# taz.de -- Zollkontrollen in Niedersachsen: Sauereien auf dem Bau | |
> Zollkontrollen decken immer wieder Schwarzarbeit auf. Fahnder stoßen auf | |
> Bauherren, die ihren Beschäftigten nicht einmal den Mindestlohn zahlen. | |
Bild: Harte Arbeit für viel zu wenig Geld: Auf dem Bau läuft vieles nicht so,… | |
HANNOVER taz | Vormittags, wenn die Arbeit gerade so richtig angelaufen | |
ist, rollen sie an, die Autos der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, landläufig | |
auch Zollfahndung genannt. Sie versperren alle Ein- und Ausgänge einer | |
Baustelle, sodass niemand das Gelände verlassen kann. Und dann geht’s los: | |
Die Beschäftigten müssen ihre Papiere zeigen, Gehaltssummen nennen, | |
Baustellenleiter*innen ihre Geschäftsbücher öffnen. So in etwa sieht es | |
aus, wenn der Staat gegen Schwarzarbeit vorgeht. Illegale Beschäftigung | |
gibt es insbesondere auf dem Bau, aber auch in der Pflege, Landwirtschaft, | |
Gastronomie, bei Fahrdiensten. | |
Die Kontrollen vor allem auf den Baustellen sind notwendig, denn die | |
„Baubranche bleibt ein Hotspot für Wirtschaftskriminelle“, wie Inge | |
Bogatzki, Bezirkschefin der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG | |
BAU) in Bremen sagt. Allein in Bremen leiteten die Behörden im vergangenen | |
Jahr 230 Ermittlungsverfahren ein, nachdem die Zöllner*innen vor Ort waren. | |
Der entstandene Schaden: 7,4 Millionen Euro. | |
In Niedersachsen haben Behörden in der vergangenen Woche insgesamt 823 | |
Baustellen und Baubetriebe kontrolliert, darunter in Braunschweig, | |
Göttingen, Oldenburg, Hannover, Wolfsburg, Goslar, Lüneburg. Dabei stießen | |
sie auf 383 „mutmaßliche Rechtsverstöße“, wie das Niedersächsische | |
Wirtschaftsministerium am Dienstag mitteilte. | |
Bei mehr als einem Drittel der Verstöße wurde dem Ministerium zufolge der | |
Mindestlohn nicht eingehalten. Das ist der größte Posten. Außerdem wurden | |
bei nicht ganz einem Fünftel Menschen illegal beschäftigt, bei einem | |
weiterem Fünftel die Beschäftigten nicht, unvollständig oder falsch bei der | |
Sozialversicherung angemeldet. Die Folgen: Einige Bauvorhaben wurden | |
vorübergehend gestoppt, im Landkreis Lüneburg wurden zwei illegal | |
beschäftige Migranten an die Ausländerbehörde übergeben, jetzt sollen sie | |
ausreisen. | |
Der wirtschaftliche Verlust durch Schwarzarbeit beträgt dem Institut der | |
deutschen Wirtschaft (IW) zufolge bundesweit 300 Milliarden Euro jährlich. | |
Laut dem Institut für angewandte Wirtschaftsforschung in Tübingen beträgt | |
das Verhältnis von Schattenwirtschaft zu offizieller Wirtschaft etwa 10 | |
Prozent. Konkrete Zahlen zum wirtschaftlichen Schaden für Niedersachsen | |
liegen laut Wirtschaftsministerium nicht vor. | |
9,19 Euro brutto in der Stunde – das ist der gesetzliche Mindestlohn. Ab 1. | |
Januar 2020 erhöht er sich auf 9,35 Euro. Wie kann er auf einer Baustelle | |
unterlaufen werden? „Es gibt verschiedene Methoden“, sagt Thomas Schmidt, | |
Sprecher des Hauptzollamtes Osnabrück. Da werden Arbeitnehmer*innen schon | |
mal gezwungen, früher anzufangen und später aufzuhören, zum Beispiel, um | |
vor Arbeitsantritt Baugeräte von einer anderen Baustelle zu holen und am | |
Abend wieder zurückzubringen. Bei Fahrdiensten werden Standzeiten als | |
Pausen gewertet. Manche Bauunternehmer sind noch dreister und weisen laut | |
Schmidt einen höheren Lohn aus: „Real zahlen sie aber weniger.“ | |
Andere Arbeitgeber*innen geben vor, mehr als den Mindestlohn zu zahlen und | |
suggerieren damit ein soziales Verhalten. Was die Arbeitnehmer*innen | |
vielfach nicht wissen: In vielen Wirtschaftszweigen ist der branchenübliche | |
Mindestlohn höher als der allgemein übliche. So müssen selbst ungelernte | |
Kräfte auf dem Bau derzeit einen Mindeststundenlohn von 12,20 Euro | |
erhalten. Facharbeiter*innen stehen 15,20 Euro zu. | |
Werden Arbeitgeber*innen erwischt, die Leute illegal beschäftigen oder | |
unkorrekt bezahlen, müssen sie mitunter mit empfindlichen Strafen rechnen. | |
Es beginnt bei Geldstrafen für Ordnungswidrigkeiten wie falscher Bezahlung | |
und reicht zu Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren für diejenigen, die | |
„Ausländer zu Arbeitsbedingungen beschäftigen, die in einem auffälligen | |
Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen deutscher Arbeitnehmer und | |
Arbeitnehmerinnen stehen“. So formuliert es das Gesetz gegen Schwarzarbeit. | |
Bundesweit verhängten Gerichte laut Bundesfinanzministerium | |
Gefängnisstrafen von insgesamt 1.700 Jahren. | |
Wie reagiert das Wirtschaftsministerium in Niedersachsen? Es will künftig | |
eine Sünderkartei anlegen. | |
29 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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