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# taz.de -- Murakami-Verfilmung „Burning“: Die Seele brennt
> Lee Chang-dongs erster Film seit acht Jahren ist ein rätselhaftes
> Meisterwerk. Der beispiellose Thriller lässt jegliche Konvention hinter
> sich.
Bild: „Burning“ basiert auf der Kurzgeschichte „Scheunenabbrennen“ des …
„Manchmal brenne ich Gewächshäuser nieder, so alle zwei Monate, ich denke,
das ist ein guter Rhythmus.“ Mitten im Film kommt dieser Satz, so
unerwartet wie folgenreich. „Burning“ zu sehen, das ist in etwa wie das
Innere einer Schneekugel zu betrachten: Sobald sich das Bild aufklart, wird
es wieder aufgewühlt und verschwindet im absoluten Nichts.
Es ist schwer zu sagen, welche menschliche Emotion in „Burning“ nicht
vorkommt, und doch tut es keine so richtig. Alles schwelt, nichts ist
eindeutig. Es sind keine Fakten, sondern Ideen, Vermutungen, Ahnungen, die
Regisseur Lee Chang-dong präsentiert. Genau das macht seinen Film auf eine
einzigartige Weise tragisch.
Jong-su (Yoo Ah-in) ist ein Träumer: Er hält sich mit schlecht bezahlten
Nebenjobs in Seoul über Wasser, wohnt aber auf der Farm seines Vaters und
möchte eigentlich Schriftsteller werden. Auf der Straße trifft er zufällig
seine frühere Klassenkameradin Hae-mi (Jeon Jong-seo). Jong-su hat Mühe,
sie überhaupt wiederzuerkennen, doch die forsche und etwas geheimnisvolle
Hae-mi ist direkt und schlägt ihm vor, am Abend zusammen essen zu gehen.
Die beiden enden in Hae-mis Wohnung und haben Sex.
Am nächsten Tag erzählt sie ihm, dass sie für einige Zeit nach Afrika
reisen wird und bittet ihn, sich währenddessen um ihre Katze zu kümmern.
Jong-su füllt jeden Tag den Napf mit neuem Futter, doch zu Gesicht bekommt
er die scheinbar scheue Katze nie. Als Hae-mi zwei Wochen später
zurückkehrt und Jong-su sie mit Blumen vom Flughafen abholen will, ist sie
in Begleitung von Ben (Steven Yeun), einem Koreaner, mit dem sie sich
offensichtlich während der Reise angefreundet hat. Ben ist charismatisch,
mondän und reich.
Jong-su unterdrückt seine Enttäuschung, und bei einem gemeinsamen Essen zu
dritt fängt Hae-mi an zu weinen, sagt, sie habe in Afrika Dinge gesehen,
die sie nicht mehr vergessen könne. Die drei treffen sich noch ein paar
Mal, doch Hae-mi wirkt immer distanzierter, sie schwärmt von Ben, dessen
Reichtum scheinbar auf sie abgefärbt hat.
## Kiffen und nackt tanzen
Mit dieser Prämisse hätte Lee Chang-dong eine mustergültige
Dreiecksgeschichte erzählen können. Doch es kommt anders: Schließlich
besuchen die beiden Jong-su auf seiner Farm. Sie kiffen, Jong-su gibt seine
traumatische Familiengeschichte preis, Ben fängt an, von seinem Faible für
brennende Gewächshäuser zu erzählen und Hae-mi zieht sich nackt aus, tanzt
schwelgerisch in den Sonnenuntergang und ist am nächsten Morgen spurlos
verschwunden. Der Wahnsinn beginnt.
Was nach einem Liebesdrama über gesellschaftliche Klassenverhältnisse
aussah, wird zu einem rastlosen Mystery-Thriller. Vermeintliche Tatsachen
werden auf den Kopf gestellt, und trotzdem bewahrt sich „Burning“ eine
frappierende Alltäglichkeit, ganz so, als passierte da etwas ganz Normales.
Wie Jong-su selbst möchte man verstehen, warum die Dinge so passieren, wie
sie passieren. Doch „Burning“ verweigert genau diese Antwort und lässt
stattdessen bis zum Schluss die Affekte spielen, in all ihrer traumartigen
Rätselhaftigkeit. Am Ende des Films fühlt es sich an, als sei man gerade
erwacht: noch benommen, irgendwie wissend, ratlos.
Alles dreht sich um diese drei Figuren: Jong-su, Hae-mi und Ben. Ihre
scheinbare Gewissheit, etwas über den anderen zu wissen, ihrem Gegenüber
einen Schritt voraus zu sein. Es ist das menschliche Bedürfnis nach
Überlegenheit, das Lee Chang-dong in „Burning“ mit all seinen fatalen
Folgen in Szene setzt. Klug sind die Unterschiede zwischen den Figuren
verwebt, Klasse, Gesellschaft und Geschlecht errichten rein mentale
Grenzen, die eigentliche Realität bleibt im Dunkeln.
