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# taz.de -- Spitzenkandidat Frans Timmermans: Der beseelte Eurokrat
> Der Niederländer kann viel schultern. Doch reicht das, um als
> Spitzenkandidat die Sozialdemokratie zu retten – und Europa noch dazu?
Bild: Ein Eurokrat im Sinne der Gründergeneration: Frans Timmermans
Sieht so ein abgehobener Eurokrat aus? Weder Krawatte noch Sakko trägt
Frans Timmermans. Ein schlichtes blaues Hemd und Jeans, so steht er auf
einem abgewetzten Podest, umringt von Menschen an kleinen Tischen. Aus den
Boxen ertönt Bruce Springsteens „My hometown“. Springsteen ist Timmermans�…
Lieblingssänger, die Stadt Heerlen seine Heimatstadt und das „Pelt“ sein
Stammcafé.
Das Café Pelt ist Springsteen auf gastronomisch, ein blau gestrichenes
Lokal, das auf seiner Website „unprätentiös leckeres Essen“ anpreist und …
Slang der Südlimburger Grenzregion „Heëlesche Gemuutligheet“.
In dieser „gemütlichen“ Umgebung verkündet Timmermans, geboren in
Maastricht und in Heerlen aufgewachsen, im Oktober 2018 seine Kandidatur
für den höchsten Posten Europas: Präsident der EU-Kommission. In den
Niederlanden nimmt man das verwundert zur Kenntnis. Hier gilt Heerlen,
gezeichnet von Bergbau, Strukturwandel und Heroin, als Randgebiet. Doch wo
ein Land aufhört, fängt natürlich ein anderes an. In diesem Fall sind es
sogar mehrere: Deutschland und Belgien vor der Haustür, Luxemburg und
Frankreich um die Ecke, diese Gleichzeitigkeit von Peripherie und Kulturmix
hat Frans Timmermans geprägt.
Vielleicht traut er sich eben deshalb den Spagat zu, ein Europa zu
erneuern, zu dessen oberstem Establishment er gehört. Seit 2014 amtiert der
Sozialdemokrat als Vizepräsident der EU-Kommission. Sein Aufgabengebiet:
bessere Rechtssetzung, interinstitutionelle Beziehungen,
Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtecharta.
Man kennt ihn als prominenten Verfechter der Ever Closer Union, einer immer
weiter reichenden europäischen Integration. Mit den „illiberalen“
Demokratien in Ungarn und Polen liegt Timmermans wegen der Verletzung
rechtsstaatlicher Prinzipien deswegen konstant im Clinch. Mehr Eurokrat als
dieser 58-jährige Mann geht kaum.
Dass so einer auf einem mickrigen Podest im abgewrackten Heerlen die
Kampagne um das bislang wichtigste Amt seiner Laufbahn startet, ist
Symbolik, keine Frage. Zugleich aber muss er sich nicht verstellen, wenn er
sagt: „Ich komme nicht aus Brüssel, ich komme aus Heerlen!“ Timmermans ist
heimatverbunden, ein echter Springsteen-Liebhaber.
Er fühlt sich der Minengegend tief verbunden und schrieb 2010 eine
Autobiografie mit dem Titel „Glück auf!“, dem Kumpelgruß, der auch in
Limburg unter Tage erklang. Timmermans Großväter waren im Bergbau. Wann
immer er die Chance hat, radelt er nach Kerkrade, ins Stadion von Roda JC,
wo er seinen Lieblingsclub nach vorne brüllt, auch in der Zweiten Liga.
Frans Timmermans hat derzeit eine doppelte Mission: [1][Er muss die EU und
die Sozialdemokratie retten]. Von beidem fühlen sich ziemlich viele Bürger
weit entfernt. Dem Spitzenkandidaten der Europäischen Sozialdemokraten
(SPE) obliegt es, Europa den Menschen nahezubringen – und es zugleich, so
das Wahlkampfmotto, „frei, fair und nachhaltig“ zu gestalten.
