# taz.de -- Die Wahrheit: Black Jack mit Fabienne | |
> Früher war doch alles besser – zumindest waren es die kellnernden Kräfte. | |
> Eine Gegenüberstellung mit Trinkgeld zu normalen Sätzen. | |
Bild: Ist der Roboter auch freundlich? Und wie viel Trinkgeld muss ich ihm gebe… | |
Es gab einmal eine Zeit, als es auf deutschen Bahnhöfen noch richtige | |
Wartesäle gab. Also nicht, wie das heute mieser Standard ist, solch | |
aquarienartige Aufenthaltsboxen, in denen man sich unter beißendem | |
Neonlicht auf eisenharten Bänken einen Wolf sitzt, sondern geräumige, | |
zuweilen kathedralengroße und menschenwürdig gestaltete Wartehallen, die | |
dem und der Reisenden zwischen zwei Zügen nicht nur ein kommodes Obdach, | |
sondern häufig auch die Möglichkeit zur leiblichen Stärkung boten. | |
Niemand musste, aber jede, die wollte, konnte sich da die Wartezeit mit | |
einfachen Speisen und Getränken versüßen lassen, die einem sogar – heute | |
ist das nicht mehr vorstellbar – von ausgebildeten Servicekräften am Platz | |
serviert wurden. Sei es die Riesenbockwurst an Kartoffelsalat oder die | |
Nudelsuppe mit Huhn, sei es das Stück Marmorkuchen oder bloß eine Sinalco. | |
Selbst längere Aufenthalte in arg abseitigen Ortschaften wie Altenbeken | |
oder Bebra entwickelten eine verblüffende Qualität. Selbiges gilt für den | |
von mir damals häufig frequentierten Kasseler Stadtbahnhof, dessen | |
besonders feiner Wartesaal überdies von einem Kellner der Extraklasse | |
betreut wurde. So jedenfalls ist es unlängst wieder aufgetauchten | |
Aufzeichnungen zu entnehmen, die ich eingangs der achtziger Jahre während | |
eines Zwischenstopps dort anfertigte. | |
„Die Tasse Kaffee (der Marke Westhoff) kostet zwei Mark, sie wird mir | |
schnell gebracht vom aufmerksamen Ober samt zwei Tütchen Zucker (extra fein | |
mit einem Porträt von Wilhelm Busch vorne drauf) und einem Sahnetöpfchen, | |
aus dem es aber, als ich die Abdeckfolie anlupfe, so überraschend | |
stoßkräftig herausspritzt, dass der Schuss an der Tasse vorbei auf die | |
Tischdecke geht und diese peinlich einfleckt. Sofort aber ist der Ober zur | |
Stelle, um das Malheur ohne viel Aufhebens mit einem edlen Tuch abzudecken | |
und mir ein neues Töpfchen zu reichen.“ | |
Der Mann erschien mir nicht nur „wegen seines ausgesucht manierlichen | |
Gebarens“, so hatte ich notiert, sondern auch „dank des perfekt sitzenden | |
Anzugs, dem blütenweißen Hemd und dem korrekt krawattierten Kragen als ein | |
geradezu idealtypischer Vertreter seines Berufs. Den linealgeraden Scheitel | |
nicht zu vergessen, und selbst die hohe Schuppendichte auf den Schultern | |
beeinträchtigen in keiner Weise das Idealbild, nein, sie vervollkommnen es | |
sogar geradezu.“ | |
## Kaffee Hag führen wir nicht | |
So hohen Eindruck machte dieser „Oberst“ auf mich, dass ich ihn „in diesem | |
wintertrüben Bahnhofssaal weit unter Niveau beschäftigt“ wähnte. „Solch | |
eine ausgewiesene Fachkraft hat doch wohl ein besseres Publikum verdient | |
als den krakeelenden Penner da hinten, die stumpf vor sich hin flippernden | |
Automatenspieler, die beim Würstchen ihre Mäntel an behaltenden | |
Durchreisenden.“ Oder wie diese „schwerkoffertragende ältere Dame jetzt, | |
die sogleich in helle Verzweiflung gerät ob der bedauernden Auskunft des | |
Herrn Obers: Nein, tut mir leid, wir führen keinen Kaffee Hag (er sagt | |
natürlich Haach). Die sich dann aber von ihm zu einer Portion des wirklich | |
