| # taz.de -- Die Wahrheit: Heimat gegen rechts | |
| > „Mein Osten“: Das neue Lied der ostdeutschen Band Silbermond und der | |
| > Konsens der befriedeten Volksgemeinschaft. | |
| Bild: Silbermond-Sängerin Stefanie Kloß hat das leichte Gepäck des guten Wil… | |
| Krisen belasten die Nerven. Nicht zuletzt, weil in solchen Zeiten auch | |
| Menschen die drängende Berufung fühlen, sich zu Wort zu melden, die leider | |
| gar nicht viel zu sagen haben. Die Band Silbermond feiert seit vielen | |
| Jahren mit Wohlfühlschlagern große Erfolge. Die Musiker stammen aus Bautzen | |
| in der Oberlausitz, einem Ort, der für seine prachtvolle Altstadt bekannt | |
| ist, seit einer Weile aber auch für allerlei braunes Feuerwerk und | |
| Jagdgeschehen. Das haben selbstverständlich auch Silbermond mitbekommen. | |
| In ihrem neuen Lied „Mein Osten“ klagt Sängerin Stefanie Kloß: „Ich seh | |
| noch die traurigen Bilder einer dunklen Nacht. Im Lauftext steht der Name | |
| meiner Heimatstadt.“ Der Hörer fragt sich, ob hier nicht schon die | |
| „traurigen Bilder“ ein bisschen schief hängen. Sind denn die optischen | |
| Eindrücke das Beklagenswerte und nicht die Opfer? Die genauso wenig wie die | |
| Täter beim Namen genannt werden? | |
| Silbermond hatten wohl die Absicht, ein Heimatlied gegen rechts zu | |
| schreiben. Daran, dass es den Musikern an Ostpatriotismus nicht gebricht, | |
| lässt Stefanie Kloß keinen Zweifel: „Ich vergess nicht, wo ich herkomm! | |
| Vergess nicht, wo ich herkomm!“ Auch der Hörer wird es nimmermehr | |
| vergessen, so oft, wie ihm „Mein Osten! Mein Osten!“ entgegengesäuselt | |
| wird. | |
| „Meine Wurzeln, mein Revier, mein Osten, mein Osten, hab Bescheidenheit von | |
| dir, mein Osten, ich steh zu dir!“ Stünden die Gitarren bei diesen Versen | |
| unter Strom, man würde sich verwundert fragen, ob man bislang über die | |
| Herkunft der Onkelz falsch informiert gewesen ist. Es ist aber durchaus | |
| nicht alles in Ordnung im Osten: „An deiner Schönheit kratzt die Wut“ – | |
| eine Wut, die Silbermond aber verstehen, wenigstens „zum Teil“, wobei | |
| vorsichtshalber unerwähnt bleibt, um welchen Teil es geht. | |
| ## Musik zur Streitvermeidung | |
| Stellenweise klingt „Mein Osten“ so, als wäre es von der Bundeszentrale f�… | |
| politische Bildung in Auftrag gegeben worden: „Wir werden reden müssen, | |
| streiten, um Kompromisse ringen müssen und so weiter.“ Stefanie Kloß | |
| singt’s, ohne zu merken, dass ihr eigenes Lied ein schlimmes Beispiel für | |
| Streitvermeidung um jeden Preis ist. Darin ist es nun allerdings wieder | |
| unübertrefflich ostig. | |
| „Aber was nicht hilft, sind wir uns da einig? Ideen von 1933“, fleht die | |
| Sängerin. Sie kann beruhigt sein: Es gibt in Deutschland seit 1945 | |
| überhaupt keine Nazis mehr. Und besonders die Wähler der AfD sind restlos | |
| überzeugt davon, sie seien die verfolgten Juden unserer Zeit. Nichts also | |
| hindert die besorgten Bürger Bautzens, mit Silbermond ganz und gar einig zu | |
| sein. Dazu hätte der Text schon etwas konkreter sprechen müssen. Aber warum | |
| Streit, wenn’s auch harmonisch geht? | |
| Silbermonds Osten ist ein missverstandener, aber im Grunde doch | |
| herzensguter Kerl. „Ich kenn doch deinen freundlichen Blick, mein Osten, | |
| mein Osten! Ruppig herzlich, wie du bist.“ Der Ausländer, dem von | |
| Einheimischen mal ein Lächeln, mal ein Faustschlag geschenkt wird, muss | |
| sich an diesen schnellen Wechsel von Herzlichkeit und Ruppigkeit wohl | |
| einfach ein bisschen gewöhnen. | |
| Nicht ein einziges Mal werden im ganzen Lied jene Menschen auch nur | |
| genannt, um die der große Streit der Deutschen doch tobt: die Zuwanderer. | |
| Ihre Erwähnung könnte unter den Fans ja zu dem Streit führen, den sich die | |
| Band angeblich wünscht. Stattdessen werden die Ausländer aus dem Lied so | |
| gründlich abgeschoben wie aus dem Land, um die nationale Harmonie nicht | |
| wieder aufs Spiel zu setzen. „Risse gehen durch Familien“, barmt Stefanie | |
| Kloß, als wäre das größte Problem des Ostens, dass man mit dem AfD-Onkel | |
| Heinz nicht mehr in Frieden Kaffee trinken kann. Was zählt, sind am Ende | |
| eben doch die deutschen „Wurzeln“, die den Fremden leider nie wachsen | |
| werden. | |
| ## Naives Eingeständnis | |
| Noch ist der Osten nicht verloren. Und so schließt das Lied: „Wir kriegen | |
| irgendwas hin.“ Und dieses „Irgendwas“ ist ein so rührend naives | |
| Eingeständnis von völliger Ratlosigkeit und grundloser Zuversicht, dass man | |
| der Band am Ende nicht böse sein kann. | |
| Überhaupt ist es gewiss unfair, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen, selbst | |
| wenn deren Gesang zu wünschen übriglässt. Aber das Heimatlied von | |
| Silbermond ist Zeichen für einen deutschen Konsens, der längst wieder | |
| intakt ist, während allerorten noch die schreckliche Zerrissenheit unserer | |
| Gesellschaft beklagt wird. | |
| Im deutschen Auftrag sorgen libysche Banditen, europäische Grenzsoldaten | |
| und Erdoğans Polizisten dafür, dass kaum mehr Flüchtlinge Deutschland | |
| erreichen. Die im Grundgesetz festgeschriebenen Asylgesetze werden im guten | |
| Einvernehmen der Parteien täglich weiter verschärft. Die einen freuen sich | |
| darüber still, die anderen sind heimlich erleichtert. Nachdem das Problem | |
| vom Tisch ist, gilt’s nun nur noch, die Volksgemeinschaft zu befrieden, | |
| damit durch den Hader nicht etwa noch die deutsche Exportindustrie | |
| beschädigt wird. | |
| Eine ganze Branche kümmert sich inzwischen darum, die Rechten durch | |
| Gesprächstherapie zu umsorgen. Angesichts dieser faulen Versöhnung möchte | |
| man fast in Liebe entbrennen zum ehrlichen Hass von Götz Kubitschek, dem | |
| schwarzen Ritter von Schnellroda. Und sich beherzt zu dessen Maxime | |
| bekennen: „Der Riss muss tiefer werden!“ | |
| 15 May 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Bittner | |
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