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# taz.de -- Kolumne Sternenflimmern: Feierabend-Europa
> Es braucht Orte, an denen EuropäerInnen zeigen, wer sie wirklich sind.
> Auch außerhalb von Wettbewerben, Kunst oder Fußballspielen.
Bild: Man braucht Orte, an denen man die ernsten bis grimmigen Masken abfallen …
Ein alternativ-reales Europa [1][findet gerade in Tel Aviv statt]. So nennt
die wahnsinnig lustige, zuletzt wahnsinnig gedisste Anja Rützel auf Spiegel
Online das Chichi um den Grand Prix. Als ich das gelesen habe, dachte ich:
Ja! Mehr davon. Neben dem real existierenden Europa, in dem man wählen und
verhandeln und ausgrenzen und integrieren muss, bräuchte es viele
alternative Realitäten.
Orte, an denen die Europäer tatsächlich das tun, was sie mögen, an denen
sie zeigen, wer sie wirklich sind. Feierabend-Europa. Orte, an denen man
die ernsten bis grimmigen Masken, die man so im Büro- und Kratie-Alltag
trägt, abfallen lassen kann.
Bisher funktionieren solche Feierabend-Realitäten oft über nationale
Wettbewerbe, beim Singen oder Fußballspielen oder in der Kunst. Bei ESC, EM
oder Biennale: Es geht ums Antreten gegeneinander. Fetzt ja auch, nichts
gegen sportlichen Wettkampf. Aber wenn das alles ist, was Europäer unter
„gemeinsam Spaß haben“ verstehen, ist es ein bisschen arm.
Alternativrealitäten könnten auch transzendenter sein. Gerade beginnt die
Festivalsaison. Dann immerhin wird sich halb Europa unter 40 begegnen, um
zusammen Musik zu hören und zu tanzen. Nicht, um sich abzugrenzen.
Wenn ich ehrlich bin, ist es genau das, was mich an der EU insgeheim ein
bisschen abstößt, weshalb sie mich oft nervt. Man will was voneinander, ist
aber nicht bereit, die Hecke am eigenen Vorgarten fünf Zentimeter niedriger
zu trimmen. Oder eine echte, eine gemeinsame Lösung für die Menschen zu
finden, die hierher kommen wollen und dabei ertrinken. Statt sie, [2][wenn
sie nicht ertrunken sind], am langen Arm verhungern zu lassen.
## EU geht nur mit angezogener Handbremse
Es ist fast wie beim Dating. Alle wollen die Vorzüge einer Beziehung, die
Sicherheit, nicht allein mit den Deppen, die einem begegnen, fertig werden
zu müssen und abends nicht mehr raus zu müssen, um Spaß zu haben.
Gleichzeitig wollen alle maximal sie selbst bleiben. (Man hat jahrelang
nach sich selbst gesucht, in Auslandspraktika, beim Yoga oder auf
Drogentrips, was man da gefunden hat, muss verteidigt werden.) „Kultur“
nennen sie es hier, „Individualität“ dort.
Wer was für den Partner macht (umziehen, Job wechseln), gilt als schwach.
Geteiltes Bett, okay, aber bitte mit getrennten Konten.
Dieses blöde Sowohl-als-auch wirkt wie ein emotionales Kondom. Spaß an der
EU geht nur mit angezogener Handbremse. Als ich an dieser Stelle vergangene
Woche über die Fixierung auf Nationalstaaten gelästert habe, wies mich ein
Leser darauf hin, dass „es nie darum ging, eine Art Vereinigte Staaten von
Europa zu gründen“. Die Nationalstaatlichkeit sei „immanenter Wesenskern
der EU“. Das mag sein.
Andererseits sprachen auch schon George Washington oder, wie etwa 1849 beim
Pazifistenkongress in Paris, Victor Hugo eben genau davon. Ob Vereinigte
Staaten von Europa eine Alternative wären zur freudlosen Kleinherzigkeit,
weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es nie schadet, über Alternativen
nachzudenken. Sonst tun es andere.
17 May 2019
## LINKS
[1] /!t5486957/
[2] /Seenotrettung-im-Mittelmeer/!5596015
## AUTOREN
Ariane Lemme
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