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# taz.de -- WM-Mitfavorit England: Freiheit im Ausdruck
> Der Turnierfavorit England versemmelt zwar zu viele Chancen, zeigt sich
> aber schon in vielversprechender WM-Form.
Bild: Jubel vor Kolleginnen: Nikita Parris trifft zum 1:0 für England
Nikita Parris war so adrenalingeladen, dass sie beinahe jede Frage mit „Ja,
absolut“ beantwortete. Dann brach eine Kaskade von Worten aus der
25-jährigen Engländerin heraus, sinnbildlich für Euphorie, Spielfreude und
ein wenig Übermut im englischen Team.
„Ich bin selbstbewusst, und heute hat es mir geholfen, ich zu sein“,
verkündete die WM-Debütantin, die England mit ihrem ins Eck gedroschenen
1:0-Elfmeter zum Sieg im Inselduell gegen Schottland verholfen hatte.
Parris sprach in den Katakomben von einer unglaublichen Atmosphäre, und
natürlich wolle man bei diesem Turnier besser abschneiden als beim dritten
Platz in Kanada 2015, mithin: Weltmeisterinnen werden.
Ob das hier ihre WM werden könne? „Ja, absolut.“
In der Tat sah das Publikum in Nizza eine erste Hälfte, in der die
Engländerinnen von allen bisherigen selbst ernannten Titelkandidatinnen am
überzeugendsten agierten. Mit schnellem, flachem Kombinationsfußball,
ansehnlichem One-Touch-Offensivspiel, hoher Ballsicherheit.
„Ich will, dass sie mit Freiheit und Ausdruck spielen“, umschrieb es Coach
Phil Neville nach der Partie. Mit der flinken Achse aus Nikita Parris und
Lucy Bronze auf Rechts sowie der umtriebigen Beth Mead über links machte
das Team zudem einen variablen Eindruck. Allein die Chancenverwertung
mussten sich die Engländerinnen vorwerfen lassen; sehr nachlässig gingen
sie vor dem schottischen Tor zu Werke.
## Zwei irreguläre Treffer
So war es bezeichnend, dass schließlich ein berechtigter Handelfmeter für
die 1:0-Vorentscheidung sorgte, nachdem Verteidigerin Nicola Docherty
unglücklich angeschossen wurde. Die Frauen sind es sichtlich nicht gewöhnt,
dass ein Videoassistent jede Kleinigkeit im Strafraum überprüft. Die
Handelfmeter dürften sich häufen bei diesem Turnier, den Spielen tut das
eher nicht gut. Kurz vor der Pause machte Ellen White mit einem platzierten
Schuss zum 2:0 alles klar. Die Niederlage hätte noch höher ausfallen
können, wären nicht zwei englische Treffer aberkannt worden.
Trotz des letztlich klaren Spielverlaufs war das Ergebnis auch für die
Neulinge aus Schottland akzeptabel. „Wir haben eine fantastische Leistung
gebracht“, resümierte Angreiferin Lisa Evans etwas zu enthusiastisch,
allerdings sei man in der ersten Hälfte „zu weit weg von den Gegnerinnen“
und „zu respektvoll“ gewesen. Die WM-Debütantinnen, wacker bis zur letzten
Minute, aber technisch limitiert, kamen schließlich durch Claire Emslie zum
1:2-Anschluss. Für einen Ausgleich gegen zunehmend passive Engländerinnen
reichten die spielerischen Mittel nicht.
## WSL als Exportware
Dennoch durfte der Spielverlauf als Beleg für die Entwicklung des
schottischen Fußballs gelten. Noch vor zwei Jahren, bei der EM 2017, waren
die Schottinnen gegen England völlig hilflos mit 0:6 untergegangen. Jetzt
stand die Defensive um die herausragende Torhüterin Lee Alexander
kompakter; offensiv deuteten vor allem Erin Cuthbert und Emslie ihre
individuelle Klasse an. Wie mittlerweile fast alle aus der schottischen
Startformation spielen sie in der englischen WSL, deren
Professionalisierung hat sicher einen Anteil an der Entwicklung.
Zudem produziert die WSL jetzt Exportware. Nach ihrer herausragenden Saison
bei Manchester City ist Lucy Bonze zu Olympique Lyon gewechselt, den
gleichen Weg geht Nikita Parris. Die verkörpert mit ihrer fröhlichen
Albernheit das England, wie es sich selbst gern sieht: unbekümmert, frei,
aber auch spielerisch gereift. Ob das auch gegen größere Gegnerinnen als
Schottland gilt, bleibt vorerst unbeantwortet. Auf englischer Seite grämte
man sich bislang nur über die Kulisse.
Lediglich 13.000 Fans besuchten das Spiel im 35.000 Zuschauer fassenden
Stadion von Nizza, und die bestanden größtenteils aus hingebungsvollen
Schottinnen, die weltmeisterlich sangen und soffen. Englisches Publikum sah
man weniger, wenngleich Phil Neville auf Nachfrage eines enttäuschten
Reporters „eine weiß-rote Wand“ entdeckt haben wollte.
## Geht das Publikum mit?
Das groß angelegte Experiment des englischen Fußballs mit der
Professionalisierung der WSL und der umfangreichen Berichterstattug der BBC
läuft letztlich auf eine Frage hinaus: Geht das Publikum mit? Toni Duggan
hat kürzlich ein bemerkenswertes Interview gegeben. Da sprach sie über ihr
Spiel mit Barcelona gegen Atlético vor 60.000 Anhängern, und wie ihr ein
Fan den Stinkefinger zeigte. Nicht, dass sie das gutheißen wolle, aber es
gefiel ihr doch, weil das Publikum die Partie ernst nahm. In England fehle
das.
Da sei Fußball ein Familienevent, „und noch bei einer Niederlage heißt es:
„Macht euch keinen Kopf, ihr habt so toll gespielt.“ Sie, Duggan, finde das
„ein bisschen herablassend“ gegenüber Frauen. Und so geht es für England
bei der WM nicht nur um Dreiecksbildung, sondern auch um die Frage, ob ein
frühzeitiges Aus im Achtelfinale einen englischen Fan genug jucken würde,
damit er Duggan den Stinkefinger zeigt.
10 Jun 2019
## AUTOREN
Alina Schwermer
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