Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Nicht erstunken und erlogen
> Die Wahrheit unter krassem Realitätsschock – exzellente Fakes eines
> Autors sind laut interner Findungskommission von hinten bis vorne wahr.
Bild: Im unermüdlichen Dienste an der Wahrheit: Fritz Tietz. Jetzt flog er auf
Menschen erfinden, Fakten fälschen, die Wirklichkeit biegen, und dann die
Geschichte so zusammenlügen, dass selbst die kritischste Leserin glaubt, es
sei die Realität. Wir sprechen vom ganz alltäglichen Geschäft eines
taz-Wahrheit-Autors. So wie Fritz Tietz einer war – bis er jetzt aufflog.
Zahlreiche seiner angeblich so kunstvoll, bis ins Detail konstruierten
Fakes waren in Wirklichkeit wahr, dem echten Leben abgetrotzt und von ihm
genau so erzählt, wie es sich zugetragen hatte. Eine
Wahrheitfindungskommission hat nun ergründet, wie es Tietz gelang,
sämtliche Sicherungen außer Kraft zu setzen. Hier ihr Bericht.
Die Vorgesetzten
Das Verhältnis des Ressorts zu Tietz war geprägt von Zutrauen, zum Teil
echter Zuneigung. Michael Ringel habe ihn „geradezu vergöttert“; seine
Kollegin Harriet Wolff ihn einen „Jahrtausendsassa“ genannt. Tietz selbst
habe Ringel bedrängt, ihn möglichst fest einzustellen. „Das Radio“ habe an
ihm Interesse – tatsächlich war es bloß der evangelische Krankenhausfunk,
der „ganz unverbindlich“ angefragt hatte. Trotzdem prüfte Ringel die Option
ernsthaft. Einen wie Tietz „finde man nur einmal in zehn Heuhaufen“,
schrieb er der Kommission, „vorausgesetzt, man kommt überhaupt auf die
Idee, zehn Heuhaufen nach was auch immer zu durchsuchen.“
Die Kollegen
Tietz’ Texte riefen selbst im erweiterten Kollegenkreis Bewunderung hervor.
So meinte Steve Bannon (damals noch Breitbart) zu Tietz’ Story „Wenn ich
eine hätte, würde ich jetzt Rente beantragen“ (taz, 3/14): „Weiß gar nic…
wann mir eine gefakte Story zuletzt so eindeutig nicht echt zu sein schien.
Unerträglich starke Erfindung.“ Und Thomas Berbner (NDR) zu Tietz’ Text
über den Hamburger Stadtteil Hammerbrook „Schatz, hammer eigentlich noch
Brook im Haus?“ (taz, 4/17): „Da ist dir erneut ein großartiger Schwurbel
gelungen […] Hab beim Lesen die ganze Zeit die Wirklichkeit vor Augen
gesehen, obwohl doch alles so absolut unwahrscheinlich (Knäckebrook!) war.
Fast so genial wie mein Dieseldesaster.“ Und über „Wieder eine Bierkiste
unter der Kasse durchgeschoben“ (taz 6/17) schrieb Matthias Matussek
(Kolumnist bei „Tichys Eingriff“) an Tietz: „Damit ist dir erneut ein
steifes Sahnestück gelungen. Du hast einen wesentlichen Teil der Story aufs
Schafott gelegt und mit viel zu leisen Ansagen zerstört, was sowieso nie
war.“
Alarmsignale
Vom ersten Hinweis auf unsauberes Arbeiten von Tietz berichtet
Wahrheit-Kollege Hartmut El Kurdi. Ihm sei 2013 der bis dato unbekannte
Autor aufgefallen, weil der per Fake für das Magazin Eulenspargel einen
Experten namens Helmut El Kurdi zitiert und ihn als 49-jährigen
Schriftsteller und Ex-Braunschweiger beschreibt. „Das war exakt meine
Person und mein Leben. Auch sonst glich die Geschichte meiner Wirklichkeit
bis aufs Schamhaar. Er hatte lediglich aus Hartmut Helmut gemacht.“
Deutliche Warnungen
Hätte die Wahrheit Informationen über Tietz eingeholt, bevor sie ihn
beschäftigte, hätte man auf einen Vorgang im linksradikalen Monatsmagazin
Konfekt aus dem Jahr 2014 stoßen können. Tietz hatte für die Rubrik „Glatt
gelogen“ eine fiktive Reportage über einen Friseur in Finnland erfunden,
der angeblich nur noch Kommunisten frisierte und mangels Kundschaft völlig
verarmte. Einer Redakteurin fielen allerdings zahlreiche Echtheiten auf.
