# taz.de -- Britische Serie „Cheat“: Krimi ohne Klischees | |
> Kein Leichenfund, keine Kriminaltechniker und keine Standardfragen. Dafür | |
> liefert der Mehrteiler detaillierte Charakter- und Milieustudien. | |
Bild: Studentin Rose (Molly Windsor, li.) reißt Dr. Leah Dale (Katherine Kelly… | |
Als im Vorjahr die Titelrolle der britischen Kultserie „Doctor Who“ | |
erstmals weiblich besetzt wurde, sorgte das nicht nur unter den treuen | |
Gefolgsleuten des Doctors für Debatten. Kritische Kommentare fragten: | |
„Warum erst jetzt?“. Der Vorwurf relativiert sich eingedenk der Tatsache, | |
dass aus der Ur-Serie ein ganzes „Whoniversum“ entstanden ist. In der | |
Hörspielserie „Doctor Who Unbound“ sprach Arabella Weir 2003 einen | |
weiblichen Doctor. 2007 entstand mit „The Sarah Jane Adventures“ ein | |
TV-Ableger mit weiblicher Titelheldin, gespielt von Elisabeth Sladen. Deren | |
früher Tod bereitete der erfolgreichen Serie nach fünf Staffeln ein Ende. | |
2016 entstand [1][mit „Class“ ein weiterer, allerdings kurzlebiger | |
Ableger,] mit Katherine Kelly in einer tragenden Rolle als Lehrerin | |
extraterrestrischer Herkunft. In dem von der ARD über Pfingsten angesetzten | |
britischen Vierteiler „Cheat – Der Betrug“ bleibt Katherine Kelly als | |
Hochschuldozentin Leah Dale also beinahe im Fach. Sie hält in Cambridge | |
Soziologievorlesungen ab. Ihr aktuelles Thema: Machtverhältnisse. | |
Leah Dale entstammt einer Akademikerfamilie, die Berufung auf eine feste | |
Professur ist nur eine Frage der Zeit. Sie pflegt einen freundlichen Umgang | |
mit ihren Studierenden, legt aber Wert auf Einhaltung der | |
wissenschaftlichen Normen. Rose Vaughan (Molly Windsor) kommt notorisch zu | |
spät, beteiligt sich kaum an den Diskussionen. Ihre Semesterarbeit über den | |
Skandal als Merkmal des zeitgenössischen Politikgeschehens fällt brillant | |
aus – und stößt bei Leah Dale auf Argwohn. Sie sucht das Gespräch, ist | |
offen für eine Erklärung. Vaughan kontert frech mit einer beleidigenden | |
Charakteranalyse ihrer Dozentin. | |
## Angesiedelt im gehobenem Milieu | |
Das mutmaßliche Plagiat dient Drehbuchautor Gaby Hull – es handelt sich um | |
einen männlichen Autor – als Einstieg in einen veritablen Psychothriller. | |
Inspiriert wurde er von einem realen Vorfall, wie er im Gespräch mit der | |
Fachzeitschrift Drama Quarterly berichtete. Für ihn zugleich ein Vorgang | |
mit Symbolgehalt in einer Zeit, in der Irreführung, Täuschung, Betrug zum | |
gesellschaftlichen Leben gehören und auch in gesetzteren Milieus für Unruhe | |
sorgen. | |
Regisseurin Louise Hooper macht zum Auftakt mit einem Vorgriff deutlich, in | |
welchem Genre sich der Vierteiler bewegt. Getrennt durch eine Glaswand, | |
sitzen sich Leah Dale und Rose Vaughan gegenüber. Der Besuchsraum eines | |
Gefängnisses. Nur: Wer ist Besucherin, wer in Haft? | |
Ein Unterschied zu abgedroschenen Krimimustern – kein Leichenfund, keine | |
Kriminaltechniker, keine Standardfragen wie „Zeitpunkt des Todes?“, sondern | |
eine andere Herangehensweise. Ein, in doppeltem Sinne, heißer Sommer, eine | |
Studentenstadt, gehobenes Milieu, vermeintlich gefestigte Verhältnisse. | |
Doch Leah Dale quälen Zweifel. Ist Tom, ebenfalls Akademiker, der richtige | |
Mann für sie, soll sie sich durch ein gemeinsames Kind noch enger binden? | |
## Ein später Mord | |
Rose Vaughan reißt sie aus der gewohnten Routine. Bei der Anhörung im | |
Dekanatsbüro weiß sich die bislang so störrische Studierende wortgewandt zu | |
verteidigen, erhebt ihrerseits Vorwürfe gegen Dale. Die habe Vorbehalte | |
gegen sie, lasse sie nie zu Wort kommen, behandele sie ungerecht. Aussage | |
steht gegen Aussage. | |
Vaughan begegnet den Dales nun immer häufiger. Zufall? Sie sucht Kontakt zu | |
Tom, bezirzt ihn, zieht ihn auf ihre Seite. Dale erfährt die Fragilität der | |
vermeintlichen Konstanten in ihrem Leben. | |
Ein Mord geschieht, aber erst relativ spät. Spannung entsteht durch das | |
Ringen zweier ebenbürtiger Frauen. Keine modisch aufgemachten „Mädels“, | |
keine mit männlichem Blick schaurig schön inszenierten Opfer, sondern | |
facettenreiche Persönlichkeiten. Autor und Regisseurin zwingen sie nicht in | |
ein vom Reihenkrimi gewohntes Räuber-und-Gendarm-Spiel mit seinen | |
vorgefertigten Rollenmustern. Dieser klug geschriebene, sensibel und | |
präzise inszenierte, vom Schauspielensemble exzellent umgesetzte Vierteiler | |
entstammt der bereits mit Qualitätsserien wie „Liar“, [2][„The Missing�… | |
und „Rellik“ hervorgetretenen Produktionsfirma Two Brothers Pictures der | |
Brüder Harry und Jack Williams. | |
9 Jun 2019 | |
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## AUTOREN | |
Harald Keller | |
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