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# taz.de -- Kolumne Nachbarn: Die syrische Küste in der Nase
> Die Flucht aus Syrien bleibt im Kopf. Wälder, Felder, Flüsse und Seen
> können mein Gedächtnis wenigstens manchmal ein bisschen besänftigen.
Bild: Wenn Brandenburgs Wälder an mir vorbeirauschen
Wir waren auf der Flucht, mein Freund, [1][über den ich bereits in früheren
Kolumnen schrieb], und ich, in der Hoffnung, nicht von den
Sicherheitskräften aufgegriffen zu werden. Er lenkte den Wagen und fuhr
eher langsam, während ich schweigend im Beifahrersitz versunken war. Durch
das offene Fenster streichelte eine nach Meer und Zedern duftende Brise
mein Gesicht.
Auf einer bezaubernd schönen Strecke fuhren wir an einem Ort an der
syrischen Küste vorbei, auf der einen Straßenseite das Meer, auf der
anderen Zedernwälder. Mein Herz schlug für das Land, das ich nicht aus
freien Stücken verlassen wollte; die Sorge um das Leben schwebte über mir.
Plötzlich durchbrach mein Freud die Stille mit der Frage: „Weißt du, dass
ich, so lange ich lebe, diese Land nie verlassen werde?“ Ohne meine
Reaktion abzuwarten ließ er das Lied Halwa ya baladi laufen, „Schön bist
du, mein Land“. Ich weinte vor Kummer und Liebe zugleich, während mein
Freund aus Verlegenheit laut mitträllerte: „Schön bist du, mein Land“.
Nur wenige Tage später wurde wir beide in „unserem schönen Land“ gefasst
und kamen ins Gefängnis. Ich kam später frei, er blieb drin. Das einzige,
was ich in den sechs Jahren seitdem erfuhr, war, dass er vor zwei Jahren
starb. Diese Nachricht wurde von keiner offiziellen Stelle je bestätigt
oder dementiert. Sicher ist, dass er sein Versprechen gehalten hat: Er hat
das Land nicht verlassen.
## Der Duft der Wälder
Ich sitze gerade im ICE und fahre durch Brandenburg an Wäldern vorbei;
Erinnerungen rütteln mich wach. Schade, dass sich die Fenster nicht öffnen
lassen; gern würde ich den Duft der Wälder einatmen und mein Gedächtnis
damit vielleicht etwas besänftigen.
Ich höre zurzeit keine Lieder mehr über mein verlorenes Land, ich will
keine Sehnsucht mehr haben. Ich höre auch keine Nachrichten mehr und kann
keine Reportagen mehr über den [2][elenden Zustand syrischer Flüchtlinge,
über die Toten] und die brennenden Weizenfelder sehen. Ich lebe nur noch
mit der Hoffnung, dass dieses Elend bald ein Ende finden möge.
Der Zug fährt immer noch schnell, die Brandenburger Wälder rauschen in die
umgekehrte Richtung an mir vorbei und ich bin zwischen Zug und Wäldern hin
und her gerissen. Der Verlust scheint immer zu siegen.
Wälder, Felder, Täler, Flüsse, Bäche, Seen, Sonne, Mond und Regen üben
stets eine große Anziehungskraft auf mich aus. Sie erwecken mein Gedächtnis
und vergegenwärtigen meine Erinnerungen. Was ich vergessen will, wird
präsent, die Vergangenheit holt mich zurück und mein Land zerrt an mir. Ich
versuche die Flucht nach vorne zu ergreifen, arbeite viel und reise öfters
bis zur Erschöpfung. Und ich frage mich: „Nimmt man das Vaterland an den
Schuhsohlen mit?“
Aus dem Arabischen von Mustafa Al-Slaiman
7 Jul 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Kefah Ali Deeb
## TAGS
Nachbarn
Schwerpunkt Syrien
Flucht
Natur
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Schwerpunkt Rassismus
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