# taz.de -- Kolumne Nachbarn: Eine Syrerin in den Alpen | |
> Ein Brief an meine liebe Freundin Laura: Danke, dass du mir einen Traum | |
> erfüllt hast. Und dass du dir auch meine Albträume angehört hast. | |
Bild: Gelegentlich hielt ich inne. Ich wollte dich nicht nötigen, dir meine Ge… | |
Neulich verbrachte ich drei Tage mit Freunden in den Alpen. Heute will ich | |
ein paar Einzelheiten dazu schreiben, um mich vor allem bei meiner Freundin | |
Laura zu bedanken, die diese Reise komplett organisiert und mir damit den | |
alten Wunsch erfüllt hat, in den Alpen wandern zu gehen. Ich hatte ihr | |
nämlich erzählt, dass ich seit Jahren nicht in den Bergen gewesen war. Ein | |
Brief. | |
Liebe Laura, | |
ich weiß, dass ich während der vier Tage sehr viel mit euch über mein Land | |
geredet habe, vor allem über [1][Latakia und Damaskus], die mir die | |
liebsten Orte sind. Immer wieder stellte ich Vergleiche zwischen hier und | |
dort an. Diese Eigenschaft begleitet mich stets, seit ich mein Land verließ | |
und hierherkam. Gelegentlich hielt ich inne oder wechselte das Thema. Ich | |
wollte dich nicht nötigen, dir meine Geschichten anzuhören. | |
Ich war gerade in den Alpen angekommen, als ich sogleich begann, mit den | |
Lämmern zu spielen, so wie ich es früher in den Tälern von Latakia getan | |
hatte. | |
Der Vergleich zwischen den Alpen und den Bergen an der syrischen Küste | |
erscheint nicht schlüssig, misst doch die höchste Erhebung am syrischen | |
Meer gerade mal 1.550 Meter. Doch allein der Geruch der Nadelbäume reichte, | |
um mich dorthin wegzutragen. | |
Eine Begebenheit beeindruckte mich besonders: Eine Schweizerin, die wir in | |
den Alpen trafen, konnte ihre Überraschung nicht verhehlen und sagte | |
ständig „wow“, als sie feststellte, dass eine leibhaftige Syrerin aus | |
Fleisch und Blut vor ihr stand. In den Nachrichten höre man nur von Krieg, | |
Zerstörung und Tod, sagte sie. „Wow, eine Syrerin in den Alpen!“, fügte s… | |
hinzu. Ihre Worte könnten ein Buchtitel sein. | |
Beim Gehen über recht gefährliche Pfade berieten wir spaßeshalber darüber, | |
wen wir zuerst um Hilfe rufen würden, falls uns etwas zustoßen sollte. Zum | |
Glück passierte uns nichts. | |
Am dritten Tag erzählte ich euch, dass ich von einem Rettungshubschrauber | |
träumte, der über uns flog und Bomben auf uns abwarf, statt uns zu retten. | |
In meinem Traum rannte ich und versorgte euch mit feuchten Tüchern, um euch | |
vor den giftigen Gasen zu retten. | |
Ich merkte, liebe Laura, wie dich mein Albtraum traurig machte. Deshalb | |
unterbrach ich und hörte auf zu erzählen. Ich wollte uns diesen schönen | |
Morgen in den Alpen nicht verderben. Ich schätze deine Anteilnahme, dein | |
Mitgefühl, deine Großzügigkeit und deine Unterstützung sehr. | |
Wenn jeder geflüchtete Mensch eine Freundin oder einen Freund wie dich | |
hätte, Laura, und wie viele andere deutsche Freundinnen und Freunde, wäre | |
die Kluft zwischen den Menschen in dieser Gesellschaft nicht so tief, wie | |
sie heute ist. Dann würde die Integration vielen Menschen wesentlich | |
leichter fallen. | |
Aus dem Arabischen von Mustafa Al-Slaiman. | |
17 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Kefah Ali Deeb | |
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