# taz.de -- Rechtsextreme Szene in Österreich: Identitäre in der FPÖ enttarnt | |
> Laut Verfassungsschutz gehören zahlreiche FPÖ-Politiker und -Mitarbeiter | |
> der rechtsextremen Gruppe an. Die FPÖ gerät in Erklärungsnot. | |
Bild: Teil eines weltweiten rechten Netzwerks: Martin Sellner, Chef der Identit… | |
WIEN taz | Genau 364 Mitglieder der rechtsextremen Identitären sind beim | |
österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung | |
(BVT) aktenkundig. In einem seltenen Akt geheimdienstlicher Transparenz | |
gewährte das Amt am Donnerstag dem öffentlich-rechtlichen Sender ORF und | |
den [1][Salzburger Nachrichten] Einblick in einen 2018 erstellten | |
„Anlassbericht“, den die Staatsanwaltschaft Graz angefordert hatte. Pikant | |
an der Liste ist, dass sich unter den Identitären zahlreiche FPÖ-Politiker | |
und -Mitarbeiter sowie die beiden Söhne eines ÖVP-Politikers befinden, wie | |
die die ORF-Sendung „Zeit im Bild 2“ am Donnerstagabend berichtete. | |
Anlässlich der jüngsten Berichte über [2][eine Spende des rechtsradikalen | |
Christchurch-Attentäters] an den österreichischen Chef der Identitären | |
Martin Sellner war die Regierungspartei FPÖ auf Distanz zu der Gruppe | |
gegangen. Vizekanzler Heinz-Christian Strache, der noch 2016 den | |
„friedlichen Aktionismus“ der „nicht-linken Bürgerbewegung“ gepriesen | |
hatte, gab sich plötzlich schroff gegenüber den Seelenverwandten: „Mit | |
einem Herrn Sellner, der ein Hakenkreuz auf eine Synagoge geklebt hat, | |
haben wir nichts zu tun, und wollen wir mit ihm nichts zu tun haben.“ | |
ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz, der die Identitären „widerlich“ findet, | |
forderte den Koalitionspartner auf, sein „schwammiges Verhältnis“ zu dem | |
vom Verfassungsschutz beobachteten Verein zu klären. Kurz hat auch | |
versprochen, dass „weder rechts- noch linksextreme Medien“ künftig von der | |
Regierung mit Inseraten gefördert werden dürfen. Da entsprechende | |
Zuwendungen an linke Medien nicht bekannt sind, muss das als Aufforderung | |
an FPÖ-Ministerien verstanden werden, rechtsextreme Medien nicht weiter mit | |
teuren Annoncen zu sponsern. | |
Angesichts der jetzt bekannt gewordenen Liste kommt die FPÖ neuerlich in | |
Erklärungsnot. Es ist dokumentiert, dass namentlich genannte | |
Parteifunktionäre oder Kabinettsmitarbeiter Mitgliedsbeiträge oder Spenden | |
auf Konten der Identitären überwiesen haben. Und es dürfte noch mehr | |
folgen. Denn von 528 dem BVT bekannten Mitgliedsnummern der Identitären | |
konnten erst 364 einer Person zugeordnet werden. Seit dem Jahr 2012 sollen | |
die Identitären über drei Vereine mehr als 700.000 Euro eingenommen haben. | |
## Die Taktik: alles verharmlosen | |
Die in den Medien genannten Personen versuchen nun, ihre Spenden oder | |
Mitgliedsbeiträge zu verharmlosen. Der Grazer FPÖ-Gemeinderat, der bis vor | |
Kurzem noch ein Lokal an die Identitären vermietet hatte, wies Nachfragen | |
hinsichtlich seiner Zahlungen als „Frechheit“ zurück. Für Parteichef | |
Strache sind Spenden von FPÖ-Mitgliedern an die Identitären „deren | |
Privatsache“ und daher nicht zu bestrafen. | |
Das Dokument, in das der [3][ORF] Einsicht hatte, stellt auch den laut | |
Strache „gewaltfreien“ Charakter der Identitären in Frage. 75 der 364 | |
identifizierten Mitglieder sollen eine Schusswaffe besessen haben. Gegen 10 | |
bestand zu dem Zeitpunkt ein aufrechtes Waffenverbot, 68 hatten | |
kriminalpolizeiliche Vormerkungen wegen Verdachts einer Straftat. 32 waren | |
rechtskräftig verurteilt, 16 wegen Gewaltdelikten, 6 nach dem | |
NS-Verbots-Gesetz. | |
Ab Juli 2017, so der BVT-Bericht, seien die Zahlungsflüsse für die Behörden | |
schwerer nachvollziehbar gewesen, weil die Gruppe ihre Konten ins Ausland | |
verlagert hatte. Im Jahr 2018 habe es aber rund 600 Einzelspenden gegeben. | |
Österreichs Identitäre zeigen sich in Diskurs und Zielen weitgehend | |
deckungsgleich mit der FPÖ. Martin Sellner hat die FPÖ einmal als „unsere | |
Lobby-Gruppe“ bezeichnet. Die Regierung hat sogar ihre Ablehnung des | |
UNO-Migrationspaktes im Vorjahr auf eine Übersetzung der Identitären | |
gestützt, in der die englische Formulierung für „geregelte Migration“ als | |
„planmäßige Migration“ falsch übersetzt war. | |
Das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes beschreibt die | |
Identitären als „rechtsextreme Jugendorganisation mit vielfältigen | |
faschistischen Anklängen in Theorie, Ästhetik, Rhetorik und Stil. Durch | |
Aktionismus mit begleitender Pressearbeit nach dem Vorbild von NGOs und | |
intensive, vergleichsweise professionelle Bespielung sozialer Medien wird | |
eine große Breitenwirkung angestrebt und … auch erreicht“. Die Etablierung | |
der Identitären in Österreich sei „maßgeblich als Reaktion auf den sich | |
verstärkenden Repressionsdruck auf die Neonaziszene nach 2010“ | |
zurückzuführen. In Europa kooperieren sie vor allem mit neofaschistischen | |
Gruppen in Ungarn und Italien. | |
Die Identitären sehen sich nach der Veröffentlichung der Liste laut einer | |
schriftlichen Stellungnahme als Opfer einer „Diffamierungskampagne“. Für | |
Samstag haben sie eine Demonstration vor dem Justizministerium angemeldet. | |
Deren Motto: „Für Meinungsfreiheit und gegen den Großen Austausch“. Das i… | |
genau der verschwörungstheoretische Slogan, den der Christchurch-Attentäter | |
in seinem Bekennerschreiben als Tatmotiv anführte. | |
12 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] http://www.sn.at/politik/innenpolitik/staatsschutz-listet-364-mitglieder-de… | |
[2] /Identitaere-in-Oesterreich/!5584084 | |
[3] http://orf.at | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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