Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- #Yachtfleet von Mission Lifeline: Segeldemo gegen Seenot
> Mehrere Segelboote protestieren auf dem Meer für mehr Seenotrettung. Die
> Crews wollen auch selbst Leben retten. Bald brechen sie nach Lampedusa
> auf.
Bild: Vorbereitungen für den Notfall: Mitglieder von #Yachtfleet
Mittelmeer taz | Eine Frau treibt zwischen den Wellen und schreit. Eben ist
sie gesprungen. Ihr Kopf verschwindet im Wasser, taucht auf, geht unter.
Etwa fünf Meter von ihr entfernt treibt das Schlauchboot mit vier weiteren
Menschen; sie stehen, schreien, winken. Die Seenottretter*innen knattern
über die Wellen, ihr verstärktes Schlauchboot klatscht auf das Wasser. Als
sie nahe sind, bremsen sie, packen an: die Frau bergen, die Leute
beruhigen, damit nicht noch jemand springt. Alles muss gleichzeitig
passieren.
Die Seenotretter*innen gehören zu [1][#Yachtfleet]: einer Demo aus
Segelbooten auf dem Mittelmeer, organisiert von Mission Lifeline. Auch die
Menschen, die soeben in Seenot zu sein schienen, gehören zur Besatzung.
Mit drei Booten wollen die Demonstrant*innen länger als eine Woche auf dem
Mittelmeer für Seenotrettung demonstrieren. Für den Fall, dass ihnen dabei
Boote, die wirklich in Seenot sind, begegnen, trainieren sie vorher
zusammen.
Ob Studentin, Künstlerin, Chefarzt, Solaranlageninstallateur, ob Ende 20
oder Mitte 70, alle sagen, sie seien gekommen, um zu helfen. Einige der
Leute, die mitfahren, haben weder im Segeln noch in der Seenotrettung
Erfahrung. Die meisten können das eine oder das andere.
Seenotrettung mit Segelbooten: diese Kombination hat es so bisher nicht
gegeben. Entstanden ist die Idee, weil die großen privaten Schiffe nach
Seenotrettungen immer wieder beschlagnahmt in Häfen liegen.
## „Wir bereiten die Boote für Rettungen vor“
Bei der Demo geht es um die 18.000 Menschen, die in den letzten fünf Jahren
im Mittelmeer ertrunken sind. Es geht um Berichte über staatliche wie
nichtstaatliche Folterlager in Libyen und solche von Fischern, die immer
wieder Leichenteile in ihren Netzen finden. Und es geht darum, die
Seenotrettung der EU im Mittelmeer zu retten.
„Zu meinen Eltern habe ich gesagt: Würde ich nach Libyen, Syrien oder in
den Irak fliegen statt nach Sizilien, wäre ich entspannter“, sagt Andrea
Quaden. Die 33-Jährige ist humanitäre Nothelferin und war auf hoher See
noch nie im Einsatz, nur an Land. Anfangs an der türkisch-syrischen Grenze,
dann drei Jahre im Irak. Während der Offensive gegen den sogenannten
Islamischen Staat, als man nicht wusste, ob eher 500.000 oder 1,5 Millionen
Menschen binnen kürzester Zeit aus Mossul fliehen würden, war sie für
Nichtregierungsorganisationen vor Ort.
