# taz.de -- Tod eines dreimonatigen Babys: Arztbesuch unterlassen | |
> Nach dem Tod eines dreimonatigen Babys in Hamburg müssen sich die Eltern | |
> vor Gericht verantworten. Ihnen wird Tötung durch Unterlassen | |
> vorgeworfen. | |
Bild: Ein Kindstod sollte laut Enquete-Kommission kein Anlass sein, um politisc… | |
HAMBURG taz | Schon im November 2017 war in Hamburg-Schnelsen ein | |
dreimonatiges Baby gestorben. Im Umfeld der Familie, die sechs weitere | |
Kinder hat, ging man nach taz-Information vom traurigen Fall des | |
plötzlichen Kindstods aus. Doch wie nun das Hamburger Abendblatt berichtet, | |
müssen die 32-jährige Mutter und der 34-jährige Vater sich am Donnerstag | |
vor dem Amtsgericht verantworten. Weil sie mit dem Säugling nicht beim Arzt | |
waren, wird ihnen fahrlässige Tötung durch Unterlassen vorgeworfen. | |
„Sie stellten das Baby nach dessen Geburt im August 2017 bis zu seinem Tod | |
am 13. November 2017 keinem Arzt vor, obwohl es chronisch mangelernährt und | |
stark untergewichtig war“, wird Staatsanwältin Liddy Oechtering in dem | |
Bericht zitiert. Das Kind habe bei seinem Tod mit 2.823 Gramm etwas weniger | |
gewogen als bei der Geburt (2.850 Gramm). Der kleine Junge habe unter | |
Durchfall und einer Dickdarmentzündung gelitten. Die Mutter hat angegeben, | |
sie habe es gestillt. Doch die Anklagebehörde ist überzeugt, dass das Kind | |
mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können, wenn es | |
rechtzeitig einem Kinderarzt vorgestellt worden wäre. | |
Kay Becker, Sprecher des zuständigen Bezirks Hamburg-Eimsbüttel, erklärt, | |
die Familie habe in der Vergangenheit Kontakt zum Jugendamt gehabt. „Zu dem | |
verstorbenen Kind gab es keinen Kontakt, das Kind befand sich auch nicht in | |
staatlicher Obhut in Folge einer Kindeswohlgefährdung.“ Detailliertere | |
Auskünfte könne er aufgrund des Sozialdatenschutzes nicht geben. | |
Auch der Sozialbehörde war der Fall bekannt. Das Kind sei „in der Familie | |
verstorben“, berichtet Sprecher Martin Helfrich. Nach dem Auffinden habe | |
die Polizei „routinemäßig auch das Jugendamt informiert, welches wenige | |
Tage später auch die Sozialbehörde in Kenntnis gesetzt hat, dass ein Kind | |
infolge einer Krankheit verstorben sei.“ | |
Warum die Eltern nicht zum Arzt gingen, könnte der Prozess erhellen. Es ist | |
auch denkbar, dass Eltern den Kontakt zu offiziellen Stellen scheuen, aus | |
Angst, ihnen könnte ein Kind weggenommen werden. | |
Nachdem im Frühjahr 2009 die neunmonatige Lara-Mia in Wilhelmsburg an | |
Untergewicht starb, wurde in Hamburg ein „verbindliches Einladewesen“ für | |
Kinderarzt-Vorsorgeuntersuchungen eingeführt. Dies gilt allerdings nicht | |
für alle neun U-Untersuchungen, die sich von der Geburt bis zur Einschulung | |
strecken, sondern nur für die „U 6“ für Kinder zwischen zehn und zwölf | |
Monaten und die „U 7“ für Kinder zwischen dem 21. und 24. Lebensmonat. | |
Eltern bekommen eine Einladungspostkarte von einer zentralen Stelle in | |
Neumünster, die diese beim Kinderarzt abgeben. | |
Die Praxen schicken die Karte mit Stempel zurück nach Neumünster, von dort | |
gehen die Daten der Nicht-Teilnehmer an die bezirklichen Gesundheitsämter | |
in Hamburg, die dann Kontakt aufnehmen. Um das Verfahren gab es 2015 auch | |
politischen Streit, weil es als nicht effizient gilt und zumindest im | |
Bezirk Hamburg-Mitte dafür die vormals von Kinderschwestern durchgeführten | |
[1][„Baby-Begrüßungsbesuche“ nach der Geburt wegfielen.] | |
In Eimsbüttel gibt es laut Sprecher Becker weiter Hausbesuche durch eine | |
Kinderkrankenschwester „auf freiwilliger Basis“. Bei dem kleinen Jungen hat | |
es diesen aber nicht gegeben. | |
Der CDU-Abgeordnete Philipp Heißner erklärte am Sonntag in einer | |
Pressemitteilung, der Fall mache seine Fraktion „traurig und fassungslos“. | |
Wieder sei in Hamburg ein Baby, dessen Familie offenbar vom Jugendamt | |
betreut wurde, „auf grausame Weise zu Tode gekommen“. Der Fall zeige, dass | |
der rot-grüne Senat die Empfehlungen der in Hamburg erst kürzlich beendeten | |
Enquete-Kommission Kinderschutz „lückenlos umsetzen muss und – zwar | |
schnell.“ | |
## Skandalisierung vermeiden | |
Darauf kontert die Linke-Jugendpolitikerin Sabine Boeddinghaus: „Eine | |
wichtige und von der Enquete-Kommission gemeinsam getragene Erkenntnis ist | |
die Vermeidung öffentlich inszenierter Skandalisierung beklagenswerter | |
Todesfälle. Wenn Herr Heißner von der Behörde die schnelle Umsetzung der | |
Empfehlungen einfordert, dann sollte er mit gutem Beispiel vorangehen und | |
nicht gleich wieder ungeachtet der genauen Umstände reflexhaft Stimmung | |
machen.“ Sie gehe davon aus, dass die Fraktionen seitens der Behörde nun | |
zeitnah informiert werden und die CDU ihren „Empörungsmodus“ einstellt. | |
„Jetzt stellt sich für alle die Nagelprobe, ob der Geist der von Politik | |
und Fachleuten gemeinsam entwickelten neuen Kultur auch im Konfliktfall | |
trägt“, sagt auch Wolfgang Hammer, der für die Linke als Referent in der | |
Enquete-Kommission tätig war und bis zum Jahr 2013 lange Jahre die | |
Jugendhilfe-Abteilung der Sozialbehörde leitete. Dass Medien berichten, | |
gehöre zur Pressefreiheit und könne man diesen nicht zum Vorwurf machen. Es | |
sei jedoch verabredet, nicht jeden Fall zum Politikum zu machen und | |
aktionistisch über die Medien zu kommunizieren. | |
Denn es sei auch allen klar gewesen, dass die Forderung, es solle nie | |
wieder tote Kinder geben, nicht erfüllbar ist. „Guter Kinderschutz“, sagt | |
Hammer, sei eben mehr als Kontrolle und erfordere „vielfältige | |
Unterstützungen für überforderte Eltern“. | |
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version schrieben wir von fünf | |
weiteren Kindern. Es sind sechs. Das haben wir korrigiert. | |
25 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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