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# taz.de -- Massenproteste in Hongkong: Die Metropole sieht schwarz
> Hunderttausende demonstrieren in Hongkong erneut gegen das
> Auslieferungsgesetz. Eigentlich geht es ihnen aber auch längst um viel
> mehr.
Bild: Schwarzer Block à la Hongkong: Demonstrant*innen am Sonntag
Am Sonntag sind in der südchinesischen Sonderverwaltungsregion Hongkong
erneut Hunderttausende Menschen gegen das geplante Auslieferungsgesetz auf
die Straße gegangen. Dabei hatte Regierungschefin Carrie Lam [1][den
Gesetzentwurf am Vortag auf unbestimmte Zeit zurückgezogen], aber zugleich
an ihm weiter festgehalten.
Die in Schwarz gekleideten Demonstranten forderten die endgültige
Beerdigung des umstrittenen Gesetzes und Lams Rücktritt. Diese habe das
Vertrauen der Bevölkerung verspielt. Die hohe Zahl der Demonstranten legt
nahe, dass es Lam nicht gelungen ist, mit ihrem taktischen Rückzug den
Gegnern des Gesetzes den Wind aus den Segeln zu nehmen und die Bevölkerung
zu beruhigen.
Die Demonstration begann am frühen Nachmittag im Victoria Park in Causeway
Bay und zog bis zum Gebäude des Legislativrates im Stadtteil Admiralty.
Offizieller Beginn war um 14.30 Uhr, doch weit nach Einbruch der Dunkelheit
um 18 Uhr strömten immer noch neue Demonstranten in den Park. „Die
Suspendierung des Gesetzentwurfs ist nur ein Trick, um die Gemüter zu
beruhigen. Nach dem G20-Gipfel Ende Juni in Japan oder spätestens nach den
Wahlen in Taiwan nächstes Jahr wird der Gesetzentwurf wieder hervorgeholt“,
glaubt der Demonstrant Vincent Leu, 41.
## Demonstration bleibt friedlich
„Carrie Lam ist nicht meine Mutter“, hieß es auf einem ironischen
Transparent. Das ist eine Anspielung auf ein Interview Lams, die selbst
zwei Söhne mit britischem Pass hat. Sie hatte am Mittwoch ihre sture
Haltung mit dem Vergleich beschrieben, eine Mutter solle nicht dem Quengeln
der Kinder nachgeben. Die würden ihr auch später dafür dankbar sein. Viele
Gegner des Gesetzes waren entsetzt, dass Lam ihre politischen Ängste nicht
ernst nehmen will.
Der Demonstrationszug passierte auch ein Einkaufszentrum, bei dem am
Samstag ein 35-jähriger Mann von einem Baugerüst gestürzt und gestorben
war. Dort legten am Sonntag viele Blumen nieder. Der Mann hatte auf dem
Gerüst für Stunden mit einem Transparent gegen das Gesetz demonstriert,
bevor er sich in die Tiefe stürzte. „Hätte Lams Regierung auf das Volk
gehört, würde der Mann heute noch leben“, sagte ein Demonstrant.
Die Demonstration blieb bis Redaktionsschluss völlig friedlich. Am letzten
Mittwoch dagegen war es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen, als
die Polizei Tausende Demonstranten mit Tränengas, Pfefferspray und
Gummigeschossen von einer Blockade des Parlamentsgebäudes abhalten wollte.
Dort sollte der Legislativrat das Gesetz beraten, das in dieser Woche dann
mit Peking-loyaler Mehrheit beschlossen werden sollte. Am Sonntag
kritisierten viele Demonstranten die für sie schockierende Polizeigewalt.
Der gewaltsame Konflikt hatte aber Peking-freundlichen Politikern
verdeutlicht, dass die Stadt auch einen hohen wirtschaftlichen Preis
bezahlen würde, falls Lam auf dem Gesetz besteht. Es würde die Auslieferung
von Kritikern des Regimes in Peking an Chinas Justiz ermöglichen, ist die
verbreitete Befürchtung in Hongkong, und damit die dortige Autonomie
untergraben.
## Lam sieht nur Kommunikationsproblem
In den letzten Tagen hatte es hinter den Kulissen der Regierung
Krisentreffen gegeben. Nach Medienberichten reiste Lam am Freitag ins
benachbarte Shenzhen auf dem chinesischen Festland, um sich mit Chinas
Vizepremier Han Zheng zu treffen. Er ist als Mitglied im Ständigen
Ausschuss des Politbüros für Hongkong zuständig und einer von Chinas
mächtigsten Politikern.
Lam wollte das Treffen am Samstag vor der Presse weder bestätigen noch
dementieren. Sie bestand darauf, dass sie das Gesetz von sich aus
suspendierte, und wollte so den Eindruck bekämpfen, sie sei eine
Handlangerin Pekings.
[2][Die Kritik an dem Gesetz] führte sie nur auf ein Kommunikationsproblem
zurück und nicht etwa auf den Inhalt des Gesetzes. Auch damit dürfte sie
viele Hongkonger zu der Überzeugung gebracht haben, dass sie am Sonntag
erneut demonstrieren müssen, um das Gesetz endgültig vom Tisch zu bekommen.
Lams Tage im Amt dürften jetzt gezählt sein.
Mitarbeit: Yeung Pui Wan, Hongkong
16 Jun 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Sven Hansen
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Hongkong
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