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# taz.de -- Die Wahrheit: Lob der Bushaltestelle
> Auf dem Dorf ist das Wartehäuschen ein Biotop der Hoffnung – besonders
> für Heranwachsende.
Bild: Antike Ansicht des Gasthauses Bangemann in Bargfeld
Die Bushaltestelle ist das Dingsymbol des beschissenen Dorflebens und also
randvoll aufgeladen mit Bedeutung. Ein Ausweg aus dem provinziellen Ennui.
Das Tor zur echten Welt, in der man zwischen zwei Biersorten wählen kann,
für ein Loch 500 Euro kalt bezahlt und junge Menschen Gimli-Bärte tragen.
Teenager erspüren das Sehnsuchtspotential des Haltekabuffs am deutlichsten.
Ständig lungern sie dort herum und schießen sich weg, wobei sie natürlich
von seinen baulichen Vorzügen profitieren. Es ist ein teilgeschützter Raum
außerhalb der Familie, wo man in Ruhe eine Vorratsportion Wick Medinait zu
sich nehmen kann oder eine mit Absinth scharf gemachte Raubtierbrause. Hier
wird das nächste Relischwänzen generalstabsmäßig vorbereitet und auch schon
mal gesanglich Vorfreude geschürt auf den ersten großen Malle-Trip –
„Finger im Poooo, Mexikoooo“. Der Ort ist also immer beides, gesteigertes
Dasein und die schöne Fantasie vom Ganzweitwegsein.
Meine aktive Bushaltestellenzeit ist schon Jahrzehnte vorbei, aber ich
erinnere mich nur allzu gut daran, mit Beklemmung im Torso. Ich stand
Morgen für Morgen, sogar samstags, um 5:30 Uhr, bei Eiseskälte – meiner
Erinnerung nach immer bei Eiseskälte – am Häuschen und verteufelte meine
Fahrschülerexistenz. Wick Medinait gab es noch nicht, jedenfalls für mich
nicht. Aber es gab Heiner. Er war ein Hoffnungsschimmer, der unsere Gemüter
erwärmte.
Heiner trug Kutte. Aber Bandaufnäher lehnte er ab, er hatte die Schriftzüge
von Motörhead, Metallica und Fräulein Menke mit Edding und Kuli
draufgemalt. Heiner konnte nicht gut malen. Er war ein paar Jahre älter als
ich, Elektrikergeselle und fuhr ebenfalls jeden Morgen, außer samstags, mit
seiner Zündapp an unserem stumm klagenden Wartegrüppchen vorbei. Er machte
ein Gesicht wie ein Muli, stoisch, unbewegt, zutiefst sympathisch.
Die Straße führte bergauf. Heiner war von umfangreicher Gestalt, nicht
fett, aber auch nicht einfach nur dick. Sein Mofa musste Schwerstarbeit
verrichten. Interessanterweise hatten die Asphaltleger auf Höhe der
Haltestelle eine kleine Unebenheit eingebaut, eine Senke in der Straße.
Wenn er dort hindurchfuhr, stöhnte seine Zündapp auf. Und wir lachten uns
kaputt, weil es klang, als würde er selbst murren über diese zusätzliche
Niedertracht des Lebens. Es war göttlich, eine Labsal für die Seele. Wir
warteten jeden Morgen auf Heiner, bis er herangeschnurrt kam, um uns mit
diesem existentialistischen Motorseufzer zu erfreuen, der für uns die
triste Warterei auf den Bus, vielleicht sogar die dörfliche conditio humana
akustisch auf den Punkt brachte.
Es gab aber auch Tage, in denen er nicht die Ideallinie fuhr und die kleine
Delle umkurvte, dann blieb das Stöhnen aus. Das waren Scheißtage, an denen
Latein-Klausuren geschrieben wurden oder Petra ihren sackartigen Pullover
trug.
23 Apr 2019
## AUTOREN
Frank Schäfer
## TAGS
Öffentlicher Nahverkehr
Teenager
Bus
Eltern
Heavy Metal
Arno Schmidt
Göttingen
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