# taz.de -- Kommentar zu Antisemitismus-Programm: Augenhöhe verpasst | |
> Der Zentralrat der Juden will die Begegnung mit Muslim*innen anstoßen. | |
> Dabei verpasst er eine große Chance. | |
Bild: Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden Josef Schuster. Das Problem lie… | |
„Prävention durch Dialog“ heißt ein neues Programm, das der Zentralrat der | |
Juden in Deutschland mit Unterstützung der Integrationsbeauftragten der | |
Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, durchführen wird. Dabei soll es um | |
die Begegnung von Juden*Jüdinnen und Muslim*innen gehen. Den Titel muss man | |
sich auf der Zunge zergehen lassen. Prävention durch Dialog. Prävention | |
wovor? Oder eher: vor wem? | |
[1][Laut Deutschlandfunk] erklärte der Vorsitzende des Zentralrats Josef | |
Schuster, es gehe um eine „Begegnung auf Augenhöhe“, mit der „Vorbehalte | |
abgebaut werden sollten“. Das Programm sei eine Antwort auf „Antisemitismus | |
in Teilen der muslimischen Gemeinschaft sowie auf Angriffe von | |
Rechtsextremisten und Islamisten“, denen sowohl Juden als auch Muslime | |
ausgesetzt seien. | |
Insofern dieses Projekt ausschließlich auf das Gespräch mit Muslim*innen | |
zielt, bezieht sich der Begriff „Prävention“ offensichtlich auf | |
Antisemitismus und Islamismus. Rechtsextremismus ist dem Projekt sozusagen | |
extern. Den enthusiastisch angekündigten, bundesweiten Dialogformaten im | |
Rahmen des Programms entzieht das gleich zu Beginn die Grundlage – denn der | |
Titel „Prävention durch Dialog“ formuliert einen Initialverdacht. | |
Nun ist schon für sich genommen kurios, wie das vom Zentralrat vorgestellte | |
Programm eine jüdische Erfahrung mit der christlichen Mehrheit mit | |
umgekehrten Vorzeichen reproduziert. Zugleich spiegelt sich darin die | |
Bereitschaft vieler deutscher Juden*Jüdinnen, ihren Teil zu jenem | |
Integrationstheater beizutragen, der vonseiten der Bundesregierung als | |
Modus Operandi in Bezug auf Muslim*innen gilt. Dieses Integrationsparadigma | |
beruht auf ebenjenem Generalverdacht, der sich auch im Begriff „Prävention“ | |
zeigt: In beiden Fällen sieht man die muslimische Seite nicht als | |
gleichberechtigtes Gegenüber in einem notwendigen Dialog über Religion und | |
Politik, Diskriminierung und Utopie. Sondern als verkappte Islamist*innen. | |
## Spaltung aller statt Stärkung einzelner | |
Der Begriff „Prävention“ ist so vielsagend, weil an der Unterstellung der | |
Gewaltförmigkeit des Gegenübers eine stereotype Zuordnung sichtbar wird. | |
Eine solche Unterstellung, nennen wir sie Islamismushypothese, ist keine | |
Basis für einen „Dialog auf Augenhöhe“. Und deshalb ist sie auch die | |
falsche Strategie, Antisemitismus und Islamismus unter Muslim*innen | |
tatsächlich zu bekämpfen. Dafür bräuchte es vielmehr eine Stärkung der | |
dialogwilligen und progressiven Kräfte in der muslimischen Community. Aber | |
gerade die spricht der Begriff der Prävention nicht an. | |
Ohne Zweifel kann man unterschiedlicher Meinung sein, wie groß die Gefahr | |
wirklich ist. Unstrittig sollte sein, dass sie nicht von allen Muslim*innen | |
in Deutschland ausgeht, sondern nur einem Teil. An vielen Stellen sind | |
Muslim*innen eben (auch) Verbündete. Im Maxim Gorki Theater Berlin, in der | |
Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus und im jüdisch-muslimischen | |
Gesprächskreis der W. Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums | |
Berlin. Und da spreche ich nur von meinem persönlichen Berliner Kontext. | |
Es gibt längst jüdische Initiativen, die einen Dialog realisieren. Die wohl | |
wichtigste ist das Programm Dialogperspektiven, das seit Herbst 2015 läuft | |
und vom Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk initiiert wurde. Eine Grundlage | |
seines Erfolgs dürfte sein, dass hier eben nicht nur die jüdische und | |
muslimische Seite, sondern Menschen ganz unterschiedlicher religiöser und | |
weltanschaulicher Identitäten einen Dialog über gesellschaftliche Themen | |
führen. Das ist sinnvoll, denn Islamismus und Antisemitismus, Rassismus und | |
Hass auf Muslime sind keine Eigenschaften bestimmter Gruppen, sondern | |
Probleme der deutschen Gesellschaft. | |
Mit dem Begriff der Prävention erklärt Josef Schuster die Bekämpfung von | |
Antisemitismus und islamistische Gewalt zum Ziel des Dialogs mit | |
Muslim*innen. Damit übernimmt er die offizielle christsoziale | |
Divide-et-Impera-Politik, die in einem Beschwören der jüdisch-christlichen | |
Tradition gegen die muslimische Integrations- und Demokratieunfähigkeit | |
besteht. Diese Reproduktion der offiziellen Sichtweise mag ein Grund dafür | |
sein, dass die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung dem Programm | |
auch offiziell die Weihen gegeben hat. | |
## Richtige Idee mit falschem Ton | |
Das Ganze ist außerordentlich schade. Dieses Gesprächsprogramm wäre eine | |
echte Chance gewesen, liberale Kräfte in der muslimischen Gemeinschaft | |
anzusprechen und zu stärken. Dafür hätte es einen anderen Titel und | |
möglicherweise auch eine andere Programmatik gebraucht; es hätte einer | |
umsichtigeren Recherche bedurft, eventuell durch eine Zusammenarbeit mit | |
Initiativen und Programmen. Vor allem hätte dem Projekt eine kritische | |
Distanz zu etablierten Diskursen über „die Muslime“ gutgetan. Die Chance | |
scheint nun schon mit Ankündigung des Projekts vertan. Welche*r Muslim*in | |
will schon eine Begegnung auf Grundlage eines Generalverdachts? | |
Dabei steht außer Zweifel, dass die muslimische und die jüdische Seite von | |
einem Dialog profitieren würden. Es ist ja überhaupt nicht alles gut in | |
Deutschland, weder innerhalb der Communities noch in Bezug auf die | |
Gesamtgesellschaft. In einem Gesprächsformat, das die beiden Seiten | |
tatsächlich auf Augenhöhe zusammenbringt, hätte man Überlebensstrategien in | |
diskriminierenden und gewalttätigen Gesellschaften austauschen können. Man | |
hätte eine auch politische Vision für eine Gesellschaft der Vielen | |
(weiter-)entwickeln können. | |
Dabei wäre die Sprache zweifelsohne auch auf die Diskriminierung und Gewalt | |
gekommen, die von den Communities selber ausgeht. Aber der Ton macht die | |
Musik. Und diesmal hat der Zentralrat gemeinsam mit der | |
Integrationsbeauftragten der Bundesregierung den falschen angeschlagen. | |
22 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.deutschlandfunk.de/integration-juedisch-muslimisches-dialog-pro… | |
## AUTOREN | |
Max Czollek | |
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