Hae-mi ist eine hübsche Frau, doch als Teenager war sie unbeliebt, wurde
gemobbt – unter anderem von Jong-su. Dafür genießt sie es, von ihm und Ben
zugleich begehrt zu werden. Sie vergisst, dass sie tief verschuldet ist und
ein Leben ohne menschliche Bindungen führt. Für Ben ist Hae-mi eine
willkommene Abwechslung in seiner superreichen, hyperrationalen Welt, deren
Oberflächlichkeit ihn innerlich zutiefst langweilt. Ihre Naivität amüsiert
ihn, ihre Unschuld erfrischt ihn – Ben sehnt sich nach Einfachheit, zu der
er selbst schon lange nicht mehr fähig ist, da ihn Macht und Geld verdorben
haben.
## Ehrlich und einfach
Jong-su hingegen sucht eine gute Geschichte, ein Erlebnis, das seinen
Anspruch, ein Schriftsteller zu sein, anhand seiner eigenen Erfahrungen
rechtfertigen würde. Doch er verliebt sich in Hae-mi, und da Jong-su sonst
eher menschenscheu ist, opfert er sich bis zur Besessenheit auf, nur um für
sie da zu sein.
Frappierend ist, wie genial Lee Chang-dong seine drei Figuren mit dem
passenden Cast besetzt hast. Steven Yeun (Ben) ist Südkoreaner und
US-Amerikaner, der Hollywood-Newcomer wurde vor allem durch die Serie „The
Walking Dead“ bekannt. Seine kosmopolitische, gewinnende Aura passt perfekt
zu Ben, dessen geschäftige Fassade dem schwerfälligen Jong-su wie der
vollendete Fake vorkommen muss.
Dieser wiederum wird von Yoo Ah-in gespielt, der in Südkorea zu den
bekanntesten Schauspielern zählt. Er ist jene Figur in „Burning“, mit der
man sich identifiziert, nicht nur, weil der Film aus seiner Sicht erzählt
ist, sondern weil Jong-su ein ehrlicher und einfacher Mann ist.
Jeon Jong-seo (Hae-mi) hingegen ist überhaupt keine Schauspielerin. Sie
studierte bislang Film und wurde bei einem Vorsprechen spontan für die
Hauptrolle gecastet. Ihre Unbedarftheit spiegelt Hae-mis Wesen, ihr
scheinbares Mysterium, das keines ist. Alles, was Hae-mi tut, ist zu
spielen. Sie hat anders als Ben und Jong-su keine Hintergedanken, keinen
Drang, andere Menschen für ihre Zwecke zu manipulieren.
## Nüchterne Unwiderruflichkeit
Gemeinsam ist allen dreien nur, dass sie ausbrechen und ihrer eigenen Welt
entfliehen wollen, hin zur vermeintlichen Faszination im Anderen. Wäre
dieser Film nur ein Satz, er müsste so lauten: Alles, was ich über den
anderen weiß, ist immer vorläufig, unsicher und kostbar. Was jedoch der
unbedingte Wille zum Wissen letztlich in „Burning“ anrichtet, ist eine
traumatische Erfahrung, ein brutales Ereignis, das in dieser nüchternen
Unwiderruflichkeit selten im Kino zu sehen war.
[1][„Burning“ war der heimliche Gewinner des Festival von Cannes im letzten
Jahr,] es ist ein kleines Wunder, dass er überhaupt noch hierzulande ins
Kino kommt. Dass sich Hirokazu Koreeda damals mit „Shoplifters“ über die
Goldene Palme freuen durfte, zeigt nur, dass warmherzige Plädoyers für mehr
Mitmenschlichkeit wohl mehr Konsens erzeugen als Werke wie „Burning“, die
langsam, aber stetig im Bewusstsein glühen und schließlich einen dunklen
Fleck hinterlassen.
„Burning“ basiert auf der Kurzgeschichte „Scheunenabbrennen“ des
japanischen Schriftstellers Haruki Murakami. Es ist selten, dass Murakami
die Verfilmung seiner Werke zulässt, und auch „Burning“ konnte Chang-dong
erst nach langer Auseinandersetzung realisieren. Das Ergebnis ist ein
beispielloser Thriller, der jegliche Konvention hinter sich lässt und wie
ein Perpetuum mobile die rätselhafte Klarheit einer durchträumten Nacht für
immer verewigt.
6 Jun 2019
## LINKS
[1] /Abschluss-des-Filmfestivals-in-Cannes/!5504184
## AUTOREN
Johannes Bluth
## TAGS
Lee Chang-dong
Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes
Thriller
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Japan
Spielfilm
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Filmrezension
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