# taz.de -- Hamburger Institut für Sozialforschung: Antisemitische Bildsprache… | |
> Eine Diskussion ging den Themen von NS-Fotoreportagen auf den Grund. | |
> Dabei werden Widersprüche in Bildern sichtbar. | |
Bild: Ein Foto (Ausschnitt) aus dem Warschauer Ghetto, das Teil des diskutierte… | |
Viel ist geforscht worden zu antisemitischen Filmen im NS, Karikaturen aus | |
dem Stürmer oder das Radio als Nazi-Propagandainstrument. Doch wie steht es | |
um den Fotojournalismus, ein damals junges Genre mit Magazinen, die nicht | |
nur im Deutschland der 1930er-Jahre exorbitante Reichweiten erzielten, mit | |
höheren Auflagen als zu jedem anderen Zeitpunkt in der Geschichte? Er blieb | |
für Jahrzehnte unterm Radar der Forschung. | |
Nicht dass Fotos keine Rolle in Untersuchungen über Nationalsozialismus und | |
Holocaust spielen würden. So nahmen die Macher und Macherinnen der | |
Wehrmachtsausstellung am Hamburger Institut für Sozialforschung Mitte der | |
1990er-Jahre die Fotografien deutscher Soldaten als Nachweis für deren | |
Beteiligung am Massenmord an den Juden. Entsprechend räumte man diesen | |
Bildern einen prominenten Platz in der Ausstellung ein. | |
Doch stärker als solche Privataufnahmen haben journalistische Fotostrecken | |
eine beabsichtigte Wirkung. Wie sich die jeweils aktuelle „Judenpolitik“ | |
der NSDAP in der Bildpresse niederschlug, in der – wie alle Presse im NS | |
vom Propagandaministerium gelenkten – Berliner Illustrirten Zeitung oder | |
der Hamburger Illustrierten, hat sich erstmals die Historikerin Harriet | |
Scharnberg angesehen. | |
Ihr Buch „Die ‚Judenfrage‘ im Bild – Der Antisemitismus in | |
nationalsozialistischen Fotoreportagen“ (Hamburger Edition) erschien | |
vorigen Herbst. Um über ihre umfassende Studie zu sprechen, ist Scharnberg, | |
die seinerzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der | |
Wehrmachtsausstellung mitwirkte, am Dienstag ins Hamburger Institut am | |
Mittelweg zurückgekehrt. Unter der Moderation von Birte Kundrus – auch sie | |
eine ehemalige Institutsmitarbeiterin – diskutiert Scharnberg mit dem | |
Berliner Historiker Michael Wildt. | |
Für die Darstellung an diesem Abend konzentriert sich Scharnberg auf Fotos | |
von jüdischen Gettos. An wenigen Beispielen kann sie zeigen, wie sich | |
zwischen Mitte und Ende der 1930er-Jahre die Haltung der Fotostrecken | |
ändert. Wo anfänglich eine stereotype Darstellung jüdischer Menschen, eines | |
chaotischen, von Armut geprägten jüdischen Lebens vorherrscht, bricht sich | |
mit dem Überfall auf Polen, also nach 1939, ein Narrativ der Staatlichkeit | |
Bahn. Der Reichsbevölkerung sollte ebenso wie dem Ausland gezeigt werden, | |
wie geordnet, wie staatsähnlich die Zustände dank der Deutschen im Getto | |
neuerdings waren. Dieses Narrativ entspricht einer Politik, die sich | |
zwischen Segregation der Juden und ihrer Vernichtung noch nicht entschieden | |
hatte. | |
Etwas reflexhaft nimmt sich in der Diskussion das Pochen auf die | |
Unbestimmbarkeit der Wirkung von Fotos aus. Michael Wildt führt für die | |
Rezeptionsseite das Punktum von Roland Barthes ins Feld. Gemeint ist eine | |
Kleinigkeit im Bild, die der Bildintention zuwiderlaufen kann und sogar | |
gegenteilige Wirkungen hervorrufen kann. Die Darstellung des Elends im | |
Getto müsse nicht Verachtung, sie könne beim Betrachter auch Mitleid | |
bewirken. Aus dem Publikum heraus ist gar von einer grundsätzlichen | |
Überschätzung der Bilder die Rede. | |
## Gelenkte Assoziation | |
Es sei aber interessant, verteidigte sich die Autorin, zu untersuchen, wie | |
Fotos Assoziationen lenken. Aus ihrem Buch geht noch deutlicher hervor, | |
dass sie, und zwar durchaus mit großem Gewinn, vor allem die | |
Produktionsseite der Bilder im Blick hat. Scharnberg kann zeigen, wie eine | |
einzige Fotoreportage in der Berliner Illustrirten Zeitung – eine Ausgabe | |
der Zeitung erreichte in den Dreißigern unglaubliche 15 Millionen Leser – | |
versucht hat, durch simple fotografische Tricks wie Perspektive, Ausschnitt | |
und Lichtführung die Ikonografie des Jüdischen im antisemitischen Sinne zu | |
beeinflussen. Explizit verabschiedet sie in ihrer Studie das | |
„Propaganda-Paradigma“, demzufolge sich eine Absicht eins zu eins in | |
gewünschte Effekte übersetzt. | |
Die angesprochene Mehrdeutigkeit der Bilder, lässt sich ergänzen, war auch | |
dem Propagandaministerium nicht unbekannt. Immer wieder mal wurde nämlich | |
eine Nachrichtensperre verhängt darüber, wie es Juden im Einflussbereich | |
von Wehrmacht und SS erging. Man fürchtete durchaus das mögliche Mitgefühl | |
der Betrachtenden. | |
2 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Christiane Müller-Lobeck | |
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