nur leicht koffeingeschwängerten Aromakaffees von Westhoff überreden lässt | |
– und schon stellt er mit einem eleganten Schwung ein Tässchen vor ihr ab.“ | |
Wie völlig anders dagegen heutzutage gastronomischer Service geht auf | |
deutschen Bahnhöfen, musste ich neulich in Kiel erleben. Vor Abfahrt meines | |
Zugs ging ich noch schnell in eines dieser „Coffee & Cake“-Dinger. Und | |
siehe da: Wie eigentlich immer in solchen Verpflegungsstationen waren es | |
wieder nicht sehr hauptberuflich wirkende Servicekräfte, die die Kundschaft | |
bedienten. Und wie auch sonst erstaunlich oft war es auch dieses Mal so, | |
dass die mich abfertigende mutmaßliche Studentin gänzlich ungeniert mit | |
ihren Kollegen quatschte, während sie mir statt eines frisch aufgebrühten | |
Earl Grey to Go, wie ich verlangt hatte, einen Becher lauwarmen Wassers und | |
einen in Plastik eingeschweißten Teebeutel über den Tresen reichte. Und wie | |
immer nervte mich das alles enorm. | |
Der Beutel sowieso, also dass ich ihn erst würde auspacken müssen, bevor | |
ich ihn ins dann längst erkaltete Wasser hängen könnte. Aber auch, dass die | |
Studentin einfach nicht aufhörte, ihre Kollegen zu bequatschen. Und das | |
erst recht, weil ich noch einen Kuchen wollte, ich es aber partout nicht | |
schaffte, die erneute Aufmerksamkeit der Tresenkraft zu erlangen. Nicht | |
einmal, als sie mir kurz „Macht Zwosechzig“ zurief, sah ich eine | |
Möglichkeit, eine weitere Order an sie zu richten, weil sie unverzüglich | |
ihren Laberfaden wieder aufnahm. | |
Ich nutzte die Zeit, um den Beutel aus dem Plastik zu friemeln und zu | |
Wasser zu lassen, schaute mich nach Zucker und einem Umrührstab um, holte | |
mir beides, checkte mein Handy, fingerte nach drei Minuten den Beutel aus | |
dem Becher, kramte dann mein Portemonnaie raus, in der Hoffnung, dass die | |
Studentin ihren Redefluss wenigstens zum Kassieren kurz unterbrechen und | |
ich dann vielleicht doch noch meinen Kuchenwunsch würde anbringen können. | |
Aber denkste. Sie nahm meinen Schein und quatschte weiter. Sie öffnete die | |
Kasse und redete in einem fort. Und auch während sie mir das Wechselgeld | |
aushändigte, plapperte sie ohne Unterlass mit ihren Kollegen. Was tun? | |
## Fabienne! Black Jack! | |
Einfach in ihr Gerede hinein, ruhig, aber energisch genug sprach ich sie | |
mit ihrem Namen an, den sie auf einem kleinen Schild am Revers trug: | |
„Fabienne! Bitte! Ich hätte gern noch einen Black Jack.“ Auf Anhieb erstarb | |
ihr Geplapper. Und ich erhielt sofort Fabiennes ganze Aufmerksamkeit. Noch | |
nie, so ließ sie mich dann und auch ihre Mitschnacker wissen, noch nie, sie | |
schwöre, sei sie von einem Kunden mit Namen angesprochen worden. Also echt! | |
Dann gab sie mir den Black Jack. Ob ich sonst noch etwas wünschte? | |
Vielleicht etwas Zitrone in den Tee? Ich aber legte nur in mich lächelnd | |
das Kuchengeld hin und verließ den Imbiss, nicht ohne von Fabienne mit | |
einem tollen Lächeln, einigen reizenden Augenaufschlägen und ihrer ganzen | |
Liebe beschenkt und unter allerlei Guten-Abend-noch- und | |
Gute-Reise-Wünschen aus dem Laden geleitet zu werden. Bereits draußen, | |
hörte ich sie drinnen ein finales „Tschü-hüss“ flöten. Ich aber eilte z… | |
bereits wartenden Regionalexpress und fühlte mich am Ende mit Fabienne und | |
ihrem erst so laffen Service doch noch einigermaßen versöhnt. | |
16 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Fritz Tietz | |
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