Und tatsächlich: Die Geschichte entpuppte sich als durch und durch wahr.
Konfekt musste als Berichtigung eine Notlüge drucken und beendete die
Zusammenarbeit.
Der Leserbrief
Am 11. 11. 18 schreibt ein taz-Leser, nach eigenen Angaben hauptberuflich
Fälscher von Kfz-Abgaswerten, eine Mail an die Wahrheit. Darin weist er
detailliert darauf hin, dass er die angeblich erfundenen Ereignisse in
Tietz’ Geschichte „Die tätowierte Bundeskanzlerin“ mittels einer
Google-Recherche als durch und durch wahr identifiziert hatte. Leider
vergisst er die Mail abzuschicken. Als die Kommission ihn aufforderte, ihr
die Mail jetzt zu schicken, fand er sie nicht mehr. Er sagte, dass er ab
und zu Mails ausdrucke, wenn er vergessen habe, sie zu versenden. Daraufhin
bat die Kommission ihn, die ausgedruckte Mail per Post zu senden. Der Brief
kam aber nie an. Ein Nachforschungsauftrag ergab, dass er, weil
unterfrankiert, zurück an den Absender ging, der aber die Annahme
verweigerte. Danach verliert sich jede Spur.
Die AufdeckungAm 16. November 2018 telefoniert Wahrheit-Redakteur Ringel
mit seiner ehemaligen Kollegin Stegemann und sagt ihr irgendetwas
unwichtiges. Tags drauf schreibt Tietz an Ringel: Er habe „den ganzen Tag
und die halbe Nacht“ damit verbracht, zu schlafen. Am Abend ruft Ringel El
Kurdi an und äußert sich laut Harriet Wolff, die heimlich lauscht, über
dessen haltlose Verdächtigungen gegenüber Tietz. Er, Ringel, glaube
inzwischen auch, dass El Kurdi mit Vornamen Helmut hieße. El Kurdi
recherchiert daraufhin auf eigene Faust in US-Medien, schreibt eine
warnende Mail an die nicht existente Dokumentation der Wahrheit. Die Mail
sei überdies, so Ringel, „schwer verständlich“ gewesen. Nachmittags führ…
er, Wolff, El Kurdi, Stegemann und noch ein paar andere ein mehrstündiges
Gespräch mit Tietz. Er gesteht. Und sagt damit einmal mehr die Wahrheit.
Gefeuert!
4 Jun 2019
## AUTOREN
Fritz Tietz
## TAGS
Der Spiegel
Wahrheit
Fake
Schwerpunkt Coronavirus
Dienstleistungen
DDR-Rock
Prinz von Preußen
Gelbwesten
Annegret Kramp-Karrenbauer
Telefon
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Coronöse Suada
Abblasen, alles abblasen! Textwolkenbruch über Coronistan! Hier jetzt im
Live-Leseticker. Beinahe ganz ohne italienische Militärfahrzeuge!
Die Wahrheit: Black Jack mit Fabienne
Früher war doch alles besser – zumindest waren es die kellnernden Kräfte.
Eine Gegenüberstellung mit Trinkgeld zu normalen Sätzen.
Die Wahrheit: Auferstanden aus Rosinen
Was viele heute nicht mehr wissen: Die DDR gab es wirklich. Früher im
Osten. Dort, wo heute noch die Ostgeborenen zu Hause sind.
Die Wahrheit: Geld her! Oder ich scheiße auf Sie!
Es müffelt arg im Hause Hohenzollern. Ein Besuch beim Familienoberhaupt
Georg Friedrich Prinz von Preußen, dem Erbschleicher des Kaiserthrons.
Die Wahrheit: Sohn einer Hupe
Den lieben langen Tag nur klingeln, tröten und töten? Ein versierter
Hamburger Kampfradler gibt Einblicke in den Alltag auf zwei Rädern.
Die Wahrheit: Männeken Pis im Gästeklo
Woher kommt Annegret Kramp-Karrenbauers Vorliebe für Pinkelgeschichten? Ein
Hausbesuch auf der Suche nach Antworten unter der Gürtellinie.
Die Wahrheit: Das Fernmeldegeheimnis
Technisch vergeigte Telefoninterviews sind Standard. Nur nicht bei
EU-Kommissar Günther Oettinger. Wie macht er das bloß?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.