# taz.de -- Die Wahrheit: Dublin ohne Pubs | |
> Warum sollte jemand versuchen, durch Dublin zu laufen, ohne ein Wirtshaus | |
> zu passieren? Gute Frage, Antwort: „Lieber James Joyce: Ja, es ist | |
> möglich!“ | |
Damit hat James Joyce nicht gerechnet. Das Rätsel aus seinem Hauptwerk | |
„Ulysses“ ist gelöst. Der irische Schriftsteller ließ seinen Protagonisten | |
Leopold Bloom sinnieren, dass es eine knifflige Aufgabe sei, Dublin zu | |
durchqueren, ohne an einem Pub vorbeizukommen. Joyce-Fans haben es seit | |
Jahrzehnten versucht, ohne es zu schaffen. Genauso gut könnte man | |
versuchen, durch den Vatikan zu laufen, ohne eine Kirche zu Gesicht zu | |
bekommen, hieß es. | |
Aber es gibt eine Lösung. Ich habe es gestern, am Bloomsday, ausprobiert. | |
Am 16. Juni 1904 machte sich Bloom auf seine Odyssee durch Dublin. Ich | |
begann im Südosten der Stadt, an der Mount Street, ging vorbei am Stephen’s | |
Green, dem von der Guinness-Brauerei gestifteten Stadtpark, bog vor dem | |
Shelbourne-Hotel, wo Adolf Hitlers Halbbruder Alois um 1910 gekellnert | |
hatte, in Richtung Liffey ab. Mit dem Wasser des Flusses wird das Guinness | |
gebraut, aber man holt es weiter oben an der Quelle. Weiter geht es | |
ausgerechnet über die James-Joyce-Brücke in den Nordwesten. | |
Zugegeben, ich hatte eine Anleitung. Der Software-Entwickler Rory McCann | |
glaubte vor Jahren, eine Strecke gefunden zu haben. Er hatte zunächst die | |
Größe Dublins zu Blooms Zeiten am Computer festgelegt. Dann trug er mehr | |
als 1.000 Pubs in die Karte ein und entwickelte einen Algorithmus, der eine | |
kneipenlose Strecke ermittelte. Allerdings musste er nachbessern, weil er | |
einige Kneipen in seiner Karte vergessen hatte. | |
Drei Jahre später war es so weit. McCann vermied sogar Hotels, weil in | |
deren Bars Alkohol ausgeschenkt wird. Die Joyce-Irren, die gestern | |
anlässlich des Bloomsday wieder über die Stadt herfielen, monierten jedoch, | |
dass die Strecke an einer Ecke der Guinness-Brauerei entlangführe. McCann | |
entgegnete, dass man weder am Eingang vorbeikäme, noch ans Tor klopfen und | |
um ein Bier bitten könne. | |
Inzwischen gibt es sogar geführte Wanderungen auf McCanns Strecke. Mit | |
Joyce kann man Geld verdienen, das weiß längst auch das Fremdenverkehrsamt, | |
das den Bloomsday auf eine Woche ausgedehnt hat. Zu seinen Lebzeiten ist | |
die Stadt nicht so wohlwollend mit Joyce umgegangen. Man hat ihn mehr oder | |
weniger aus dem Land getrieben, und nicht mal nach seinem Tod wollte ihn | |
Dublin begraben. Zwar wurde der Ulysses im Gegensatz zu den meisten Werken | |
der Weltliteratur in Irland nicht verboten, aber er wurde aus Zensurangst | |
auch nicht importiert. | |
Eine Frage aber bleibt: Warum sollte jemand versuchen, durch Dublin zu | |
laufen, ohne ein Wirtshaus zu passieren? McCann ist offenbar einsichtig. | |
Zurzeit arbeitet er an einer Strecke, auf der man an so vielen Pubs wie | |
möglich vorbeikommt. Endlich aber auch macht sich sein Studium bezahlt. | |
17 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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