# taz.de -- Kolumne Schlagloch: Iran im Smog | |
> Propaganda hat einen Krieg mit Iran denkbar gemacht. Die Grundlage dafür | |
> bildet das überholte Freund-Feind-Denken des Westens. | |
Bild: Den Satz „He's a bastard, but our bastard“ würde über Irans Präsid… | |
Erinnert sich noch jemand an die Hoffnungen nach dem Abschluss des | |
Nuklearvertrags, an den Jubel auf Teherans Straßen? Die Szenen wirken heute | |
wie versunken hinter einem Gebirge von Zeit. Eine solche Gedächtnisschwäche | |
ist kein Zufall, sondern eine wenig beachtete Folge von Kriegspropaganda. | |
Die Fantasie wird verstümmelt, genauer: das geistige Vermögen, eine | |
friedlichere Welt für machbar zu halten, für realistisch, für einforderbar. | |
Es ist gleichfalls eine Folge von Propaganda, wenn im öffentlichen Reden | |
Ursache und Wirkung nicht mehr unterschieden werden. Aus [1][dem Bruch des | |
Nuklearvertrags durch die USA] wurde eine „Iran-Krise“, aus der einseitigen | |
Verletzung von Völkerrecht „Spannungen“, aus einer asymmetrischen | |
Konstellation erwuchs eine vermeintlich symmetrische Kriegsgefahr. Nicht, | |
dass da ein Mastermind am Werk wäre. Die Propaganda ähnelt eher Smog, der | |
allmählich die Öffentlichkeit einhüllt, auch dort, wo seine primären | |
Verursacher, die Washingtoner Kriegshetzer, weit entfernt scheinen. | |
Langsam, fast unmerklich haben sich Parameter verschoben, [2][wurde der | |
Angriffskrieg auf Iran denkbar] – sofern Teheran ihn nicht durch ein | |
„Einlenken“ abwende. Wie entstehen solche Orwell’schen Begriffsumdeutunge… | |
In den Schwaden des Smogs lassen sich wenige Täter und viele Mitläufer | |
erkennen, naive Gehilfen am Fließband der Nachrichtenproduktion, die aus | |
Mangel an Sachkenntnis zu Opportunismus und Alarmismus neigen und den | |
Brandgeruch riechen, bevor etwas brennt. | |
Zum Beispiel: Seit Anfang Mai sanktioniert die US-Regierung auch Firmen von | |
Drittstaaten, die sich an der Ausfuhr von angereichertem Uran und schwerem | |
Wasser aus Iran beteiligten, also an genau jenem Abtransport von | |
Nuklearmaterial, den der Atomvertrag vorschreibt, damit Iran nicht | |
bombenfähig wird. Trump zwang Teheran mit diesem Schritt in eine absehbare | |
eigene Vertragsverletzung hinein, was indes kaum ein Medium korrekt | |
berichtete. Irgendwie wird Iran schon selbst schuld sein. | |
## Das Versagen von Europas Öffentlichkeit | |
Wenn man sich heute fragt, warum Europa so beschämend wenig getan hat, um | |
seinen Worten Taten folgen zu lassen und entgegen dem US-Druck wenigstens | |
einen gewissen Handel mit Iran aufrechtzuerhalten, so findet sich eine | |
Antwort hier: Das Versagen Europas ist auch das Versagen seiner | |
Öffentlichkeit. | |
Gewiss, in den USA ist der Smog toxischer. Prominente US-IranerInnen aus | |
Politik und Wissenschaft, die Kriegspläne ablehnen, wurden Opfer | |
inszenierter Rufmordkampagnen, während gefakte Produkte von | |
Regime-change-Trollen in außenpolitischen Magazinen auftauchten. Ein alter | |
Hass auf Iran reicht bis tief in die Reihen der Demokraten. | |
Um zu verstehen, welche Reflexe am Werk sind, hilft es, den Umgang mit Iran | |
und Saudi-Arabien zu vergleichen. Man stelle sich vor, der Mord an | |
Khashoggi wäre in einem iranischen Konsulat geschehen und Mohammed bin | |
Salman wäre Iraner. Als Saudi aber ist der Kronprinz zwar ein bastard, but | |
our bastard. Die sogenannte Iran-Krise zeigt, wie wirksam die abgestandenen | |
Ideologien von Freund und Feind, von Wir-und-sie noch immer sind. | |
In die Ära um 1979, als die Islamische Republik gegründet wurde, fällt das | |
westliche Hochpäppeln der Taliban, damals gegen die Sowjets in Afghanistan. | |
Über die Lehren daraus wurden zahllose Studien verfasst, während die | |
Taliban dieser Tage am Verhandlungstisch ihren Triumph über die | |
amerikanischen Streitkräfte genießen. Was sich indes nicht geändert hat: | |
Mit der unsympathischsten Variante von Islam, die sich in Saudi-Arabien | |
nicht minder präsentiert als bei den Taliban, wird immer noch kooperiert, | |
wenn es den eigenen Interessen dient, den geschäftlichen wie den | |
strategischen. | |
## Humanitäre Katastrophe | |
Jüngst gab Riad der Junta im Sudan grünes Licht für ein Massaker an der | |
unbewaffneten Opposition. Im Jemen haben vier Jahre Krieg und | |
Kriegsverbrechen unter saudischer Führung zu einer kaum vorstellbaren | |
humanitären Katastrophe geführt. Wie seltsam still es um all das ist. Nein, | |
es soll hier nicht aufgerechnet werden – in diesem Juni vor zehn Jahren hat | |
Iran die Grüne Demokratiebewegung niedergeschlagen; auch dies sei | |
unvergessen. Aber Saudi-Arabien für alle Vergehen mildernde Umstände | |
einzuräumen, damit Riad our bastard bleibt, das nährt das Kriegsszenario | |
gegen Iran. | |
Vielleicht muss man noch tiefer bohren, um die Ideologie des Wir-und-sie zu | |
verstehen. Iran hat seine nationale Souveränität errungen, indem es sich | |
westlichen Interessen entzog. Saudi-Arabien, wo die Moderne erst spät in | |
Gestalt von US-Ölfirmen eintraf, hat sich hingegen in enger Allianz mit den | |
Amerikanern zu jener Regionalmacht entwickelt, die es heute ist. Beide | |
Länder stehen für höchst unterschiedliche Entwicklungspfade. | |
Und der Islamischen Republik wird nicht verziehen, dass sie nach vier | |
Jahrzehnten Anfeindung so stark ist. Zeigt ihr Beispiel doch: Staaten | |
können in Konfrontation zum Westen durchaus überleben. Mehr noch: Seit | |
jener 444-tägigen Geiselhaft von US-Diplomaten, die 1979 begann, wirkt | |
Teheran wie ein Spiegel für die Erosion amerikanischer Macht. Trump ließ | |
den jüngsten Wirtschaftskrieg an einem 4. November beginnen, historisches | |
Datum der Geiselnahme, doch die Symbolik spielt gegen ihn. Iran wird, | |
soweit absehbar, nicht kollabieren. Obwohl nun selbst ein Sirup gegen | |
Magenverstimmungen von Babys nicht mehr erhältlich ist. | |
Der Zynismus, der seit einem Jahrhundert die Nahost-Politik des Westens | |
kennzeichnet, ist bei Trump abgeschmolzen zu einer persönlichen | |
Eigenschaft, so haltlos wie maliziös. Dieser Zynismus hat in der Teheraner | |
Führung einen adäquaten Gegner, denn dort ist wiederum die Kaltblütigkeit | |
zur Mentalität geronnen. | |
29 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Charlotte Wiedemann | |
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