# taz.de -- Fußballerinnen fordern Gleichstellung: Nicht mit mir! | |
> Die Fifa veranstaltet ihr Prestige-Turnier und die Beste bleibt zu Hause: | |
> Weltfußballerin Ada Hegerberg boykottiert die WM. | |
Bild: Ada Hegerberg kämpft für Gleichstellung | |
BERLIN taz | Die Leerstelle ist so eindrücklich, dass niemand sie übersehen | |
kann. Ada Hegerberg, die vielleicht beste Fußballerin überhaupt, wird | |
dieses WM-Turnier boykottieren. Sportlich wird die Welt das ohnehin spüren: | |
44 Tore in 46 Champions League-Spielen, irreale 129 Tore in 105 Ligaspielen | |
für Olympique Lyon und 38 Treffer in 66 Länderspielen fürs norwegische | |
Nationalteam. | |
Diese Saison verabschiedete sie sich standesgemäß in die Sommerpause mit 20 | |
Toren in 20 Ligaspielen und einem Hattrick im Champions-League-Finale. Und | |
dann fuhr sie in Urlaub, weil Ada Hegerberg nicht mehr für Norwegens | |
Nationalteam spielt, seit 2017 schon nicht mehr. Aus Protest gegen fehlende | |
Wertschätzung für den Frauenfußball. | |
Vieles an dem Fall ist bemerkenswert, und manches undurchsichtig. Und | |
aktuell ist unsicher, wie sehr der Frauenfußball von diesem Boykott | |
profitieren kann. Nach dem Vorrunden-Aus mit null Punkten bei der EM 2017 | |
hatte die damals erst 21-jährige Ada Hegerberg ihren Rücktritt aus den | |
Nationalteam angekündigt. | |
„Fußball ist der größte Sport für Mädchen in Norwegen, das ist seit Jahr… | |
so, aber gleichzeitig haben Mädchen nicht dieselben Möglichkeiten wie | |
Jungs“, sagte sie da. „Norwegen hat eine große Vergangenheit im | |
Frauenfußball, aber es ist jetzt schwieriger. Wir reden nicht mehr über | |
Entwicklung, und andere Länder haben uns überholt.“ Ein ungewöhnlicher, | |
reifer Idealismus einer sportlich Enttäuschten. | |
Sie stellte sich allein hin in ihrem Protest; eine noch junge Spielerin, | |
was man manchmal vergisst, weil sie seit sieben Jahren auf Topniveau spielt | |
und ein Selbstbewusstsein ausstrahlt, als sei sie seit zwanzig Jahren in | |
der Branche tätig. Der norwegische Verband bemüht sich seither | |
gewissermaßen dauerhaft, seinen Superstar wieder gewogen zu stimmen, noch | |
bis kurz vor dem Turnier. | |
## Es muss noch viel getan werden | |
Man habe Hegerberg „nicht aufgegeben“, sagte Sportdirektorin Lise | |
Klaveness, und ja, es müsse noch viel getan werden für den Frauenfußball. | |
Trainer Martin Sjögren klang jedoch zuletzt kühler: „Als Trainer musst du | |
dich auf die Spielerinnen konzentrieren, die Teil des Teams sein wollen. | |
Und Ada will nicht.“ | |
Dass dieser Boykott ausgerechnet in Norwegen stattfindet, ist schon | |
interessant; lange waren die Norwegerinnen nicht laut gegen den Verband | |
aufgetreten, und das Land kann sich eines verhältnismäßig progressiven | |
Umgangs mit Frauenfußball rühmen. Aber von der Weltspitze ist Norwegen weit | |
zurückgefallen, und natürlich war es gerade das progressive Umfeld, das | |
eine wie Hegerberg hervorbringen konnte. | |
Ihre Beharrlichkeit verschafft ihr Gehör. Im Dezember 2017 führte Norwegen | |
als offiziell erstes Land gleiche Bezahlung für sein Männer- und | |
Frauennationalteam ein, Hegerbergs Boykott wird eine Rolle gespielt haben. | |
Zurück kehrte sie trotzdem nicht. | |
## Sexismus-Aufruhr | |
Ada Hegerberg, ein Wunderkind, mit 16 Jahren schon in der Ersten Liga in | |
Norwegen und im Nationalteam aktiv, mit 16 Jahren beste Torschützin der | |
Liga. Über Turbine Potsdam landete die Stürmerin bei Olympique Lyon, wo sie | |
seit 2014 spielt und alle großen Titel gewann. Aufgewachsen ist sie in | |
einem Haushalt, wo „Gleichberechtigung wichtig war“, wie sie mal sagte. | |
Ihre Mutter habe sie ermutigt, ihre Stimme politisch zu nutzen. | |
Die 23-Jährige spricht viel und mit reichlich Sendungsbewusstsein über das | |
Thema, sie sucht solche Gespräche, anders als die meisten Spielerinnen | |
insbesondere ihres Alters. Man nimmt ihr durchaus ab, dass ihr das Thema | |
etwas bedeutet. Andererseits war da diese Geschichte beim Ballon d’Or, den | |
sie als erste Frau überhaupt im letzten Jahr erhielt. Der Moderator fragte | |
sie, ob sie twerken könne, was sie kühl verneinte. Es gab einen | |
Sexismus-Aufruhr, bei dem Hegerberg selbst sich ziemlich still verhielt. | |
„Ich habe das nicht als Sexismus empfunden“, sagte sie später. Sie wolle, | |
dass eine positive Botschaft hängen bleibe. | |
In Interviews plaudert Hegerberg eloquent auf Norwegisch, Englisch, | |
Französisch, Deutsch, bei Pressekonferenzen nimmt sie mühelos den Raum ein. | |
Wenn ihr allerdings eine Frage nicht passt, wird sie schnell kiebig; man | |
