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# taz.de -- Urteil zur Sonntagsöffnung in Berlin: Es ist nie zu Späti
> Trotz der jüngsten Gerichtsentscheidung werden viele Kiezläden wohl
> weiter auch sonntags öffnen. Schon weil den Bezirken Personal zur
> Kontrolle fehlt.
Bild: Von A wie Alkohol bis Z wie Zigaretten hat so ein Späti alles Mögliche …
Eigentlich ist nichts Besonderes passiert: Berlins Verwaltungsgericht hat
eine seit 2006 bestehende Rechtslage bestätigt, eine Klägerin ihren Prozess
verloren. Doch weil der Klägerin ein Späti gehört und es um die
Sonntagsöffnung der geliebten Kiezläden ging, war die Aufregung groß. „Nach
dem Späti-Urteil: Inhaber fürchten um ihre Existenz“, titelte die
Morgenpost, das Onlinemagazin Vice trug ganz dick auf: „Das ist das Ende
der Berliner Freiheit“.
Das Verwaltungsgericht hatte am Mittwoch die Klage der Charlottenburgerin
abgewiesen, die sich gegen einen Bescheid des dortigen Ordnungsamts wehrte.
Das hatte ihr unter Androhung von 1.500 Euro Zwangsgeld untersagt, sonntags
zu öffnen – mit Verweis auf das Berliner Ladenöffnungsgesetz.
Ausnahmen gewährt dieses nur Läden für Blumen, Zeitungen oder Backwaren,
Apotheken und Tankstellen – solange diese Ersatzteile, Kraftstoff und
„Reisebedarf“ verkaufen. Spätis können sich auf eine weitere Ausnahme
berufen – für „Verkaufsstellen, die für den Bedarf von Touristen
ausschließlich Andenken, Straßenkarten, Stadtpläne, Reiseführer,
Tabakwaren, Verbrauchsmaterial für Film- und Fotozwecke, Bedarfsartikel für
den alsbaldigen Verbrauch sowie Lebens- und Genussmittel zum sofortigen
Verzehr anbieten“. Das tue sie ja, so die Klägerin. Weil sie aber auch
Spirituosen in großen Flaschen, Toastbrot oder Pfundpackungen Kaffee anbot,
gelte die Ausnahme für sie nicht, entschied das Gericht.
Wie gesagt: nichts Neues. Das Medienecho liegt zum einen daran, dass dem
Gesetz zum Trotz viele Spätis sonntags öffnen, viele BerlinerInnen den
Service sehr schätzen – und an der als unfair empfundenen Tatsache, dass
die Bezirke das Verbot ganz unterschiedlich kontrollieren. In manchen
hagelt es Bußgelder, in anderen nicht.
Alper Baba, Vorsitzender des Vereins „Berliner Späti“, kann davon ein Lied
singen, seine Familie hat Spätis in Neukölln, Kreuzberg, Wedding und
Köpenick. „In Neukölln wird viel kontrolliert, seit diesem Jahr auch in
Köpenick. Am wenigsten Probleme gibt es in Kreuzberg“, erzählt er.
Dass in Neukölln häufiger kontrolliert werde, sei wohl richtig, gibt
Christian Berg, Sprecher von Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD), zu.
„Aber wir sind keine Späti-Jäger.“ Man müsse nun mal dem Gesetz Geltung
verschaffen, darum kontrolliere man „anlassbezogen – wenn wir Hinweise
bekommen, zum Beispiel von Konkurrenten, die sich ans Gesetz halten“.
Der Ordnungsstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Andy Hehmke (SPD), hat
eine einfache Erklärung dafür, dass Sonntagskontrollen von Spätis „kein
Schwerpunkt“ seines Ordnungsamts seien: mangelnde Personalkapazität. Zumal
es ja um Gesetzesverstöße außerhalb der regulären Dienstzeiten des
Ordnungsdienstes ginge. „Das heißt nicht, dass wir das Verbot gar nicht
kontrollieren. Wenn wir Beschwerden bekommen, müssen wir denen nachgehen.“
Der „absolute Einsatzschwerpunkt“ sei aber die „Überwachung des ruhendes
Verkehrs“.
