| # taz.de -- Kommentar Bahlsen-Erbin: Eine Frage wie eine Provokation | |
| > Verena Bahlsen behauptet, Zwangsarbeiter seien bei Bahlsen gut behandelt | |
| > worden. Auf den Bullshit folgt eine beschämende Diskussion. | |
| Bild: Würde sich von ihrer Dividende (!) gerne Yachten kaufen: Verena Bahlsen | |
| Eine merkwürdige Frage geht um in Debatten-Deutschland: Es geht um das | |
| Schicksal von Zwangsarbeitern zur Zeit des Nationalsozialismus in | |
| Deutschland. Eine traurige Frage. Es ist die Frage danach, wie es | |
| Zwangsarbeitern auf dem Gebiet des Deutschen Reichs zwischen 1939 und 1945 | |
| wirklich gegangen ist. Eine Frage, die in den Ländern, aus denen | |
| Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt worden sind, wie eine | |
| Provokation wirken muss. | |
| Was sollen sich die Nachfahren von Zwangsarbeitern in Polen, der Ukraine, | |
| Belarus oder Russland denken? Hat da das neue, freshe Deutschland | |
| gesprochen? | |
| Die Erbin eines Lebensmittelkonzerns, der vor allem für seine Butterkekse | |
| bekannt ist, hatte in einem Interview mit der Bild-Zeitung gesagt hat, das | |
| Unternehmen Bahlsen habe seine Zwangsarbeiter genauso entlohnt wie die | |
| deutschen Mitarbeiter. Zudem seien sie gut behandelt worden. | |
| Auf eine Frage, von der man glauben sollte, sie müsse gar nicht erst | |
| gestellt werden, gibt es in diesen Tagen also eine neue Antwort. Übersetzt | |
| ins Hipster-Business-Deutsch, das die junge Verena Bahlsen (25) | |
| normalerweise spricht, wenn sie über die Food-Branche redet, lautet sie: | |
| Voll okay sei es den Zwangsarbeitern gegangen. | |
| Schon gibt es die ersten Faktenchecks. Bild fragt: „Wie ging es den | |
| Bahlsen-Zwangsarbeitern?“. Andere Medien schauen noch einmal in die | |
| Geschichte des Entschädigungsprozesses für Zwangsarbeiter, der im Jahr 2000 | |
| in einen Fonds mündete, der mit Zahlungen der Bundesrepublik Deutschland | |
| und der deutschen Wirtschaft ausgestattet wurde. Mit Geld aus dem Fonds | |
| wurden Zwangsarbeiter, die einen entsprechenden Antrag gestellt hatten, | |
| individuell entschädigt, man könnte auch sagen: abgespeist. | |
| Menschen, die in Haft, unter haftähnlichen oder vergleichbar schlechten | |
| Lebensbedingungen Zwangsarbeit leisten mussten, [1][bekamen bis zu 2.560 | |
| Euro]. Im Monat? Im Jahr? Nein, ein Mal. Und da stellt sich die sogenannte | |
| Keks-Erbin doch tatsächlich hin und sagt, alles sei gut! | |
| ## Eine beschämende Diskussion | |
| Bei den frischen Berichten über den Bahlsen-Bullshit taucht auch die Frage | |
| auf, wie die Betroffenen damals von ihren Sklavenhaltern behandelt worden | |
| sind. Mal besser, mal schlechter? Als ob es darum ginge! Als sei nicht | |
| längst bekannt, dass [2][das System der Zwangsarbeit], mit dem die deutsche | |
| Industrie, die Landwirtschaft und auch das Handwerk zu Zeiten des deutschen | |
| Vernichtungskriegs am Leben gehalten wurde, ein elementarer Baustein im | |
| verbrecherischen System des Nationalsozialismus gewesen ist. | |
| Die Verwüstung des europäischen Kontinents, der Genozid an den europäischen | |
| Juden, die Kriegsverbrechen der Wehrmacht basieren auch auf dem System der | |
| Zwangsarbeit. Und doch wird mit einem Mal über Zwangsarbeit wie über etwas | |
| gesprochen, von dem man noch nicht so genau weiß, was es war und was es zu | |
| bedeuten hat. Da fehlt fast nur noch der allseits beliebte Faktencheck: Was | |
| wir wissen und was nicht. | |
| Angefangen hat das alles mit dem Auftritt von [3][Verena Bahlsen auf der | |
| Digital-Konferenz Online Marketing Rockstars]. Gut gelaunt hat sie | |
| dargelegt, dass sie gar nichts daran findet, reich zu sein. Dass sie sich | |
| von ihrer Dividende (!) gerne Yachten kaufen würde, hat sie auch gesagt. | |
| Der Vorwurf, ihr Reichtum sei auch auf Zwangsarbeit aufgebaut, hat die | |
| junge Frau dann zum Social-Media-Antistar gemacht. Und jetzt diskutiert | |
| Deutschland tatsächlich darüber, wie schlimm Zwangsarbeit war. | |
| Es ist eine beschämende Diskussion, die von einer Frau losgetreten worden | |
| ist, die sich selbst in der Rolle einer Zukunftsgestalterin sieht. Sie soll | |
| Foodtrends für ihr Unternehmen aufspüren, beschäftigt sich sorgenvoll mit | |
| der Zukunft („Total viel waste und so weiter!“) und sagt Sätze wie: „Ich | |
| scheiß' auf Wirtschaft, wenn Wirtschaft nicht ein Vehikel ist, um uns als | |
| Gesellschaft nach vorn zu bringen.“ Sie bezeichnet sich in ihrem Vortrag | |
| sogar als Weltverbesserin, als verantwortungsvolle Vertreterin der | |
| Generation Y. | |
| So gut gelaunt und geschichtsvergessen kann man also in die Zukunft | |
| marschieren. Mülltrennung auf der Yacht, Superfood zum Frühstück und ein | |
| gutes Gewissen. Verena Bahlsen hat davon gesprochen, dass sie dankbar ist, | |
| eine tolle Bildung genossen zu haben. Sagen wir’s ihr! | |
| 14 May 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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