Wir hoffen, dass sie etwas zum Positiven verändert“, sagt | |
der Familienvater, der vor fünf Jahren nach Jaffna zurückgekehrt ist. Viele | |
verließen während des Krieges die Region, und, wenn sie denn konnten, | |
gleich das ganze Land. Roy drückt aber auch seine Unzufriedenheit mit | |
vorangegangenen Regierung aus. Ja, es habe einen Wirtschaftsaufschwung | |
gegeben, aber die Minderheit der Tamilen hatte sich auch mehr Mitsprache | |
gewünscht. | |
Vor allem aber lasten viele Menschen der letzten Regierung von Maithripala | |
Sirisena an, trotz Warnungen die Serie von Anschlägen auf Christen nicht | |
verhindert zu haben. Bei den [3][Attentaten im April 2019 auf Kirchen und | |
Hotels] durch islamistische Selbstmordattentäter starben über 250 Menschen, | |
etwa 500 weitere erlitten Verletzungen. Unter den Opfern befanden sich | |
viele Christen, die gerade des Osterfest feierten. Danach brach mit dem | |
Tourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig ein. | |
Die Singhalesin Frances Bulathsinghala ist davon überzeugt: „Es liegt an | |
den Menschen, etwas zu ändern.“ Sie kommt gern zu Roy in seinen Laden, um | |
nach Büchern zu stöbern. Bulathsinghala spricht sich für eine Aussöhnung | |
aus. „Zwischen Singhalesen und Tamilen gibt es auf menschlicher Ebene kein | |
Problem“, sagt sie. Im Bücherregal steht ein kleiner Tempel mit Bildern von | |
Jesus, Buddha und dem Elefantengott Ganesha. Doch in der Vergangenheit | |
wurden von verschiedenen politischen Akteuren Unruhen zwischen den | |
ethnischen und religiösen Gruppen gefördert, sagt sie. | |
Gotabaya Rajapaksas Wahlsieg war auch das Ergebnis seiner nationalistischen | |
Agenda. Doch nicht jeder, der für ihn gewählt hat, sei buddhistischer | |
Nationalist, erklärt Bulathsinghala. Die Bevölkerung habe nach den | |
Attentaten das Vertrauen in die Regierung verloren. Sie wurden in Zeiten | |
des Bürgerkriegs zurückversetzt. Diese Chance habe Rajapaksa ergriffen und | |
vor allem mit Sicherheitspolitik für seine Wahl geworben. Seine Partei, die | |
sri-lankische Volksfront, betont zudem singhalesisch-buddhistische Werte | |
und pflegt engen Kontakt zu buddhistischen Geistlichen, die sich mehr | |
politischen Einfluss wünschen. | |
Schon vor den Präsidentschaftswahlen warb Rajapaksa mit einer Amnestie für | |
Kriegsverbrecher auf der Seite der sri-lankischen Armee. Die von ihm | |
vorgenommene Beförderung von Shavendra Silva zum Generalstabschef blieb | |
auch unter ausländischen Beobachtern nicht unkommentiert. So äußerte die | |
UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet ihre Besorgnis, | |
dass Silva, der im Krieg mit dem Tamilen als hochrangiger General aktiv | |
war, trotz schwerwiegender Verstöße gegen Menschenrechte weiter an Einfluss | |
gewinnen könnte. | |
Kurz nach seiner Wahl schickte der neue Präsident das Parlament in eine | |
Zwangspause. Zum neuen Jahr kündigte Rajapaksa an, die Rechte von | |
Minderheitsparteien mithilfe einer Verfassungsänderung einzuschränken zu | |
wollen und die Rolle des Präsidenten – also seine eigene – zu stärken. | |
## Festnahmen und Schikanen häufen sich | |
Die Menschenrechtsaktivistin Shreen Abdul Saroor ist besorgt über das | |
Verschwinden offener Räume in der Gesellschaft und zunehmender | |
Selbstzensur, die [4][auch die muslimische Minderheit einschließt]. „Nach | |
den Osterangriffen hat sich alles geändert“, schreibt sie. Saroor beklagt, | |
dass die früher stille Überwachung sichtbar und bedrohlich geworden sei. Es | |
häuften sich Meldungen über Schikanen und Festnahmen von unliebsamen | |
Personen wie Vertretern von Minderheiten Darunter befindet sich eine | |
festgehaltene Mitarbeiterin der Schweizer Botschaft, ein bedrohter | |
tamilischer Journalist und ein festgenommener Oppositionspolitiker. | |
Premananth Thevanayagam von der tamilischen Zeitung Uthayan ist besorgt, | |
dass er seine Reporter bald verlieren könnte. Es stünden unsichere Zeiten | |
bevor. | |
Viele Singhalesen sind anderseits davon überzeugt, dass Gotabaya Rajapaksa | |
das Land aus der Krise führen kann. Wenn sich das Land wirtschaftlich | |
erholt, könnte die nationalistischen Agenda bald wieder in den Hintergrund | |
geraten. Und das werde sie voraussichtlich auch, sagt Dushni Weerakoon vom | |
Institut für Policy Studies of Sri Lanka. Die neue Regierung verspreche | |
politische Stabilität nach einer Phase, in der der Wachstum zurückging. | |
Der Machtwechsel in der Hauptstadt Colombo ist noch nicht komplett | |
vollzogen. Dem neuen Regierungschef und seinen Verbündeten fehlt die | |
parlamentarische Mehrheit, nur 96 der insgesamt 225 Sitze haben sie inne. | |
Deshalb hat Gotabaya Rajapaksa angekündigt, die Volksvertretung | |
baldmöglichst aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Rajapaksa versicherte in | |
einer Ansprache zum neuen Jahr, die Einheit des Landes und des Buddhismus | |
zu schützen wie auch das Recht auf freie Religionsausübung zu respektieren. | |
Für den Kriegsveteranen Kanagaiya bedeutete das immerhin, dass er und seine | |
Kameraden trotz Bedenken den „Heldentag“ für ihre tamilische Kriegsopfer | |
friedlich am Strand von Charty feiern konnten. Aus dem trostlosen Ort wurde | |
für mehrere Tage ein lebendiges Spektakel. Sonst ist es still in Sri Lanka, | |
fast schon zu still. | |
8 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Natalie Mayroth | |
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