Gerhard Meyer ist 76 und war mal Polizist. Früher, vor seinem
Medizinstudium. Danach war er oft in der Antarktis, als Expeditionsarzt mit
Pinguinologen. Er war Chefarzt, Psychotherapeut und hat in Lateinamerika
Menschen in einer Urwaldklinik behandelt. „Ich bin als Arzt dabei, aber
meine Aufgabe hier sehe ich vor allem in der psychologischen Versorgung“,
sagt Meyer. „Eine Frau hält ihr totes Baby im Arm. Es ist gestorben. Auf
der Fahrt im Boot erdrückt oder erstickt oder ertrunken. Was machst du?“
Die Runde überlegt. Einer der häufigsten Vorschläge: Körperkontakt
herstellen. „Das kann auch helfen. Aber am Ende geht es darum, was mit
diesem Baby passiert. Den toten Körper mitzunehmen, davon rate ich ab. Ich
betreue die Mutter und am Ende übergeben wir beide gemeinsam ihr Baby dem
Meer.“
Am Donnerstag, den 13. Juni trainieren die Crews seit einer Woche – und
brechen auf. Das erste Ziel ist Lampedusa. 30 Stunden hat die #Yachtfleet
geplant für 133 Seemeilen, das entspricht 240 Kilometern. Von Lampedusa aus
soll es in die maltesische Such- und Rettungszone gehen: den Teil des
Mittelmeeres, in dem Malta für Seenotrettung verantwortlich ist. Geplant
sind acht Tage am Stück auf See. „Es braucht Vorbereitung, um so lange auf
See zu sein“, sagt Michele Angioni, einer der erfahrenen Retter und
Segler. „Wir bringen allen bei, wie man sicher segelt. Außerdem bereiten
wir die Boote für Rettungen vor. Zurzeit ist das Mittelmeer voll von
Notfällen.“
## Über 22.500 Menschen hat „Sophia“ gerettet
Zwei große Seenotrettungsprogramme hat Europa seit 2013 im Mittelmeer
gestartet und wieder eingestellt. Mare Nostrum lief ein Jahr lang, bis
Oktober 2014, und rettete mehr als 150.000 Leben. Macht etwa 400 pro Tag,
in mehr als 420 Einsätzen. „Mare Nostrum verdeutlicht eine Idee“, sagte die
damalige italienische Verteidigungsministerin 2014. „Italien ist kein
Land, das zulässt, dass das Mittelmeer, das eigentlich Leben schenkt, zu
einem Friedhof wird.“ Trotz mehrfacher Bitten um Unterstützung ließ die EU
Italien bei Mare Nostrum allein.
Nach dem Ende von Mare Nostrum starben viele im Meer. 2015 folgte die
EU-Operation Eunavfor Med, später „Sophia“ genannt, nach dem ersten Kind,
das je auf einem Schiff der Bundeswehr geboren wurde. Seit Anfang 2019 ist
Sophia [2][faktisch eingestellt]. Offiziell läuft sie weiter. Ohne Schiffe.
In einem Magazin der Bundeswehr zogen deutsche Soldat*innen Bilanz.
„Monitor“ berichtete am 21. Februar 2019. „Das waren kriegsähnlich Szene…
Da waren Leute nackt im Wasser, die um ihr Leben kämpften, schrien, weil
ihr Boot im Begriff war zu sinken“, sagte Jan Hodam, ein Oberbootsführer.
Mehr als 22.500 Menschen haben deutsche Soldat*innen in den vier Jahren
Sophia gerettet. Aktuell ist die „Sea-Watch 3“ wieder im Mittelmeer
unterwegs. 22 Menschen auf einem 50 Meter langen, Hunderte Tonnen schweren
Stahlschiff.
#Yachtfleet besteht aus drei Booten, mit einer Besatzung von insgesamt 26
Personen. „Wir hoffen, dass wir Leuten helfen können“, sagt Skipper Thomas
Nuding. „Mit Schwimmwesten und Wasser. Wir sind gut vorbereitet. Für mich
ist es auch ein Erfolg, wenn wir keinem Notall begegnen, aber öffentliche
Aufmerksamkeit für die Problematik erregen.“
Laut einem [3][Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von
2012] dürfen europäische Schiffe gerettete Menschen nicht nach Libyen
zurückbringen. Seit 2017 zahlt die EU Millionen, um die sogenannte libysche
Küstenwache so auszurüsten, dass sie das übernimmt. 46,3 Millionen Euro
sind vorerst veranschlagt. Ohne Sanktionsmöglichkeiten.
## Mit Elektroschocks gequält
Ein internationales Team aus Jurist*innen hat die EU wegen Verbrechen gegen
die Menschlichkeit beim Internationalen Strafgerichtshof angezeigt. Libyen
befindet sich in einem Bürgerkrieg. In Berichten von Diplomat*innen, von
Medien und der UN sowie in wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist zu
lesen, dass und wie in staatlichen und nichtstaatlichen Gefängnissen in
Libyen Menschen gefoltert werden: Sie werden an Ketten aufgehängt,
geschlagen, mit Elektroschocks gequält, vergewaltigt, ausgehungert. Es gibt
unbehandelte Epidemien, blutverschmierte Wände, Hunderte Leichen, die auf
Straßen, Müllhalden und in Krankenhäusern gefunden werden. Auf
Sklavenmärkten verkauft man Geflüchtete. Kinder werden zwangsprostituiert.
