# taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Der Post-Ibiza-Exorzismus | |
> Österreichs Interrimsregierung soll zum einen Seriösitat demonstrieren – | |
> und sie soll das Land von den Strache-Dämonen erlösen. | |
Bild: Für bsoffene Gschichtn bekannt: HC Strache | |
Eine Expertenregierung stellt für Österreich ein Novum dar. Eine Neuigkeit, | |
über deren Besonderheit man sich erst verständigen muss. Dazu muss man noch | |
einmal auf die Gründe zurückkommen, wie es überhaupt dazu gekommen ist. | |
Nach einem erfolgreichen Misstrauensantrag gegen die Regierung Kurz sollte | |
mit dieser Übergangsregierung ein Machtvakuum abgewehrt werden. Dies ist | |
also ein geregeltes Interregnum. Was wäre eigentlich das Bedrohliche an | |
einem ungeregelten Interregnum gewesen? | |
Bundespräsident Van der Bellen hat das den Österreichern so erklärt: Es | |
könnte doch sein, dass der Wirtschaftsminister eines anderen Landes eine | |
dringende Information benötige – und niemand hebt das Telefon ab. Das geht | |
nicht! Dieses Beispiel ist zwar anschaulich, überzeugt aber nicht wirklich. | |
Zielt es doch gerade auf das Funktionieren der Bürokratie – und dieses | |
Funktionieren stand und steht ja in keinem Moment in Frage. | |
Die Kafka-geeichten Österreicher wissen natürlich, dass Bürokratien auch | |
heißlaufen, dass sie auch totalitär werden können. Aber auch das hat nicht | |
wirklich gedroht – weder einer Unterfunktion noch einer Überfunktion (oder | |
einem Ausfall) der Verwaltung des Landes musste entgegengetreten werden. | |
## Es braucht Autorität | |
Die tatsächliche Bedrohung war und ist jene eines gestörten | |
Vertrauensverhältnisses. Post-Ibiza, also nach Bekanntwerden des legendären | |
Videos, drohte ein massiver Vertrauensverlust in die politische Ordnung. | |
Deshalb brauchte es eine Regierung, die genau das verhindert. Das zeigt zum | |
einen, wie tief die Erschütterung durch das Video ist. Und es zeigt zum | |
anderen, wie sehr diese Ordnung offenbar befestigt werden muss. | |
Interessant aber ist, dass eine funktionierende Verwaltung allein dazu | |
nicht ausreicht. Es braucht offenbar eine solche Verwaltung und etwas | |
anderes – nämlich Autorität. Es braucht also eine Person, die das, was | |
ohnehin funktioniert, übernimmt, garantiert, verantwortet. Eine Person, der | |
das Handeln der Institutionen zugeschrieben werden kann. | |
Wenn nun gesagt wird – bis zur kommenden Nationalratswahl im September | |
werde nur verwaltet, aber nicht gestaltet. Wenn nun gesagt wird, dies sei | |
eine Expertenregierung, die rein auf Fachwissen beruhe. Eine | |
Vernunftsautorität, die nur dem Gemeinwohl verpflichtet sei, ein Nullpunkt | |
des Politischen gewissermaßen – dann stimmt das so nicht. Denn der Mythos | |
des reinen Verwaltens unterschlägt etwas. | |
## Garanten von Seriosität | |
Bei den Experten, die jetzt die Regierung bilden, geht es nicht einfach um | |
Fachwissen, sondern um Wissen gepaart mit Seriosität. Mehr noch: Es geht um | |
Wissen als Garanten von Seriosität. Es geht um Expertentum als Inbegriff | |
von Integrität. Als Verkörperung moralischer Prinzipien. Als Versicherung | |
gegen das, was durch Ibiza aufgebrochen ist. Als Bollwerk gegen die tiefe | |
Korruptheit, die das Video sichtbar gemacht hat. Darin besteht die | |
Autorität dieser Regierung. | |
Diese verwaltet nicht einfach, sondern indem sie verwaltet erfüllt sie eine | |
symbolische Aufgabe: die Befestigung der politischen Ordnung. Dazu wird | |
jetzt alles an Beamtentugenden aufgeboten. Die gesamte Palette: | |
Erfahrenheit – Anstand – gutes Benehmen – höchste Qualität – Loyalit�… | |
Gewissenhaftigkeit. Erweitert um die Verhaltensregeln, die die neue | |
Bundeskanzlerin ausgegeben hat: Zurückhaltung, Bescheidenheit und | |
Freundlichkeit. | |
Kurzum – was jetzt aufgefahren wird, ist ein Überschuss an Seriosität. Um | |
die Demokratie als sittliche Ordnung, um Österreich als Tugendstaat zu | |
behaupten. (Die Frage bleibt offen, was solch eine geballte Ladung an | |
Anstand tatsächlich bei der Bevölkerung auslöst?) | |
Eine Überdosis an Seriosität soll also das abwehren, was Ibiza sichtbar | |
gemacht hat. Offenbar vermag nur eine hehre Beamtenschaft jenes Gegenbild | |
herzustellen, welches es jetzt braucht. Es geht also nicht einfach nur um | |
Expertentum – sondern auch um Exorzismus. Beziehungsweise dient das eine | |
dem anderen: Diese Expertenregierung ist ein großes Exorzismus-Unterfangen, | |
das die Ibiza-Dämonen austreiben soll. | |
25 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Isolde Charim | |
## TAGS | |
Heinz-Christian Strache | |
Österreich | |
Alexander Van der Bellen | |
Österreich | |
Heinz-Christian Strache | |
Österreich | |
Österreich | |
Österreich | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Zukunftspläne von Österreichs Ex-Kanzler: Kickl it like Kurz | |
Der österreichische Ex-Kanzler Sebastian Kurz könnte sich eine erneute | |
Koalition mit der FPÖ vorstellen. Allerdings nicht mit dem ehemaligen | |
Innenminister. | |
Salvinis Lega-Partei unter Verdacht: Italiens Ibiza-Skandal | |
Auf einer geleakten Tonaufnahme ist ein enger Salvini-Vertrauter mit | |
russischen Geschäftsmännern zu hören. Es geht um Finanzierung der | |
Lega-Partei. | |
FPÖ-Korruptionsskandal und die EU-Wahl: Strache verzichtet auf EU-Mandat | |
Trotz Korruptionsskandal hat FPÖler Strache ein Mandat für das EU-Parlament | |
gewonnen. Der Exvizekanzler hat nun entschieden, es nicht anzutreten. | |
Kolumne Der rote Faden: Video killed the Radical Star | |
Einerseits wunderbar, dass Österreich die Kurz-Strache-Regierung der | |
Herzensrohheit los ist. Andererseits: Man weiß nicht, wo all das endet. | |
Rechtsextreme in Österreich: Strache will nach Brüssel | |
Der Ex-FPÖ-Chef scheint nun doch sein Mandat im EU-Parlament annehmen zu | |
wollen. Gleichzeitig holt ihn seine rechtsextreme Vergangenheit ein. |