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# taz.de -- Streit um Juncker-Nachfolge: Der europäische Knoten
> Wer wird der nächste Präsident der Europäischen Kommission? In Paris und
> Berlin, Osaka und Brüssel wird verhandelt.
Bild: Merkel und Macron in Osaka: Ob es da auch um die Juncker-Nachfolge geht?
Brüssel taz | Jean-Claude Juncker hat gut lachen. „Ich nehme mit Vergnügen
zur Kenntnis, dass es sehr schwierig ist, mich zu ersetzen“, feixte der
scheidende Chef der Europäischen Kommission nach dem letzten Gipfeltreffen
in Brüssel. Vor zehn Tagen waren die Staats- und Regierungschefs der
Europäischen Union bei dem Versuch gescheitert, sich auf einen Nachfolger
für Juncker und vier andere Spitzenpolitiker zu einigen.
Offenbar ist es gar nicht so leicht, den europäischen Knoten zu
durchschlagen. Denn klare Regeln, wie man von der Europawahl zu einer neuen
EU-Regierung kommt, gibt es nicht. Die Spitzenkandidaten, um die so heftig
gestritten wird, kommen nicht einmal im EU-Vertrag vor. Dort heißt es nur,
dass die Chefs das Ergebnis der Wahl berücksichtigen sollen.
Der deutsche Spitzenkandidat Manfred Weber leitet daraus einen
Führungsauftrag ab. „Diese Wahl ist ein Auftrag an mich,
Kommissionspräsident zu werden“, behauptet er. Doch eine Mehrheit hat er
nicht – nicht einmal im Europaparlament. Und im Rat, der Vertretung der 28
EU-Staaten, stellt sich ihm Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron
entgegen. Das führt zu einem erbitterten Machtkampf – und unschönen Szenen
mit bösen Worten.
Wir haben die wichtigsten Ereignisse und Zitate der letzten Tage
aufgeschrieben. Sie lassen nichts Gutes ahnen. Dabei steht am Sonntag schon
der nächste EU-Gipfel an – wird dort der europäische Knoten endlich
durchschlagen?
## Montag, 24. Juni
Angriff ist die bese Verteidigung. Das weiß natürlich auch Manfred Weber.
Nachdem er beim EU-Gipfel am 21. Juni schon für politisch tot erklärt
worden war, organisiert der CSU-Politiker nun seine Gegenwehr. Die Rolle
des Einpeitschers übernimmt dabei Daniel Caspary. Der Chef der deutschen
CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament greift Frankreichs Staatschef Emmanuel
Macron frontal an: „Ich sehe einen revisionistischen Herrn Macron, der
alles tut, die europäische Demokratie zu zerstören“, sagt der CDU-Politiker
in Berlin.
Der französische Präsident scheine im Moment „leider auch antideutsch
unterwegs zu sein“, ergänzt Caspary. Damit ist der Ton gesetzt: Es geht mit
voller Kraft gegen Frankreich – und unter die Gürtellinie. Zum ersten Mal
seit gefühlt hundert Jahren greift die CDU wieder in die nationalistische
Mottenkiste und bemüht das Gespenst des „Antideutschen“!
Für Aufregung sorgt auch ein Tweet von Reinhard Bütikofer. „Bestimmte
Ratsakteure“ würden „massiv die Einigung im Parlament über Vasallen
behindern“, schreibt der deutsche Co-Vorsitzende der Europa-Grünen. Das
klingt so, als seien die frei gewählten EU-Abgeordneten nicht mehr als
Befehlsempfänger von Macron – und löst heftige Reaktionen aus.
Hinterher rechtfertigt sich Bütikofer: „Wenn ich über Vasallen rede, geht
es mir um die Frage, wie selbstbestimmt das EP arbeitet, also um die Stärke
der Demokratie.“ Doch der Tweet hat längst Kreise gezogen, sogar bis nach
Paris. Die französische Tageszeitung Libération fühlt sich an die
„Diplomatie vor dem Ersten Weltkrieg“ erinnert. Damals waren die Deutschen
die Bösen, die Großmachtpolitik führte ins Fiasko.
## Dienstag, 25. Juni
Das letzte Dinner der Spitzenkandidaten. Oder ist es das vorletzte?
Jedenfalls treffen sich die Fraktionschefs der vier etablierten
EU-Parteienfamilien im piekfeinen Brüsseler Restaurant De Warande
(Eigenwerbung: „Wir wollen vereinigen“), um eine Einigung im
Postengeschacher zu suchen. Weber gibt sich ganz entspannt, zwischen den
Menü-Gängen wird sogar über eine Art Koalitionsvertrag diskutiert. Doch die
erhoffte Verständigung bleibt aus, Weber hat immer noch keine Mehrheit im
Europaparlament. Vier Wochen nach der Europawahl wirken die Abgeordneten
wie paralysiert – und Weber ist mehr denn je isoliert.