möchte nicht der sein, der mit ihr im Clinch liegt. Der norwegischen Presse | |
gilt sie eher als Individualistin. „Sie selbst sagt, dass sie intern als | |
Primadonna wahrgenommen werde, was zu Konflikten mit den Mitspielerinnen | |
geführt habe“, schrieb die Zeitung Dagsavisen im Dezember. | |
Mit ihrem Boykott kämpft Hegerberg allein. Wo es in jüngster Zeit | |
Widerstand gab gegen Ungleichbehandlung, von den US-Amerikanerinnen, vom | |
dänischen Nationalteam, zuletzt von der australischen | |
Spielerinnengewerkschaft, handelte immer ein Kollektiv. Die Mitspielerinnen | |
Ada Hegerbergs aber schweigen. Und lange tat das auch sie. Auf Anfrage | |
schreibt ihr Management zunächst, dass ein Interview in Betracht gezogen | |
werden könne, reagiert danach aber nicht mehr auf Anrufe und Mails. | |
## Nicht gut genug | |
Erst kurz vor der WM sprach die boykottierende Hegerberg erneut über die | |
boykottierende Hegerberg, für ihre Verhältnisse überraschend vage. „Ich war | |
sehr ehrlich gegenüber den Verbandsvertretern. Was nicht gut genug war, ist | |
nicht gut genug“, sagte sie dem norwegischen Magazin Josimar. | |
Was sie fordert, bleibt völlig unklar. Und möglicherweise geht es auch um | |
anderes als Politik: „Ich war mental kaputt“, so Hegerberg über die Zeit | |
beim Nationalteam. „Es war ein zutiefst deprimierendes Gefühl.“ Albträume | |
habe sie gehabt nach den Aufenthalten. Das klingt eher nach persönlichen | |
Konflikten. | |
Entsprechend unterschiedlich fallen die Reaktionen aus. Die | |
englischsprachige Presse feierte die 23-Jährige, in Norwegen sind die Töne | |
kritischer. Die Zeitung VG macht sich Sorgen, Hegerbergs Boykott und der | |
mediale Trubel könnte dem restlichen Team die WM vermiesen. „Sie jagen eine | |
Medaille und haben die Quengelei um Hegerberg nicht verdient.“ Außerdem | |
sei die WM-Qualifikation ohne Hegerberg sowieso besser gelaufen als die EM | |
mit ihr. | |
Es erinnert ein wenig an die ewigen Querelen des schwedischen Männerteams | |
mit Zlatan Ibrahimović, auch Hegerberg ist zu groß für das Team. Auffällig | |
unpolitisch wird die Diskussion geführt, stattdessen geht es um den | |
vermeintlichen Charakter Hegerbergs. | |
## Schwammige Forderung | |
Das Dagbladet fordert sie auf, doch ganz konkret zu sagen, was sie geändert | |
sehen möchte: „Nur Ada kann den Konflikt mit Ada lösen.“ Der norwegische | |
Verband fährt die Verteidigungslinie, er wisse selbst nicht, was seine | |
Spielerin von ihm verlangt. | |
Hegerbergs Kollegin Caroline Graham Hansen aber wurde jüngst deutlich: | |
„Jeder weiß, wo der Schuh drückt.“ Ausgesprochen hat es seltsamerweise | |
niemand. Man kann es Hegerberg als Fairness auslegen, dass sie den | |
Streitgrund nicht medial ausschlachtet. Möglicherweise erhofft sie sich | |
mehr Wirksamkeit durch Gespräche hinter den Kulissen. Aber ohne konkrete | |
Forderungen bleibt ein Boykott schwammig, die Verwechslungsgefahr zwischen | |
politischem Statement und persönlichen Konflikten besteht. | |
Bessere Bedingungen für Frauenfußball schaffen, da wird jeder Verband | |
Einverständnis signalisieren. Mit konkreten Bedingungen wäre womöglich mehr | |
erreichbar gewesen. Will man die Messlatte hoch legen, kann man zudem | |
hinterfragen, warum sie ausgerechnet auf Nationalteamebene boykottiert. | |
In der Champions League ist Ada Hegerberg gern und unkritisch aktiv, obwohl | |
die Männer Unsummen verdienen, während die Preisgelder für Frauenteams in | |
der Regel gerade die Reisekosten decken. | |
Aber vielleicht muss sich eine 23-Jährige, die die Eier hat, für Feminismus | |
auf eine werbewirksame WM zu verzichten, auch nicht mit solchen Fragen | |
herumschlagen. Sie wird wissen, dass es klüger ist, ein Nationalteam zu | |
boykottieren, das sie zurückholen möchte, statt einen Ligabetrieb, wo man | |
schnell entbehrlich wird. | |
Hegerberg bedauerte die mediale Verwirrung. Und in Hegerberg’scher | |
Nachdrücklichkeit betonte sie, dass sie zu ihrer Entscheidung stehe. „Ich | |
wäre nicht die Spielerin, die ich heute bin, wenn ich nicht für meine Werte | |
einstehen würde, für die Dinge, an die ich glaube. Es ist leicht, sich | |
unterwegs selbst zu verlieren, und man muss schwere Entscheidungen treffen, | |
um sich selbst treu zu bleiben.“ Und wenn das Dagbladet schreibt, der Ball | |
liege nun im Spielfeld von Hegerberg, stimmt das natürlich nicht. Der Ball | |
liegt beim Verband. | |
(Mitarbeit Reinhard Wolff) | |
7 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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