# taz.de -- Antisemitismus-Vorwurf: Friedenspreis stiftet Unfrieden | |
> Dem Journalisten Ruslan Kotsaba soll der Aachener Friedenspreis aberkannt | |
> werden, da er sich antisemitisch geäußert hat. Er entschuldigt sich. | |
Bild: Der ukrainische Blogger und Aktivist Ruslan Kotsaba bekommt den Friedensp… | |
Kiew taz | Der ukrainische Kriegsdienstverweigerer und Journalist Ruslan | |
Kotsaba soll nun doch nicht den Aachener Friedenspreis erhalten. Ende der | |
vergangenen Woche hatte sich der Vorstand des Aachener Friedenspreises | |
gegen die Preisverleihung ausgesprochen. Der Grund ist ein Video von 2011, | |
in dem sich Kotsaba antisemitisch geäußert und den Juden eine Mitschuld am | |
Nazismus gegeben hatte. | |
Auch der Aachener Linken-Abgeordnete Andrej Hunko, der Kotsaba für den | |
Aachener Friedenspreis vorgeschlagen hatte, hält dessen Äußerung von 2011 | |
für „völlig inakzeptabel“. Hunko selbst hat nach einem Aufenthalt in der | |
„Volksrepublik Donezk“, die er unter Verletzung der ukrainischen | |
Gesetzgebung 2015 von russischem Territorium aus besucht und sich dort mit | |
dem damaligen Separatistenführer Alexander Sachartschenko getroffen hatte, | |
ein Einreiseverbot für die Ukraine. | |
„Das skandalöse Video war uns vorab nicht bekannt“, sagte Hunko der taz | |
telefonisch. „Aber dass Kotsaba früher Nationalist war, wussten wir. Ich | |
finde ja gerade seinen Werdegang vom Nationalisten zum Pazifisten | |
bemerkenswert.“ | |
Ruslan Kotsaba bestätigte die Authentizität des Videos von 2011 und äußerte | |
sein „tiefes Bedauern“. „Für diese Äußerungen“, so Kotsaba zur taz, … | |
ich mich entschuldigen.“ | |
Wegen eines YouTube-Videos, in dem er zur Kriegsdienstverweigerung | |
aufgerufen hatte, [1][war Kotsaba am 8. Februar 2015 festgenommen] und im | |
Mai 2016 zu einer dreieinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. | |
Ein Gericht in einer höheren Instanz sprach ihn jedoch im Juli 2016, nach | |
524 Tagen Haft, frei. | |
Es sei ein weiter Weg zum Pazifisten gewesen, so Kotsaba. Er habe als | |
Nationalist angefangen, sei dann Aktivist geworden. Kotsaba beteiligte sich | |
an zahlreichen Protestbewegungen, [2][war bei den Aktionen auf dem Maidan | |
2004 (Orange Revolution)] und 2014 in Kiew mit dabei. Mehrere Monate | |
leitete er das Freiheitskampf-Stepan Bandera-Museum im westukrainischen | |
Iwano-Frankiwsk. Stepan Bandera, der während des Zweiten Weltkrieges | |
zeitweise mit der Wehrmacht kooperiert hatte, gilt in der Ukraine als | |
Leitfigur der Rechtsradikalen. | |
## Noch mehr Gründe gegen Auszeichnung | |
Ein Schlüsselerlebnis sei für ihn als Reporter sein Besuch in Luhansk im | |
Sommer 2014 gewesen. „Gemeinsam mit Menschen aus Luhansk habe ich im Keller | |
vor den Luftangriffen gezittert. Und da habe ich mich entschieden, dass ich | |
niemals auf die Menschen, mit denen ich jetzt in einem Keller sitze, | |
schießen werde.“ | |
Halya Coynash von der „Menschenrechtsgruppe Charkiw“ lehnt die | |
Preisverleihung nicht nur wegen der skandalösen antisemitischen Äußerungen | |
ab. Coynash missfällt, dass Kotsaba den Krieg im Osten des Landes als | |
Bürgerkrieg bezeichnet sowie die aktive Rolle Russlands und von russischen | |
Staatsbürgern geleugnet hatte. | |
Gegenüber der taz gab Kotsaba zu, dass er nach seinen Aufenthalten in | |
Luhansk und Donezk im Sommer 2014 tatsächlich gesagt habe, dort keine | |
russischen Militärs gesehen zu haben. Vom heutigen Kenntnisstand her sei | |
diese Aussage nicht mehr haltbar, so Kotsaba. „In Donezk und Luhansk sind | |
derzeit eine Menge russischer Militärs“. | |
Kotsaba sieht sich wegen seiner eigenen Festnahme in einer Tradition mit | |
seiner Großmutter. Diese saß als „Volksfeindin“ mehrere Jahre in einem | |
Arbeitslager in der Nähe von Archangelsk ein. 1954 freigelassen starb sie | |
wenige Wochen später, 31-jährig, an Tuberkulose. „Auch aus mir versucht man | |
einen Volksfeind zu machen.“ | |
„Die Entscheidung, Kotsaba den Preis zu verleihen, war eine Entscheidung | |
der Mitgliederversammlung, die mit einer Zweidrittelmehrheit gefällt werden | |
musste. Nun hat sich der Vorstand des Aachener Friedenspreises von der | |
Entscheidung der Mitgliederversammlung distanziert. Doch solange nicht eine | |
neue Mitgliederversammlung mit einer Zweidrittelmehrheit diese Entscheidung | |
kippt, gilt Kotsaba weiter als nominiert“, so Andrej Hunko zur taz. | |
Ob der Vereinsvorstand wirklich bei einer für den 14. Juni anberaumten | |
außerordentlichen Mitgliederversammlung um eine Zweidrittelmehrheit kämpfen | |
muss, erscheint indes fraglich. Kampfabstimmungen verschlechtern in der | |
Regel das Vereinsklima. Und so scheint man jetzt schon hinter den Kulissen | |
an einer Lösung zu arbeiten, die allen Seiten erlaubt, ihr Gesicht zu | |
wahren. | |
Wichtiger als die Mitgliederversammlung im Juni dürfte für Kotsaba eine | |
Gerichtsverhandlung im Juli sein. Dort soll erneut entschieden werden, ob | |
sein Video von 2015 eine strafrechtlich zu ahndende Tat ist. | |
14 May 2019 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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