Derweil feiern die Grünen im Brüsseler Eisenbahnmuseum ihren Wahlsieg. Wann
der versprochene „Green New Deal“ kommt – und mit wem –, können sie ab…
auch nicht sagen. Die deutsche Spitzenkandidatin Ska Keller ist ohnehin
verhindert: Sie sitzt beim Dinner mit Weber. Die Grünen wollen unbedingt
dabei sein, wenn die Macht in der EU – und im Europaparlament – neu
verteilt wird. Schließlich könnten auch für sie einige Posten abfallen. Die
Rede ist von der EU-Außenbeauftragten oder auch dem Vorsitz im
Europaparlament. Zunächst müssten aber die Sachfragen geklärt werden,
betont Keller: „Policies before people.“ Eine Einigung wird nicht vor Mitte
Juli erwartet.
## Mittwoch, 26. Juni
Die Karawane zieht weiter – ins Kanzleramt in Berlin. Also dorthin, wo
Webers Bewerbung um die Nachfolge von Jean-Claude Juncker im Herbst 2018
angefangen hatte. Kanzlerin Angela Merkel, CDU-Chefin Annegret
Kramp-Karrenbauer, der CSU-Vorsitzende Markus Söder und EVP-Präsident
Joseph Daul stimmen nun das weitere Vorgehen ab. Bereiten sie Webers
Rückzug vor? Oder geben sie Durchhalteparolen aus?
Zunächst sickert nichts aus den „persönlichen“ Gesprächen nach draußen.
Immerhin wird deutlich, dass sich nicht nur Macron aktiv in den Brüsseler
Personalpoker einmischt, sondern auch Merkel. Es sei eben komplizierter als
vor fünf Jahren, räumt die Kanzlerin im Bundestag ein.
Damals hatte sie den Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker gegen Widerstand
aus London und Den Haag durchgeboxt. Doch diesmal muss sie auf die deutsche
Innenpolitik Rücksicht nehmen. Ihr sitzen nicht nur AKK und Söder im
Nacken, sondern auch die SPD. Der angeschlagene Koalitionspartner ist gegen
Weber – die Genossen möchten den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten
Frans Timmermans zum Kommissionschef machen. Doch dazu müsste die EVP für
Timmermans stimmen. Bisher ist das undenkbar.
## Donnerstag, 27. Juni
Während die Union in Berlin noch mauert, denken die Konservativen in
Brüssel schon über einen Plan B nach. Man müsse über einen Ersatzkandidaten
für Weber reden, fordert Irlands Premier Leo Varadkar. Doch wer könnte das
sein?
Ganz oben auf der Liste steht Michel Barnier, der ehemalige
EU-Verhandlungsführer für den Brexit. Der konservative Franzose bringt alle
Voraussetzungen mit, Juncker zu beerben – schließlich war er auch schon mal
Binnenmarktkommissar.
Gut geeignet wäre auch Alexander Stubb, Ex-Premier in Finnland. Er war
sogar schon einmal im Rennen, bei einer internen Vorwahl der EVP. Dort war
er allerdings gegen Weber unterlegen.
Als weitere mögliche Ausweichkandidaten werden die Französin Christine
Lagarde (derzeit beim Internationalen Währungsfonds in Washington) und
Kristalina Georgieva (Geschäftsführerin der Weltbank) gehandelt. Beide
haben einen womöglich entscheidenden Vorteil: Sie sind Frauen, und die EU
möchte mindestens zwei von fünf frei werdenden Topjobs mit weiblichen
Führungskräften besetzen.
Befeuert werden die Gedankenspiele durch neue Zahlen aus dem
Europaparlament. Demnach gibt es jetzt doch eine Mehrheit links von der
EVP, also ohne Weber und seine ratlosen Anhänger. Nach den neuesten Zahlen
des Europaparlaments, die auf offiziellen Meldungen der neu gebildeten
Fraktionen beruhen, käme die linke Mitte (mit Linksparteien) auf 378 Sitze
– 2 mehr als für eine Mehrheit nötig (376). Das klingt so, als sei doch
noch eine „progressive Allianz“ denkbar, wie sie Sozialdemokrat Timmermans
vor der Europawahl versprochen hatte.
Allerdings hat es Timmermans seither vermieden, mit der Linken zu sprechen.
„Unsere Hand bleibt ausgestreckt“, lockt der deutsche Linke-Spitzenkandidat
Martin Schirdewan. Da sich bisher aber nicht viel bewegt hat, geht die
Linken-Fraktion im Europaparlament erst einmal in die Opposition. Und was
sagt die Linke zu Weber? „Die sollten sagen: Manfred, jetzt ist mal gut“,
empfiehlt Schirdewan den etablierten Parteien. Doch die denken gar nicht
daran – und machen munter weiter mit dem Postengeschacher.
## Freitag, 28. Juni
Wird der Knoten in Osaka durchschlagen? Darauf hofft EU-Ratspräsident
Donald Tusk, der wie Merkel und Macron zum G20-Gipfel nach Japan geflogen
ist. „Ich habe das Gefühl, dass wir näher an einer Lösung sind“, sagt Tu…
Derweil macht Macron schon wieder Druck.
Beim EU-Sondergipfel am Sonntag müsse man drei Namen finden, so der
Franzose. Dies wären der EU-Kommissionspräsident, der Ratspräsident und der
EU-Außenbeauftragte. Andernfalls drohe eine „institutionelle Dysfunktion“.
Zu gut Deutsch: eine ausgewachsene, deutsch-französische Führungskrise.
29 Jun 2019
## AUTOREN
Eric Bonse
## TAGS
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