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# taz.de -- Hymnen in Deutschland und EU: Lieber europäisch singen als national
> Thüringens linker Ministerpräsident Bodo Ramelow fordert eine neue
> deutsche Nationalhymne – und denkt doch nicht weit genug.
Bild: Es wäre nötig, endlich mal den Nationalismus aus der Hymne rauszuwedeln
Kommende Woche steigt in Tel Aviv [1][der diesjährige Eurovision Song
Contest]. Aus allen Ecken Europas werden dann wieder SängerInnen und Bands
auf der Bühne stehen und, manche sogar in eigener Landessprache, ihre
Lieder vortragen. Womöglich ist es die Vorfreude auf den Gesangswettbewerb,
die bei Linken-Politiker Bodo Ramelow mitschwingt, wenn er nun eine neue
deutsche Nationalhymne fordert.
In einem Zeitungsinterview sagte Thüringens Ministerpräsident, dass er die
Nationalhymne, die dritte Strophe des Deutschlandliedes also, zwar
mitsinge, er dabei aber „das Bild der Naziaufmärsche von 1933 bis 1945
nicht ausblenden“ könne. Zugleich führt er die geringe Akzeptanz der Hymne
unter den Ostdeutschen an. Er wünsche sich eine „wirklich gemeinsame
Nationalhymne“ mit einem „neuen Text, der so eingängig ist, dass sich alle
damit identifizieren können“.
Ramelow trifft mit seinem Vorstoß einen wunden Punkt. Die düstere
Vergangenheit macht bis heute ein unbefangenes deutsches Nationalgefühl
nicht unproblematisch. Das ändert aber nichts daran, dass Symbole wie die
Nationalhymne bis heute als identitätsstiftend gelten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Alliierten das „Lied der Deutschen“
als Nationalhymne verboten – wodurch es bei Staatsbesuchen im Ausland
zunächst zu kreativen Notlösungen kam. So wurde Konrad Adenauer bei einem
USA-Besuch 1949 mit dem Karnevalsschlager „Heidewitzka, Herr Kapitän“
begrüßt – was der Bundeskanzler gar nicht lustig fand. Er war es auch, der
das „Lied der Deutschen“ 1952 wieder als Nationalhymne durchsetzte.
Allerdings beschränkt auf die dritte Strophe und nur in der BRD.
Die DDR hatte bereits seit 1949 ihre eigene: „Auferstanden aus Ruinen“.
Auch knapp 30 Jahre nach der Wiedervereinigung tun sich viele Ostdeutsche
schwer damit, stattdessen „Einigkeit und Recht und Freiheit“ zu singen.
## Wäre eine europäische Perspektive nicht besser?
Es besteht also durchaus Handlungsbedarf. Nur: Wie könnte eine neue
Nationalhymne aussehen? Ramelow selbst nennt die von Hanns Eisler
komponierte und von Bert Brecht vertonte „Kinderhymne“ als Alternative.
Nach dem Mauerfall war sie schon mal in der Diskussion.
Brecht hatte sie einst bewusst als Gegenentwurf zum „Lied der Deutschen“
gedichtet. Aus „Deutschland, Deutschland über alles“ machte er: „Und nic…
über und nicht unter andern Völkern wolln wir sein“.
Brechts Text ist zwar sympathisch, wirkt aber gleichwohl nicht mehr ganz
zeitgemäß. Geht es wirklich noch darum, Deutschland zu „beschirmen“? Wäre
da nicht eine europäische Perspektive die bessere? Warum nicht mit gutem
Beispiel vorangehen? Auch die eine oder andere Hymne in der Nachbarschaft
hat durchaus Modernisierungsbedarf – von der französischen „Marsellaise“
(„Unreines Blut tränke unsere Furchen!“) bis zum italienischen „Il Canto
degli Italiani“ („Wir sind bereit zum Tod“).
Dann also die „Europahymne“ zur neuen deutschen Hymne machen? Wäre eine
Möglichkeit, jedoch keine originelle, zumal diese Fassung von Beethovens
Neunter aus gutem Grund rein instrumental ist: Wer singt schon heute noch
freiwillig das Geschwurbel Friedrich Schillers? Dann schon lieber die
vielsprachige „Internationale“ der Arbeiterbewegung. Oder die Hymne der
Fußball-Champions-League. Die ist immerhin dreisprachig: „Ils sont les
meilleurs – Sie sind die Besten – These are the champions.“
Aber vielleicht bedarf es ja auch gar keiner starren Festlegung. Womit wir
wieder beim ESC wären. Da werden Lieder mit unterschiedlichen Melodien und
in vielen verschiedenen Sprachen gesungen. Und eines gewinnt schließlich
und wird zur Hymne in ganz Europa – zumindest bis zum nächsten Jahr.
9 May 2019
## LINKS
[1] /Kolumne-ESC-in-Tel-Aviv-1/!5594035
## AUTOREN
Daniel Godeck
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