## Zutritt in die diplomatische Welt hart erkämpft
„Der Glaube an den Fortschritt ist essenziell für uns. Dieses Gefühl müssen
wir den Menschen zurückgeben“, appelliert er an sozialdemokratische
Kernwerte. „Es ist die schwierigste Kampagne, die wir als Partei je
hatten“, gesteht Timmermans in einem Interview mit der Zeitschrift Vrij
Nederland zu.
Er nimmt die Herausforderung an, auf seine Weise: „[2][frans4eu.eu]“ heißt
Timmermans Wahlkampf-Site. Ein Wortspiel, hinter dem mehr steckt. Dass er
sich selbst recht wichtig nimmt, hat man ihm in den Niederlanden oft
vorgehalten, wo er von 2012 bis 2014 Außenminister war. Aus jener Zeit weiß
man auch, wie viel Platz auf seinen Schultern ist. Das Magazin HP De Tijd
nannte Timmermans einmal ein „Arbeitspferd“ mit einem Wochenpensum von 80
Stunden.
Das Amt eines Staatssekretärs für Europa-Angelegenheiten, das Timmermans
selbst zwischen 2007 und 2010 innehatte, war abgeschafft worden, als
Außenminister übernahm er diesen Aufgabenbereich gleich mit. Schon damals
wurde gemunkelt, dass es ihn eigentlich nach Brüssel zieht. Sein Abschied
nach einer halben Legislaturperiode kam wenig überraschend.
Diese Ambitionen sind auch biografisch bedingt. Hinter Timmermans’
beeindruckender Sechssprachigkeit – er spricht niederländisch, englisch,
deutsch, französisch, russisch, italienisch und beherrscht noch dazu den
Limburger Dialekt – steht die Verbissenheit eines Aufsteigers, der nicht
nur in Heerlen, sondern auch in Brüssel und Rom zur Schule ging – freilich
nicht als Kind eines Diplomaten oder EU-Angestellten, sondern eines Boten.
Der junge Frans war hochbegabt, doch die Karriere und den Zutritt in die
diplomatische Welt musste er sich hart erkämpfen.
In den Niederlanden, wo er als Außenminister bemerkenswert beliebt war,
sieht man Timmermans in diesen Wochen des EU-Wahlkampfs eher kritisch.
Einige Kommentatoren betonen, als Sozialdemokrat habe er [3][keine Chance
auf Junckers Nachfolge], der zur konservativen Fraktion gehört. EU-Gegnern
gilt er als Architekt des europäischen Grundgesetzes, das die Niederländer
2005 ablehnten, und wegen des Lissaboner Vertrags als arroganter Eurokrat.
Auch die Socialistische Partij karikierte ihn in einem Wahlkampfspot als
fiktiven Politiker namens Frans Brusselmans: „Hans will einen europäischen
Superstaat. Ein großes und mächtiges Brüssel, das über ganz Europa
herrscht.“
Frans Timmermans allerdings lässt sich von dieser Rhetorik nicht beirren.
Bei einer seiner Wahlkampfreden, die er wie immer frei hält, berichtet er
von einer Fahrradtour durchs Dreiländereck, auf der seine halbwüchsige
Tochter ihn fragte, wo eigentlich die Grenze sei. So etwas bestärkt, ja
beseelt ihn. Er ist ein Eurokrat im Sinne der Gründergeneration. Sein
Leitsatz lautet: „Ich glaube an Europa, weil ich weiß, in welcher Welt
meine Eltern und Großeltern gelebt haben.“
23 May 2019
## LINKS
[1] /Sozialdemokratie-und-EU-Wahlen/!5595926
[2] https://frans4eu.eu/
[3] /Bilanz-ueber-Junckers-Rolle-in-der-EU/!5591833
## AUTOREN
Tobias Müller
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