# taz.de -- Die Wahrheit: Stauschau im Großraumwagen | |
> Die ausufernden Radiomeldungen zur Verkehrslage verlangen nach einer | |
> künstlerischen Intervention. | |
Zu meinen Radio-Favoriten zählt die Auskunft über die „Verkehrslage“ zum | |
Schluss der Nachrichten. Eine topografische Momentaufnahme dieses feisten | |
Landes. Kann ich kaum genug von kriegen. Eines Tages entsprang die Idee, in | |
einer konzertierten Aktion daraus eine Performance oder Intervention zu | |
inszenieren. | |
Die Hackerin, die mich unterstützte, hatte mir ein Kollege empfohlen. Ein | |
einziges Mal sah ich sie im Café, als sie mir einen USB-Stick in die Hand | |
drückte, mein Notebook präparierte und manches erklärte. Sie nannte sich | |
Trixy, was sie in der Leetspeak-Version, wie ich lernte, 7R1XY schrieb. | |
„Leetspeak“ musste ich natürlich nachschlagen. | |
Schließlich saß ich im ICE nach Basel mitsamt Notebook, USB-Stick und | |
Spickzettel an einer Ecke im Großraumwagen. Und war rechtschaffen | |
aufgeregt. Würde es mir gelingen? | |
Es gelang: Nach einigem Hin und Her drang mein Technikutensil ein in das – | |
welch ultralanges Wort! – Fahrgastinformationssystem. Jetzt konnte ich den | |
offiziellen Lautsprecher benutzen und wählte gleich ein Trio aus passenden | |
Ansagen in meiner mp3-Liste: | |
„Autobahn vier Olpe Richtung Köln zwischen Engelskirchen und Overath sieben | |
Kilometer Stau. A7 Hannover Richtung Kassel zwischen Rhüden/Harz und Echte | |
zehn Kilometer Stau, empfohlene Umleitungen: U60, U62, U66. A9 | |
Halle/Leipzig Richtung Nürnberg zwischen Münchberg-Süd und Bad | |
Berneck/Himmelkron 13 Kilometer Stau, Lkw wird empfohlen, das Gebiet | |
weiträumig zu umfahren.“ | |
Ein Lachen war bald zu hören, jemand applaudierte gar. Gleichzeitig | |
versuchte ich beiseite zu schieben, dass mir bald ein Fahrdienstbegleiter | |
auf die Schliche kommen würde. Na und? War doch eine soziale Plastik à la | |
Beuys, oder? Und die Bahn würde mir anschließend ohnehin als Dank eine | |
Bahncard 100 bis zum Lebensende spendieren, zum Nachweis schnitt ich ja den | |
Effekt der Aktion mit. | |
Also noch eine Runde: „A4 Richtung Aachen zwischen Dreieck Heumar und | |
Rodenkirchener Brücke, acht Kilometer stockender Verkehr. A46 Wuppertal | |
Richtung Heinsberg zwischen Dreieck Düsseldorf-Süd und Neuss-Uedesheim 16 | |
Kilometer Stau. A48 Dreieck Vulkaneifel Richtung Dernbach zwischen Kreuz | |
Koblenz und Bendorf/Neuwied elf Kilometer Stau.“ | |
Und als vorerst letzte Überraschung brachte ich: „Achtung, Autofahrer! Auf | |
der A 81 kommt ihnen zwischen den Anschlussstellen Engen und Geisingen in | |
Fahrtrichtung Stuttgart ein Fahrzeug entgegen!“ | |
Inzwischen herrschte eine Stimmung wie ein Mix aus Raunen, Frohlocken und | |
Jubeln. Eine kumpelhafte Atmosphäre wehte durch den Wagen. So entging uns | |
beinahe der Moment, als sich die Stimme des Schaffners über den | |
Lautsprecher einmischte. Wir würden etwa zwanzig Minuten später in | |
Karlsruhe eintreffen. Das entspricht einem Stau von etwa fünf Kilometern, | |
wie ich gelernt hatte. Lächerlich. Und danke, 7R1XY! | |
30 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Dietrich zur Nedden | |
## TAGS | |
Radio | |
Stau | |
Deutsche Bahn | |
Tour de France | |
Hochsommer | |
Affen | |
taz.gazete | |
Bestseller | |
Hausbewohner | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Die Wahrheit: Urkunde des Schauderns | |
Was tun, wenn die Tour de France vorbei ist? Mal zum Standesamt gehen, | |
bietet sich an. Dabei muss es nicht einmal um Reis gehen, Baby. | |
Die Wahrheit: Dehnen, Dösen, Denkübungen | |
Im Hochsommer auf einer Wiese neben einer klugen Frau einen intellektuellen | |
Dreisprung zu vollziehen, ist überhaupt gar nicht leicht. | |
Die Wahrheit: Der unendliche Affe | |
„Von Affen an Schreibmaschinen hatte ich wohl hier und da gehört, von der | |
theoretischen Herkunft und Durchdringung nicht“. | |
Die Wahrheit: Kosmos im Kiez | |
Sogar im eigenen Viertel ist das Gesellschaftsspektrum unendlich. | |
Ethnisches Sortieren hilft da nicht weiter. | |
Die Wahrheit: Bestseller von anno dunnemals | |
Ein Blick auf die Spitzentitel der Sachbuchlisten vergangener Tage | |
befördert so manchen Knaller zurück ins Bewusstsein. | |
Die Wahrheit: Methusalem mit Ukulele | |
Nach zehn Jahren Wohnzeit der Nestor eines Mietshauses zu sein, gibt einem | |
außerordentliche Rechte bei Klängen und Krächen. |