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# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Video killed the Radical Star
> Einerseits wunderbar, dass Österreich die Kurz-Strache-Regierung der
> Herzensrohheit los ist. Andererseits: Man weiß nicht, wo all das endet.
Bild: Regierungspartner, die sich wechselseitig in Fiesheit nur mehr zu überbi…
Bis 2008 ging der Neoliberalismus mit dem Versprechen hausieren, alles
bleibe im Grunde gleich, würde nur sukzessive besser. Seither ist die
Botschaft, mit der er daherkommt: Alles bleibe in etwa gleich, es werde nur
immer schlechter. An dieser Pointe ist etwas dran – ich habe sie aus Paul
Masons neuem Buch „Klare, lichte Zukunft“ geklaut.
War die erste Botschaft gelogen, aber immerhin beruhigend, ist die zweite
schon näher dran an der Wahrheit, aber nicht gerade erbaulich. Bei den
einen löst sie Panik aus, bei den anderen einfach Frustration, und bei den
Dritten wieder eine Kampfesstimmung à la „Alle gegen alle“. Wenn man sich
um die Krümel raufen muss, dann will man in dieser Rauferei wenigstens der
Gewinner sein, kann man gut verstehen.
Neoliberale Subjektivierung – das „neoliberale Selbst“ ist ja in aller
Munde – heißt Winner-Mentalität, Kult des Erfolges, Anbetung irgendwelcher
Alphamenschen.
Neoliberale Subjektivierung gibt es aber auch ganz unten, dort, wo die
Gemeinschaften zerbröseln. Hier gibt es eine Art „resignativer
Neoliberalisierung“. Verdichtet ist das in dem traurigen Satz: „Ich kümmere
mich nur um mich selbst.“ Diese Antwort – und die Variationen, die man zu
hören bekommt –, drückt keine stolze Unabhängigkeit aus, sondern ein Gefü…
der Resignation und der Enttäuschung. Individualisierung unten heißt
egozentrischer Kampf ums Überleben und kein Blick nach links und rechts.
## Zack, zack, zack weiter
Gesellschaftlichkeit, die nach und nach zusammenbricht. Währenddessen
bricht auch das gewohnte politische System zusammen. Bei mir daheim ist die
Zusammenbruchsspirale gerade in der nächsten, beschleunigten Drehung
angelangt. Der Zusammenbruch des Gesellschaftlichen hat uns zunächst eine
zunehmende populistische Verschärfung eingebrockt, einen Aufstieg des
Rechtsextremismus, dann eine nach rechts gewendete Christdemokratie, die
die harten Rechten kopierte, und danach 17 Monate [1][„Herrschaft der
Niedertracht“].
Bis dieses Rechts-rechts-Bündnis aus Partnern, die sich wechselseitig in
Fiesheit nur mehr zu überbieten trachteten, in einem großen Knall zerbrach.
Video killed the Radical Star. Gefühlt geht’s so jetzt täglich zack, zack,
zack weiter. Nach dem Regierungskollaps der erste Misstrauensantrag gegen
einen Regierungschef, der eine Mehrheit findet.
Regierungssturz, ein Caretaker-Government muss übernehmen, das fast so wie
eine „Regierung der nationalen Einheit“ zusammengesetzt ist. Solche
Regierungen gibt’s ja üblicherweise eher nach Revolutionen, verlorenen
Kriegen oder nach einer Staatspleite.
Nun ja, es ist wie ein Kippbild. Einerseits ist alles wunderbar, vor allem,
dass man die Kurz-Strache-Regierung der Gefühls- und Herzensrohheit los
ist; andererseits ist dieses Regieren im Notmodus und das hektische
Herumgehampel, das hilflose Taktieren der Parteipolitiker, denen die Felle
davonschwimmen, wiederum selbst Teil des Bildes eines allmählichen
Zusammenbruchs.
## Die allmähliche Kernschmelze aller Gewissheiten
Man weiß nicht recht, wo all das enden soll. Ja, es gibt neue Stabilitäten,
aber es gibt auch grundlegende Instabilitäten – oder nicht mehr als prekäre
Balancen, auf die man besser nicht bauen will.
So ein Kippbild sieht man ja auch, wenn man nach Deutschland blickt. Die
SPD, langsam zur Splitterpartei zertrümmert, die ihre glücklose Vorsitzende
so schwer verwundet hat, dass ihr gar nichts mehr übrig bleibt, als
hinzuwerfen; nunmehr geführt von einem Trio, das die Trümmer über die
Monate schleppen soll – aber wohin genau?
Eine Christdemokratie, der es nur unwesentlich besser geht. Und die Grünen,
die – sensationell – in den Umfragen erstmals auf Platz eins liegen. Das
ist ja durchaus eine erfreuliche Konsequenz dieser allmählichen
Kernschmelze aller Gewissheiten. Aber eben auch nur eine prekäre Balance.
Alles Ständische und Stehende verdampft.
Was man gestern diskutierte, gerät heute schon wieder in den Hintergrund.
Zuletzt war ja der dernier cri der politischen Debattenwelt, dass die
klassischen Mitte-links-Parteien die berühmten [2][„einfachen Leute“ zu
verlieren drohen], die alte weiße Arbeiterklasse, die neuen Unterschichten,
die Wütenden und Abgehängten. Seit den Europawahlen stellen die dortigen
„Strategen“ mit Panik fest, dass noch etwas Schlimmeres passieren kann:
dass sie auch die neuen progressiven Mittelschichten verlieren können und
dass die ein viel relevanterer Wählerstock sind.
## Peppone-Sozen
Simpel gesagt: Ohne die Schwundformen der alten Arbeiterklasse fällst du
von 40 auf 30 Prozent zurück, ohne die liberalen Mittelschichten aber dann
so grob gesagt von 30 auf 10 Prozent. Wer gestern noch einen „rechten“
Peppone-Sozi darstellen wollte, macht jetzt panisch auf Greta Thunberg, um
die progressive Jugend zu umgarnen.
Man kann diese Wendungen herrlich skurril finden. Aber sie zeigen auch, wie
gerade überall alles wackelt.
8 Jun 2019
## LINKS
[1] /Neuwahlen-in-Oesterreich/!5596393
[2] /Debatte-Identitaetspolitik/!5594743
## AUTOREN
Robert Misik
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