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# taz.de -- WM-Kolumne Gilet Jaune: Schlaflos in Lyon
> Einen Monat lang war unsere Autorin dort, wo der Frauenfußball so groß
> schien. Nun ist sie zurück dort, wo die WM an vielen vorbeiging.
Bild: Seht her, auch so kann man den Frauenfußball feiern: US-Fans in New York…
Es ist vorbei. Die WM ist aus, ich bin zurück im erschreckend nasskalten
Berlin. Ich stolpere aus der WM wie aus einer Blase. An den meisten
Bekannten hier ist das Turnier völlig spurlos vorbeigegangen. Es schien so
groß zuletzt beim Finale in Frankreich, wo ganz Lyon unter Massen von
US-Amerikanerinnen und Niederländern überquoll, wo Anwohner Hotdogs im
Garten verkauften und Taxis das Geschäft ihres Lebens machten; und hier ist
es: ein Nichts.
Ich komme zurück und fühle mich ein bisschen wie mit dem Wissen um eine
geheime Welt, dem Schlüssel zu irgendeinem parallelen Universum. Vorab gab
es diesen üblichen Debattenzirkus: Ist Frauenfußball schnell, athletisch,
spielstark genug, um die Leute hinter dem Sofa hervorzuholen? Oft habe ich
mich selbst dabei ertappt, Menschen zu erzählen, es sei doch gar nicht so
schlecht, wie sie vielleicht denken. Aber ich fürchte, darum geht es nicht.
Die letzte Woche rauschte so vorbei, mit dauerhaftem Schlafmangel: späte
Spiele in einer Stadt ohne nächtlichen Nahverkehr waren das eine, aber viel
schuldiger war die Wohnung mit Hochbett unter der Decke, wo es nachts
gefühlte 40 Grad hatte. Zwei Nächte lang habe ich stattdessen auf den
Fliesen unter dem offenen Fenster geschlafen. Bis mir mein Rücken sagte,
wir beide sollten wieder auf dieses 40-Grad-Bett gehen.
Eine Nacht war ich lange mit französischen Journalisten unterwegs, ein
anderes Mal kurz mit dem Bus acht Stunden nach Nizza zum Spiel um Platz 3,
wo es ein alkoholreiches Wiedersehen mit meinem kroatischen Ex-Mitbewohner
gab, bevor ich quasi schlaflos zurück nach Lyon zum Finale fuhr.
## Er will seinen Sexismus überwinden
Mateo, der Frauenfußball anfangs verachtete, fragte zunehmend nach, wer
spielt und wie es ausging. Vor dem Spiel um den dritten Platz sagte er
plötzlich, vielleicht werde er mal seinen Sexismus überwinden (sagte er
wirklich so) und mitkommen ins Stadion. Ganz so weit kam es dann doch
nicht. Aber ich war überrascht. Und ich kapierte: Es ist Unsinn, jemandem
zu versichern, dass etwas spielerisch gut sei.
Aber unabsichtlich hatte ich ihn in Erzählungen mitgenommen in dieses
Paralleluniversum, und plötzlich schimpfte er mit über die
Catenaccio-Schwedinnen und die deutsche Stagnation. Er war Teil der
Geschichte. Dann wollte er sich die Geschichte näher ansehen.
Ich bin zum WM-Turnier gefahren mit einem ziemlich unvollständigen Bild.
Und ich hatte Zweifel, ob ich mich ehrlich dafür begeistern kann. Ich komme
zurück und habe das Gefühl, immer in diesem Kosmos gelebt zu haben. Das ist
eine gute und eine schlechte Nachricht für den Frauenfußball: Der viel
bejubelte spielerische Fortschritt ist fürs Marketing bestenfalls sekundär.
Aus demselben Grund, weswegen man umständlich nach Nizza fährt und dort
unvernünftig schlaflos bleibt. Aus demselben Grund, warum man ausladend
über Nächte auf den Fliesen schreibt. Menschen mögen Geschichten. Oder, um
Clinton zu paraphrasieren: It’s the story, stupid.
8 Jul 2019
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Frauen-WM
Fußballweltmeisterschaft
Lyon
Fußball
Kolumne Frühsport
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