## Tankstellen bleiben ungeschoren
Abgesehen davon, dass er natürlich für die völlige Liberalisierung der
Sonntagsöffnung ist, ärgert Alper Baba vom Späti-Verein eines besonders:
Gegen Tankstellenbetreiber, die vielfach dasselbe Sortiment hätten wie
Spätis, werde nicht vorgegangen. Er sei schon öfter zur Polizei gegangen,
weil er gesehen habe, dass eine Tankstelle etwa Tiefkühlpizza verkaufe.
Aber dann höre er immer: „Die dürfen das!“
Für Neukölln zumindest weist Christian Berg das zurück: Man überprüfe
Tankstellen, „und wo es über das übliche Sortiment an Reisebedarf
hinausgeht, werden wir auch tätig“. Er wisse von einem Fall, wo eine
Tankstelle in Britz nach wiederholten Ermahnungen die Kooperation mit einem
Supermarkt eingestellt habe.
Auch der Sprecher des Verwaltungsgerichts räumt auf taz-Anfrage ein, dass
die Verkaufspraktiken mancher Tankstellen rechtswidrig sein könnten. „Hier
ist es aber noch nie zur gerichtlichen Prüfung gekommen.“ Dafür müsste erst
eine Tankstelle verwarnt werden und dagegen klagen.
Dass die Landespolitik an diesen Baustellen bald etwas ändert, ist dennoch
kaum zu erwarten. Der Vorstoß eines Grünen-Abgeordneten für den ganz
legalen Sonntagsbetrieb von Spätis war im Juni 2018 schon in den eigenen
Parteigremien versandet. In dieser Legislatur werde das Gesetz nicht
angefasst, da sei man sich in der Koalition einig, erklärt jetzt die
Sprecherin der Arbeitssenatorin. Auch wenn Politiker wie Hikel aus Neukölln
eine liberalere Regelung für inhabergeführte Läden befürworten, wie sein
Sprecher sagt: „Viele machen ja 40 Prozent ihres Umsatzes am Sonntag“, da
sei es „bitter, wenn sie dennoch schließen müssten“.
## Tag der seelischen Erhebung?
Doch mehr Liberalisierung ist schwierig, wie ein anderer Entscheid des
Verwaltungsgerichts von Mittwoch zeigt. Die Richter gaben einer Klage von
Verdi statt, die sich gegen drei verkaufsoffene Sonntage – am 21. 7. zum
Motzstraßenfest, am 4. 8. zu den „Finals“ und am 8. 9. zur IFA – richtet…
Gewerkschaft und Gericht verwiesen auf das Grundgesetz. „Der Schutz der
Sonntagsruhe ist relativ strikt“, so ein Gerichtssprecher. Er wurzele in
der Weimarer Verfassung, die den Sonntag fast poetisch „Tag der seelischen
Erhebung“ nenne.
So stellen sich auch die Späti-Besitzer darauf ein, mit der bestehenden
Regelung weiterzuleben. Fast die Hälfte der rund 150 Vereinsmitglieder,
erzählt Baba, hätten ihr Sortiment bereits auf die erlaubten Waren
umgestellt. Damit haben sie offenbar Erfolg: Laut Baba gab es in den
letzten zwei Jahren 20 Freisprüche oder Verfahrenseinstellungen am
Verwaltungsgericht. Zuletzt habe vor drei Wochen ein Späti-Besitzer –
ebenfalls aus Charlottenburg – gegen das Ordnungsamt gewonnen und konnte
satte 10.000 Euro Bußgeld abwenden. „Er hat nur erlaubte Ware verkauft,
aber das Ordnungsamt hat das nicht interessiert. Ich glaube, die kennen
teilweise das Gesetz gar nicht.“
4 Jul 2019
## AUTOREN
Susanne Memarnia
Claudius Prößer
## TAGS
Späti
Ladenschlussgesetz
Verwaltungsgericht
Späti
Arbeitszeit
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Späti
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