Aus zahlreichen Berichten geht hervor, dass die libysche Küstenwache sich
am Schleusergeschäft beteiligt.
„Die Küstenwache ist an den Außenbordern interessiert: Sie sammelt die
Boote wieder ein, und verkauft sie an die Schleuser zurück“, sagt Martin
Ernst. Der 38-Jährige hat früher bei der Postbank gearbeitet. Heute
studiert er Nautik, engagiert sich bei Mission Lifeline und trainiert die
Crews der #Yachtfleet im Fahren der Beiboote. „Begegnungen sind meist gut
ausgegangen. Sie sagen ‚Verpisst euch!‘ oder drohen: ‚Helper, Helper, I
kill you.‘ Ich hatte schon heikle Situationen, aber die sind meist so
gelaufen, dass sie sagten: Nehmt ihr die Leute, wir nehmen den
Außenborder.“
Nach jeder neuen Enthüllung hat die EU ihre Unterstützung der Miliz
fortgesetzt. In der Hoffnung, dass es besser würde. Laut
Nichtregierungsorganisationen ist es schlimmer geworden. „Die machen sich
über uns lustig“, sagt der Beibootfahrer Helmut Philipp, als die
#Yachtfleet nach Lampedusa segelt. Sollte es zu einer Rettung kommen, wäre
das sein erster Einsatz.
Über Funk hat Philipp einen libyschen Standardkanal mitgehört. „Ich spreche
kein Arabisch, aber sie sagen die Namen unserer Boote und lachen.“ Die
#Yachtfleet hat drei private Segel- und drei Beiboote. Die libysche
Küstenwache dagegen bekommt Militärschiffe von Italien, Millionen von der
EU und ist bewaffnet mit Maschinengewehren.
15 Jun 2019
## LINKS
[1] https://twitter.com/hashtag/Yachtfleet?src=hash
[2] /Seenotrettung-vor-Libyens-Kueste/!5583039
[3] /Urteil-gegen-Italiens-Fluechtlingspolitik/!5099935
## AUTOREN
Anett Selle
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
Seenotrettung
Mittelmeer
Mission Lifeline
Demonstrationen
Sea-Watch
#Yachtfleet
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Seenotrettung
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
## ARTIKEL ZUM THEMA
Urteil über Rettungsschiff vor Lampedusa: „Sea-Watch 3“ darf nicht anlegen
Erneute Niederlage für die Hilfsorganisation Sea-Watch: Der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte urteilte, dass ihr Rettungsschiff nicht in
Italien anlegen darf.
Seenotrettung – Kladde von Anett Selle: Seenotrettung ohne Schiffe
Die Tür ist zu. „#Yachtfleet“ legt an. Wasser spritzt. Zehn Tage nach ihrem
Aufbruch aus Licata endet die Demo für Seenotrettung.
Flüchtlinge in Tunesien: Mittelmeerträume und Realität
Zarzis in Tunesien wird Brennpunkt der Migration. Aus Libyen kommen
Afrikaner auf dem Weg nach Europa. Auf dem Meer mussten viele schon
umkehren.
Seenotrettung – Kladde von Anett Selle: Kriegsschiffe am Horizont
Die „#Yachtfleet“ erreicht die Grenze zwischen maltesischer und libyscher
Such- und Rettungszone. Die Crews halten Ausschau nach Ertrinkenden.
Seenotrettung – Kladde von Anett Selle: Nachtschicht auf dem Meer
Die Boote der Aktion „#Yachtfleet“ haben Licata verlassen und segeln nach
Lampedusa. Für einige Crewmitglieder ist es die erste Nacht auf dem Meer.
Seenotrettung – Kladde von Anett Selle: Auf dem Meer gibt es keine Pause
Für die #Yachtfleet-Demo trainieren die Crews, zusammenzuarbeiten und auch
Menschen zu retten. Wann sie aufbrechen, ist noch unklar.
Seenotrettung – Kladde von Anett Selle: Bratwürste und Einsatzübung
30 Leute sind Teil der Yachtfleet, einer Segel-Demo für Seenotrettung auf
dem Mittelmeer. Heute lernt die Crew sich kennen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.